Bio in der Krise
Hofläden und Wochenmarkthändler verzeichnen Umsatzeinbrüche. Wegen der allgemeinen Teuerung scheint höherpreisige Regio-Ware an Anklang zu verlieren. Dafür lockt der Discounter.
OBERTEURINGEN - Das Angebot macht Appetit: Ackersalat, Kopfsalat, Karotten, Äpfel – und einiges mehr, was in Beeten, auf Feldern sowie auf Bäumen regional wächst. Sichtlich frisch liegt die Ware im Marktstand von Wolfgang Reinsch. Es ist ein kalter Freitagmorgen. Der drahtige Mann steht auf dem kleinen Wochenmarkt in Oberteuringen, einer Gemeinde im Bodenseehinterland. Aufmunternd hat er für jeden, der bei ihm kauft, persönliche Worte: „Wie geht’s Ihnen?“„Darf ich alles zusammen in die Tasche tun?“Eine Ansprache, wie man sie von solchen Märkten kennt. Reinsch macht das Verkaufen sichtlich Spaß. Alles gut, könnte man meinen. Aber so ist es nicht. „Es könnte einfach mehr Kundschaft da sein“, sagt er fast schon verwundert.
Mit dieser Feststellung ist er nicht alleine. Im Gegenteil. Dahinter verbirgt sich eine heftige Krise, die Markthändler wie Reinsch und ebenso Hofladenbetreiber erwischt hat – also Leute, die auf die Theke bringen, was um die Ecke geerntet oder produziert wird, sei es von ihnen selbst, von benachbarten Bauern, Metzgern, Käsereien, Schnapsbrennern et cetera. Ein sprichwörtlich weites Feld. Doch diese Regio-Szene muss nach Einschätzungen der Landesbauernverbände in Baden-Württemberg und Bayern heuer mit rund 30 Prozent Umsatzeinbuße zurechtkommen. „Grundsätzlich sparen die Konsumenten beim Essen und wandern zu den Discountern ab“, hat Ariane Amstutz, Pressesprecherin des Südwest-Bauernverbandes in Stuttgart, festgestellt.
Das erst in jüngerer Vergangenheit gewachsene Netz der kleinen regionalen oder lokalen Lebensmittelverkäufer droht zu reißen – obwohl gesellschaftspolitisch gerne das Hohelied auf sie gesungen wird. Zum Beispiel hat das CDU-geführte baden-württembergische Landwirtschaftsministerium die Regionalkampagne „Natürlich. Von daheim“gestartet. Minister Peter Hauk kommentiert dazu: „Damit stärken wir den Wert von Lebensmitteln aus Baden-Württemberg und die Leistungen der Menschen, die hinter diesen Produkten stehen.“
Allgemein gilt das Angebot der Wochenmärkte und Hofläden vom Image her als hochwertig wie gesund. Die Anbieter setzen gerne auf Bio. Die Krux dabei: Ihre Preise liegen oft über jenen von Discountern – oder werden von Kunden zumindest gefühlt als höher betrachtet. Dies gilt vor allem, wenn Discounter mit herabgesetzten Lockangeboten punkten wollen.
Wer aber regelmäßig Kunde auf dem Markt oder beim Bauern ist, scheint zu dem tieferen Griff in den Geldbeutel bereit zu sein. „Da weiß ich, dass wir was Gescheites kaufen“, meint etwa ein reges Rentnerpaar, das bei Reinsch auf dem Oberteuringer Markt seinen Einkaufskorb mit Obst und Gemüse füllt. Der örtliche Vermarkter mutiert quasi zur Person des Vertrauens. Er ist dann so etwas wie der Gegenentwurf zum Discounter. Dem wird ja wiederum gerne das Klischee der wässrigen Hollandtomate oder des farb- wie geschmacklosen, in Plastik eingeschweißten Putenfleischs angehängt – industrielle Massenware eben.
„Nichts für uns“, meint das Rentnerpaar und legt im weiteren Gespräch Wert darauf, dass sein Qualitätslob nicht nur auf Reinsch alleine abzielt. Es gelte allgemein für Markthändler oder Hofladenbetrieber, betonen die beiden. Eine Wertschätzung, die durchaus häufig zu hören ist. Sie lässt sich durch eine Umfrage des Bundeslandwirtschaftsministeriums untermauern. 78 Prozent der Angesprochenen achten demnach beim Kauf von Lebensmitteln auf Regionalität – zumindest als theoretisches Lippenbekenntnis.
