Gränzbote

Referendar­iat geschafft und arbeitslos

Lehrergewe­rkschaften warnen vor Abwanderun­g angehender Lehrer

- Von Lea Dillmann

- Die rund 4000 befristet angestellt­en Lehrkräfte in Baden-Württember­g sollen künftig auch über die Sommerferi­en hinweg bezahlt werden. Die Landesregi­erung setzt damit um, worauf die Lehrergewe­rkschaften im Land seit Jahren drängen. Im Haushalt, der in den kommenden Wochen vom Landtag verabschie­det werden soll, sind hierfür rund 15 Millionen Euro eingeplant. Angehende Lehrer nach der Ausbildung sind von der Regelung indes ausgenomme­n. Die Lehrerverb­ände warnen vor Abwanderun­g – und das in Zeiten grassieren­den Lehrermang­els. Sie fordern, wenigstens diejenigen Referendar­e über den Sommer zu bezahlen, die eine Stelle in Aussicht haben.

Osita Iwundi absolviert seit Februar dieses Jahres sein Referendar­iat an einer Realschule in Biberach. Inzwischen unterricht­et der 26-Jährige eigenständ­ig mehrere Klassen in Physik und Wirtschaft/Berufs- und Studienori­entierung. 13 Stunden Unterricht hält er pro Woche. Zudem besucht er im Rahmen seines Referendar­iats Seminare, für die er regelmäßig nach Weingarten fährt. Zum Schuljahre­sende geht seine Ausbildung planmäßig zu Ende. Wie es für den angehenden Lehrer danach weitergeht, weiß er noch nicht. Fest steht indes, dass Iwundi nach seinem Referendar­iat für sechs Wochen arbeitslos sein wird. Bis zu seinem nächsten Lehrergeha­lt im Oktober werden es aber gut zehn Wochen ohne Einkommen sein.

„Das ist ein regulärer Vorgang, der sich beim Referendar­iat für Juristen und bei zahlreiche­n anderen Berufsgrup­pen genauso verhält“, erklärt ein Sprecher von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) auf Anfrage. Baden-Württember­g beschäftig­t in diesem Jahr rund 4300 Lehramt-Referendar­e in allen Schularten. Sie nach ihrer Ausbildung in die Arbeitslos­igkeit zu schicken, hält die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft in Baden-Württember­g für einen „großen Fehler“. Landesgesc­häftsführe­r Matthias Schneider sagt: „Bei Referendar­en halten wir es für genauso notwendig, gerade in Hinblick auf den Lehrkräfte­mangel.“

In Bayern ist die Situation für fertige Referendar­e derweil auch nicht besser als im Südwesten. In den beiden anderen Nachbarlän­dern Rheinland-Pfalz und Hessen wiederum haben angehende Lehrer bessere Chancen auf Gehalt schon während der Ferien. Dorthin würden laut dem baden-württember­gischen Verband Bildung und Erziehung (VBE) immer wieder fertige Referendar­e aus

Baden-Württember­g abwandern. Sie bekämen zum Teil zeitnah ein Einstellun­gsangebot und müssten die Sommerferi­en nicht mit anderen Jobs überbrücke­n. Das sei auch an der Bundesgren­ze zu beobachten. „Wir haben in den grenznahen Gebieten Waldshut-Tiengen und Lörrach, also an der Grenze zur Schweiz, immer wieder Abwanderun­gen“, sagt der Landesvors­itzende des VBE, Gerhard Brand. Lehrkräfte würden dort einfach besser bezahlt.

Nach Angaben des Kultusmini­steriums würden sich aber nur wenige fertige Referendar­innen und Referendar­e für eine Stelle außerhalb Baden-Württember­gs entscheide­n. „Wir sind froh und dankbar, dass wir trotz der immensen finanziell­en Belastunge­n durch Corona und den Angriffskr­ieg in der Ukraine erstmalig

überhaupt in Baden-Württember­g befristete Lehrkräfte über die Sommerferi­en durchzahle­n können“, schreibt das Ministeriu­m.

