Ein Schiff namens Hoffnung
In Rekordzeit wurde Deutschlands erstes Flüssigerdgas-Terminal gebaut – Kanzler Scholz sieht Signalwirkung
WILHELMSHAVEN (dpa) - Das Schiff Höegh Esperanza ist schon in Sichtweite, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Funkgerät greift. „Willkommen in Deutschland“, ruft er dem kroatischen Kapitän Denis Draskovic auf Englisch zu. „Wir sind sehr froh, ihr Schiff zu sehen.“
Scholz steht in eine knallgelbe Arbeitsschutzjacke gehüllt auf dem Deck des Ausflugsschiffs „Helgoland“, das normalerweise Touristen auf die gleichnamige Nordseeinsel befördert. An diesem Samstag sind rund 400 geladene Gäste aus Politik, Energiewirtschaft und Verwaltung an Bord, um die Esperanza willkommen zu heißen.
Das 294 Meter lange Schiff, das an einem kilometerlangen Anleger vor Wilhelmshaven im Küstennebel liegt, ist das erste schwimmende Flüssigerdgas-Terminal Deutschlands. Mit dem Funkspruch des Kanzlers gilt es als eröffnet.
Der Name des riesigen Tankers ist Programm. Esperanza ist das spanische Wort für Hoffnung. Und genau das ist es, was von der Einweihung an diesem Samstagnachmittag ausgehen soll: Ein Hoffnungssignal nach fast einem Jahr Krieg, Energiekrise und Inflation.
Um das zu unterstreichen, ist Scholz nicht alleine nach Wilhelmshaven gekommen. Auf dem Deck der Helgoland wird er von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) flankiert. Scholz und Habeck waren in den letzten Monaten in Sachen Bekämpfung der Energiekrise schon mehrfach zusammen unterwegs. Dass das komplette Spitzentrio außerhalb Berlins einen solchen Termin gemeinsam wahrnimmt, hat es aber noch nicht gegeben.
Für Scholz bedeutet dieser Tag eine besonders große Genugtuung. Drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte er am 27. Februar im Bundestag in seiner schon jetzt als historisch eingestuften „Zeitenwende“-Rede den Bau von LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel angekündigt. Er selbst zählte schon weit vor dem Krieg zu den Befürwortern des Flüssigerdgas-Imports, der in Deutschland aber lange Zeit keine Chance hatte. Es gab ja das Pipeline-Gas aus Russland, das billiger und umweltschonender war.
Das hat sich mit Kriegsbeginn schlagartig geändert. Das russische Gas, das einst 55 Prozent der deutschen Gesamtversorgung ausmachte, fließt nicht mehr. Es muss dringend Ersatz her. Und die LNG-Stationen spielen dabei die zentrale Rolle. Insgesamt sechs schwimmende Terminals – fünf staatliche und ein privates – sollen möglichst bis Ende
nächsten Jahres an Deutschlands Küsten entstehen. Über sie soll etwa ein Drittel des deutschen Gasbedarfs gedeckt werden können.
Das Terminal in Wilhelmshaven ist für Scholz nicht nur Symbol für die „Zeitenwende“, sondern ganz generell auch für mehr Pragmatismus bei der Problemlösung. Nicht einmal zehn Monate hat es seit seiner Rede gedauert, bis es nun ans Netz geht. „Das ist neuer Weltrekord, aber das ist auch die Deutschland-Geschwindigkeit, die wir jetzt immer an den Tag legen wollen“, sagt er. Deswegen zeige für ihn die Eröffnung: Deutschland könne auch Tempo.
Das Terminal sorgt aber nicht nur für Freude. Umwelt- und Klimaschützer laufen Sturm gegen die Anlage. Für Verärgerung sorgt, dass die Höegh Esperanza bis zu 178 Millionen Kubikmeter mit Chlor und anderen Chemikalien versetzte Abwässer in die Nordsee einleiten will. Das geht aus Unterlagen hervor, die für
die Genehmigung vorgelegt wurden. Das Chlor wird zur Säuberung von Meerwasser-Rohren verwendet. Umweltschützer, aber auch Fischer und Anwohner, fürchten dadurch Schäden für die Nordsee und das nahe gelegene Ökosystem Wattenmeer, das zum Unesco-Welterbe zählt.
Alle anderen in Deutschland geplanten Terminals kämen ohne den Einsatz sogenannter Biozide aus, sagt Imke Zwoch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Wir können nicht verstehen, warum man dieses halbe Jahr nicht genutzt hat, um das Schiff entsprechend umzurüsten.“
Der Betreiber Uniper weist die Vorwürfe zurück. Das in die Nordsee geleitete Chlor werde vorher aus dem Meer gewonnen, sagte Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach der dpa. Es werde auf dem Schiff dem Meerwasser entzogen um damit die Reinigungsprozesse durchzuführen. „Tatsache ist, dass unser Schiff alle
Umweltstandards erfüllt.“Für Klimaschützer geht es noch um etwas anderes: Sie befürchten Überkapazitäten an LNG durch den TerminalBoom und damit eine Verlangsamung des Ausstiegs aus fossilen Energien wie Gas, Öl und Kohle. Die Deutsche Umwelthilfe will deswegen versuchen, eine kürzere Befristung des Betriebs einzuklagen. Im LNG-Gesetz sind bislang 20 Jahre festgelegt. Die wenigen Demonstranten, die sich in Wilhelmshaven zeigen, entrollen ihre Transparente weit von der Festgesellschaft auf der Helgoland entfernt.
Die Proteste dürften aber ein Grund dafür sein, warum Grünen-Vizekanzler Habeck sanft auf die Euphoriebremse tritt. Ein Feiertag sei das für ihn nicht, sagte er im Deutschlandfunk. Davon zu sprechen wäre zynisch, weil man ja mit dem Rücken an der Wand agiere. „Es ist ein guter Schritt, aber es ist kein Erfolg, es ist kein Triumphtag.“