Die raue Wirklichkeit spiegelt dies gegenwärtig nicht wider. Warum? Reinsch tut sich hinter seinem Warenstand schwer damit, die Umsatzrückgänge zu verstehen: „Wir bieten doch dieselbe Ware in derselben Qualität wie im Frühjahr und im vergangenen Jahr an.“Wobei ihm bewusst ist, dass diese als gut empfundene Zeit jene der Corona-Einschränkungen seit März 2020 war. „Währenddessen sind die Leute aber wie verrückt gekommen“, erinnert sich Reinsch.
Tatsächlich haben Selbstvermarkter und Wochenmarkthändler seinerzeit laut Brancheninformationen ihre Umsätze in der Regel fühlbar steigern können. Über die Gründe wird spekuliert. Vielleicht wollten Menschen weg vom Supermarkt, wo sich die Massen hindurchzwängten und das Virus lauerte? Oder mancher entdeckte plötzlich die Neigung zu Essen, von dem man weiß, wo es herkommt?
Vermutlich spielte beides eine Rolle. So nennt der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft die Furcht vor einer Corona-Ansteckung als einen Grund für den Boom. Ein Indiz dafür ist, dass die Zahl jener, die sich sogar Gemüsekisten aus dem Hofladen vor die Haustür schicken ließen, offenbar rapide anstieg. Indes sah das Marktforschungsinstitut AMM ein steigendes Vertrauen der Verbraucher in Biobauern und deren Selbstvermarktung als weitere Motivation.
Felix Prinz zu Löwenstein frohlockte als Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft schon angesichts der Verkaufserfolge. Die Bundesregierung müsse diesen Schub dazu nutzen, um Bio-Anbau stärker zu fördern, forderte der bekannte Kritiker der industriellen Landwirtschaft. Womit er Ziele der Bundesregierung aufgreift. Sie will, dass 20 Prozent der deutschen Agrarfläche bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden. Die EU-Kommission gibt sich sogar noch ehrgeiziger. Sie zielt auf 25 Prozent der Felder ab.
Nur sollte es eben möglich sein, die Ware an Frau oder Mann zu bringen. Und da ist plötzlich Sand im Getriebe der Verkaufsmaschinerie. Wo er herkommen könnte, lässt sich erahnen: aus der Welt der Miseren, verknüpft in erster Linie mit dem Ukraine-Krieg. Verbraucher stoßen vielerorts auf steigende Preise. Speziell die Höhe der Energieabrechnungen ist schlecht abschätzbar. Was Lebensmittel angeht, sind sie im Vergleich zum Vorjahr rund 20 Prozent teurer geworden.
„Die Leute schauen schon eher wieder aufs Geld“, ist dementsprechend auch die momentane Erfahrung einer alten Bäuerin aus Gohren. Sie betreibt in diesem Weiler der Bodenseegemeinde Kressbronn einen Hofladen, recht klein, dafür urig. Abgewogen wird auf einer ehrwürdigen Tafelwaage mit ebenso ehrwürdigen Gewichten. Schon lange nicht mehr gesehen, denkt man sich.
Das Angebot besteht aus Obst, Gemüse, Eiern, Nüssen und einigem mehr. Ein paar Meter weiter des Weges bietet Markus Emser seine Waren feil, ein Landwirt mit Obsthof, wie so viele in der Bodenseeregion. „Das Angebot ist jahreszeitlich geprägt“, betont er. Dies soll heißen, dass sich etwa Obst in erster Linie aus Äpfeln und Birnen zusammensetzt. Aber so richtig in die Vollen greift die Kundschaft auch bei Emser wohl nicht mehr zu. „Es stimmt schon, die Leute sparen“, lautet eine seiner Anmerkungen.
Doch auch Hofladenbetreiber wie Emser stoßen auf ein Ausgabendilemma. Er verweist darauf, dass seine Kosten ebenso steigen würden wie jene der Kundschaft: „Schon beim Strom für die Kühlräume schlägt sich dies nieder.“Zumindest zum Teil müsse er dies auf seine Waren umlegen. Sonst könne er gleich zumachen.