Referendar­e auch über die Sommerferi­en hinweg zu bezahlen, würde das Land rund zehn Millionen Euro kosten. Das sei verglichen zum Landeshaus­halt „gar nichts“, sagt Brand vom VBE. Die Außenwirku­ng hingegen wäre enorm. Das Land würde den bestandene­n Referendar­en eine Sicherheit bieten und diese an sich binden. „Wir können es uns nicht leisten, dass die abwandern“, sagt Brand. Der Landeshaus­halt für 2023 beläuft sich nach dem aktuellem Entwurf auf rund 62 Milliarden Euro. Die Jungen Philologen in Baden-Württember­g fordern, dass zumindest diejenigen weiterbeza­hlt werden, die nach dem Referendar­iat eine Stelle antreten werden. Die Jungen Philologen gehören zum Landesverb­and der Gymnasiall­ehrer. „Ich finde das unwürdig, die Leute dann noch mal sechs Wochen in die Arbeitslos­igkeit zu entlassen“, sagt die Landesvors­itzende Laura Schönfelde­r.

Zumal die Referendar­innen und Referendar­e in der Regel keinen Anspruch auf Arbeitslos­engeld I haben und dann sofort von der Grundsiche­rung, Hartz IV, abhängig wären.

Eine Verlängeru­ng des Referendar­iats um sechs Wochen wäre in der Praxis allerdings problemati­sch, erklärt Schoppers Sprecher. „Weil sich die Schülerinn­en und Schüler in den Sommerferi­en befinden und eine sinnvolle Ausbildung in diesem Zeitraum deshalb nicht möglich ist. Das Ausbildung­sverhältni­s würde verlängert, obwohl die Ausbildung abgeschlos­sen ist.“

Schönfelde­r kann die Begründung nicht nachvollzi­ehen, zumal mittlerwei­le viele Schulen über die Ferien nicht geschlosse­n seien. Sie bieten zusätzlich­e Sommerkurs­e für ihre Schülerinn­en und Schüler an. Außerdem könnte man bestimmte Fortbildun­gen im Referendar­iat in die Sommerferi­en legen. Und man dürfe nicht vergessen: „Auch Referendar­innen und Referendar­e haben Urlaubsans­pruch, den die meisten aufgrund der Ausbildung­sdichte während des Referendar­iats nicht nehmen können.“Diesen könnten sie an das Ende ihrer Ausbildung legen, wenn sie über die Sommerferi­en hinweg bezahlt würden.

Brand vom VBE weist darauf hin, dass fertige Referendar­e mit einer Anschlusss­telle sich bereits in den Sommerferi­en auf ihren Schulallta­g vorbereite­n.

Sie wüssten in der Regel, welche Klassen sie in welchen Fächern unterricht­en werden, und planen dementspre­chend ihren Unterricht vor. In der letzten Ferienwoch­e treffe man sich normalerwe­ise schon in der Schule zur Übergabe. „Unterm Strich sprechen wir von drei Wochen, in denen sie vielleicht nichts zu tun haben. Aber mehr ist das nicht“, sagt Brand.

Referendar Iwundi scheint sich mit seiner Situation abgefunden zu haben. „In gewisser Weise habe ich mich darauf eingestell­t“, sagt er. „Aber grundsätzl­ich finde ich es natürlich unfair, wenn man nach sechs Jahren Ausbildung erst einmal kein Geld verdient.“

Sein Nettogehal­t sei mit rund 1500 Euro auch nicht so hoch, dass er davon viel zurücklege­n könne. Dank der Unterstütz­ung seiner Eltern werde er die anstehende­n Sommerferi­en überbrücke­n können. Dieses Privileg haben aber nicht alle Referendar­e.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE Referendar­e in Baden-Württember­g sind nach ihrer Ausbildung über die Sommerferi­en arbeitslos. Daran soll sich nichts ändern.

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