Medikamente aus zweiter Hand
Neuer Vorschlag des Bundesärztekammer-Präsidenten wegen akuter Infektionswelle und Arzneimittelknappheit
BERLIN (AFP) - Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat „Flohmärkte für Medikamente“vorgeschlagen. Angesichts der aktuellen Infektionswelle und wachsender Arzneimittelknappheit helfe nur Solidarität, sagte Reinhardt dem Berliner „Tagesspiegel“am Sonntag. Derweil fordern die Grünen in einem Krisenplan von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Sofortmaßnahmen für die medizinische Versorgung von Kindern. Reinhardt sagte, wer gesund sei, müsse vorrätige Arznei an Kranke abgeben. „Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.“Für solche Medikamenten-Flohmärkte könnten auch Arzneimittel infrage kommen, deren Haltbarkeitsdatum bereits einige Monate abgelaufen sei, sagte Reinhardt dem „Tagesspiegel“zufolge. In der Not könnten zahlreiche Medikamente immer noch gefahrlos verwendet werden.
Reinhardt sagte, es gehe auch darum, wieder zu lernen, „Krisenzeiten pragmatisch und standfest abzuwettern“. Danach könne und müsse wieder Grundsätzliches angegangen werden, wie die Reform der Arzneimittelproduktion.
Die Idee eines milliardenschweren Programms zum Aufkauf von Medikamenten weltweit sehe er kritisch: „Das hilft nicht. Andere Länder der Welt haben dasselbe Problem. Denen können wir doch die Arzneien nicht wegkaufen.“In der aktuellen Krankheitswelle gibt es Probleme bei der Versorgung mit gewissen Medikamenten, für Kinder fehlt etwa Fiebersaft. Die Grünen fordern von Bundesgesundheitsminister Lauterbach nach einem Bericht des „Spiegel“eine Reihe von Sofortmaßnahmen, um gegen fehlende Arzneien und Behandlungsmöglichkeiten für Kinder vorzugehen. In einem 4-Punkte-Krisenplan fordern sie etwa, dass Apotheken fehlende Medikamente zur Behandlung akuter Atemwegserkrankungen eigenständig und ohne erneutes Rezept durch den behandelnden Arzt oder die Ärztin herstellen dürfen.
Auch sollen sie Alternativprodukte ausgeben können, ohne dass dafür ein neues Rezept ausgestellt werden muss.
Zudem solle der Großhandel verpflichtet werden, alle Medikamente, die von der Weltgesundheitsorganisation in der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel geführt werden, zu bevorraten, berichtete das Magazin.
Inzwischen kommt es aufgrund der Überlastung vor allem von Kinderkliniken nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zunehmend zu Anfeindungen oder sogar Übergriffen gegen die dort Beschäftigten. „Es häufen sich Fälle von Androhung oder der tatsächlichen Ausübung psychischer und physischer Gewalt gegenüber dem Gesundheitspersonal“, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt der „Rheinischen Post“vom Samstag.
Wegen der Lieferengpässe bei Medikamenten für Kinder forderte die bayerische Staatsregierung mehr Kooperation im Gesundheitswesen und den Aufbau eines Zentrallagers. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der Sendung „Sonntags-Stammtisch“des BR Fernsehens, er sehe zwei Lösungsansätze. Entweder müsse die Politik dafür sorgen, dass der Großhandel eine andere Bevorratung mache, oder man müsse eine staatliche Planung für einen Grundstock an Medikamenten machen.
Sollte der Bund nicht tätig werden, könne auch Bayern ein Zentrallager für Arzneimittel allein aufbauen, sagte Söder.