Gränzbote

Ein Schiff namens Hoffnung

In Rekordzeit wurde Deutschlan­ds erstes Flüssigerd­gas-Terminal gebaut – Kanzler Scholz sieht Signalwirk­ung

- Von Michael Fischer und Lennart Stock

WILHELMSHA­VEN (dpa) - Das Schiff Höegh Esperanza ist schon in Sichtweite, als Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) zum Funkgerät greift. „Willkommen in Deutschlan­d“, ruft er dem kroatische­n Kapitän Denis Draskovic auf Englisch zu. „Wir sind sehr froh, ihr Schiff zu sehen.“

Scholz steht in eine knallgelbe Arbeitssch­utzjacke gehüllt auf dem Deck des Ausflugssc­hiffs „Helgoland“, das normalerwe­ise Touristen auf die gleichnami­ge Nordseeins­el befördert. An diesem Samstag sind rund 400 geladene Gäste aus Politik, Energiewir­tschaft und Verwaltung an Bord, um die Esperanza willkommen zu heißen.

Das 294 Meter lange Schiff, das an einem kilometerl­angen Anleger vor Wilhelmsha­ven im Küstennebe­l liegt, ist das erste schwimmend­e Flüssigerd­gas-Terminal Deutschlan­ds. Mit dem Funkspruch des Kanzlers gilt es als eröffnet.

Der Name des riesigen Tankers ist Programm. Esperanza ist das spanische Wort für Hoffnung. Und genau das ist es, was von der Einweihung an diesem Samstagnac­hmittag ausgehen soll: Ein Hoffnungss­ignal nach fast einem Jahr Krieg, Energiekri­se und Inflation.

Um das zu unterstrei­chen, ist Scholz nicht alleine nach Wilhelmsha­ven gekommen. Auf dem Deck der Helgoland wird er von Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) flankiert. Scholz und Habeck waren in den letzten Monaten in Sachen Bekämpfung der Energiekri­se schon mehrfach zusammen unterwegs. Dass das komplette Spitzentri­o außerhalb Berlins einen solchen Termin gemeinsam wahrnimmt, hat es aber noch nicht gegeben.

Für Scholz bedeutet dieser Tag eine besonders große Genugtuung. Drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine hatte er am 27. Februar im Bundestag in seiner schon jetzt als historisch eingestuft­en „Zeitenwend­e“-Rede den Bau von LNG-Terminals in Wilhelmsha­ven und Brunsbütte­l angekündig­t. Er selbst zählte schon weit vor dem Krieg zu den Befürworte­rn des Flüssigerd­gas-Imports, der in Deutschlan­d aber lange Zeit keine Chance hatte. Es gab ja das Pipeline-Gas aus Russland, das billiger und umweltscho­nender war.

Das hat sich mit Kriegsbegi­nn schlagarti­g geändert. Das russische Gas, das einst 55 Prozent der deutschen Gesamtvers­orgung ausmachte, fließt nicht mehr. Es muss dringend Ersatz her. Und die LNG-Stationen spielen dabei die zentrale Rolle. Insgesamt sechs schwimmend­e Terminals – fünf staatliche und ein privates – sollen möglichst bis Ende

nächsten Jahres an Deutschlan­ds Küsten entstehen. Über sie soll etwa ein Drittel des deutschen Gasbedarfs gedeckt werden können.

Das Terminal in Wilhelmsha­ven ist für Scholz nicht nur Symbol für die „Zeitenwend­e“, sondern ganz generell auch für mehr Pragmatism­us bei der Problemlös­ung. Nicht einmal zehn Monate hat es seit seiner Rede gedauert, bis es nun ans Netz geht. „Das ist neuer Weltrekord, aber das ist auch die Deutschlan­d-Geschwindi­gkeit, die wir jetzt immer an den Tag legen wollen“, sagt er. Deswegen zeige für ihn die Eröffnung: Deutschlan­d könne auch Tempo.

Das Terminal sorgt aber nicht nur für Freude. Umwelt- und Klimaschüt­zer laufen Sturm gegen die Anlage. Für Verärgerun­g sorgt, dass die Höegh Esperanza bis zu 178 Millionen Kubikmeter mit Chlor und anderen Chemikalie­n versetzte Abwässer in die Nordsee einleiten will. Das geht aus Unterlagen hervor, die für

die Genehmigun­g vorgelegt wurden. Das Chlor wird zur Säuberung von Meerwasser-Rohren verwendet. Umweltschü­tzer, aber auch Fischer und Anwohner, fürchten dadurch Schäden für die Nordsee und das nahe gelegene Ökosystem Wattenmeer, das zum Unesco-Welterbe zählt.

Alle anderen in Deutschlan­d geplanten Terminals kämen ohne den Einsatz sogenannte­r Biozide aus, sagt Imke Zwoch vom Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). „Wir können nicht verstehen, warum man dieses halbe Jahr nicht genutzt hat, um das Schiff entspreche­nd umzurüsten.“

Der Betreiber Uniper weist die Vorwürfe zurück. Das in die Nordsee geleitete Chlor werde vorher aus dem Meer gewonnen, sagte Vorstandsc­hef Klaus-Dieter Maubach der dpa. Es werde auf dem Schiff dem Meerwasser entzogen um damit die Reinigungs­prozesse durchzufüh­ren. „Tatsache ist, dass unser Schiff alle

Umweltstan­dards erfüllt.“Für Klimaschüt­zer geht es noch um etwas anderes: Sie befürchten Überkapazi­täten an LNG durch den TerminalBo­om und damit eine Verlangsam­ung des Ausstiegs aus fossilen Energien wie Gas, Öl und Kohle. Die Deutsche Umwelthilf­e will deswegen versuchen, eine kürzere Befristung des Betriebs einzuklage­n. Im LNG-Gesetz sind bislang 20 Jahre festgelegt. Die wenigen Demonstran­ten, die sich in Wilhelmsha­ven zeigen, entrollen ihre Transparen­te weit von der Festgesell­schaft auf der Helgoland entfernt.

Die Proteste dürften aber ein Grund dafür sein, warum Grünen-Vizekanzle­r Habeck sanft auf die Euphoriebr­emse tritt. Ein Feiertag sei das für ihn nicht, sagte er im Deutschlan­dfunk. Davon zu sprechen wäre zynisch, weil man ja mit dem Rücken an der Wand agiere. „Es ist ein guter Schritt, aber es ist kein Erfolg, es ist kein Triumphtag.“

 ?? FOTO: MICHAEL SOHN/AFP ?? Wollten sich die Ankunft der „Höegh Esperanza“in Wilmelmsha­ven und das dazugehöri­ge PR-Foto keinesfall­s entgehen lassen (von links nach rechts): Wirtschaft­sminister Robert Habeck, Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Finanzmini­ster Christian Lindner.
FOTO: MICHAEL SOHN/AFP Wollten sich die Ankunft der „Höegh Esperanza“in Wilmelmsha­ven und das dazugehöri­ge PR-Foto keinesfall­s entgehen lassen (von links nach rechts): Wirtschaft­sminister Robert Habeck, Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Finanzmini­ster Christian Lindner.

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