Wie viel Preissteigerung macht die Kundschaft aber mit? Ab wann wird ihr das Ökoprodukt aus dem Dorf samt grünem Einkaufsgewissen einfach zu teuer? Erst im Januar hat eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers erwartbare Antworten gegeben. Demnach reagieren Verbraucher schnell auf Preissteigerungen. Sie würden dann im Supermarkt verstärkt zu günstigen Eigenmarken oder Produkten aus dem Sonderangebot greifen. Wem dies noch zu kostspielig sei, der gehe gleich zum Discounter.
Laut der Umfrage würde ein gutes Drittel der Angesprochenen Produkte wie Obst und Gemüse sowieso eher in diesen Niedrigpreisläden kaufen. Unschöne Umfragedaten für bäuerliche Selbstvermarkter und Markthändler. Doch so einfach in reine Verzweiflung ausbrechen möchte die Branche auch wieder nicht. Wolfgang Gölz, Vorsitzender des Bauernmarktvereins Alb-Donau-Kreis, glaubt: „Angesichts der überregionalen Krise ist vielen Menschen wieder die Wichtigkeit der regionalen Lebensmittelerzeugung deutlich geworden.“
„Gute etablierte Läden“, schätzt Stefanie Härtel vom Bayerischen Bauernverband, „können auf ihre Stammkundschaft setzen.“Eine Vermutung, die sich von Fall zu Fall bestätigen lässt – etwa in einem weiteren Hofladen der Bodenseeregion bei Langenargen-Oberdorf. Er ist zu einem modernen Shop ausgebaut. „Unsere üblichen Kunden“, erzählt die Frau hinter der Kasse, „kommen noch immer.“
Dem Augenschein nach scheint dies auch auf dem größten Wochenmarkt im südlichen Oberschwaben so zu sein: jenem in Ravensburg, sowieso eine traditionelle Einkaufsstadt. Wie gehabt ist viel los. Nur schimpft man dort unter Händlern, dass viele vermeintliche Kunden nur flanieren wollten. Gekauft werde woanders. „Wo es billiger ist“, lautet einmal mehr die Vermutung.
Die Ironie bei dieser Geschichte ist, dass die meisten Deutschen im Schnitt ausreichend Geld für kostspieligere Nahrungsmittel hätten. In den Jahren vor der jüngsten Krise verbrauchten sie gerade mal rund zwölf Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel. Was im EU-Vergleich sehr wenig ist.
In Deutschland konnte man dabei von anerkannt niedrigen Lebensmittelpreisen bei gleichzeitig relativ hohen Einkommen profitieren. Schon die benachbarten Franzosen gaben bis zu drei Prozent mehr für Lebensmittel aus. Spitzenreiter waren die armen Rumänen mit relativ hohen Preisen fürs Essen. Sie ließen dafür rund 27 Prozent ihres verfügbaren Einkommens liegen.
Solche Zahlen legen nahe, dass die Deutschen ihr Geld lieber für sonst was ausgeben. Tatsächlich hat das hierzulande größte Marktforschungsinstitut, die GfK, für den Sommer Folgendes festgestellt: Unter anderem wurde bei Lebensmitteln gespart, bei Reisen hingegen nicht.
Dahinter könnte sich aber ein urlaubslustiger Nachholbedarf nach Corona verbergen – also ein Einmaleffekt. Doch eine kürzliche Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband verweist durchaus auf eine spezielle Ausgabengewichtung der Deutschen. 61 Prozent von ihnen kaufen demnach in der Krise günstigere Lebensmittel. Aber nur gut ein Drittel verzichte derzeit auf Reisen oder reduziere diese.
So ähnlich spekuliert auch Reinsch hinter seinem Marktstand in Oberteuringen. Er meint schulterzuckend: „Qualität und Herkunft von Nahrungsmitteln scheinen manchen dann doch nicht so wichtig zu sein.“
„Grundsätzlich sparen die Konsumenten beim Essen und wandern zu den Discountern ab.“Ariane Amstutz, Sprecherin des baden-württembergischen Landesbauernverbandes