Das schwierige Vermächtnis des „Monsieur Euro“
Jean-Claude Trichet wird 80 Jahre alt – Der einstige EZB-Präsident brach ein Tabu und ist trotzdem noch ein sehr gefragter Ratgeber
(dpa) - Nach seinem Alter gefragt, kommt Jean-Claude Trichet ins Schmunzeln: „Ich habe nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht“, sagt der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), der am Dienstag (20. Dezember) seinen 80. Geburtstag begeht. „Die französische Zentralbank hat die Tradition, den 80. Geburtstag ihres ehemaligen Gouverneurs zu feiern“, schildert der weißhaarige Franzose im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt. „Es hat mich daran erinnert, dass ich bereits 80 Jahre alt bin, was ich, um ehrlich zu sein, nicht erwartet hatte.“
Trichet ist ein gefragter Ratgeber. Auch wenn er das Amt als oberster Euro-Währungshüter vor mittlerweile mehr als elf Jahren abgab – die Expertise und das diplomatische Geschick des überzeugten Europäers werden weltweit geschätzt. „Meine Frau beklagt, dass meine freie Zeit so eng bemessen zu sein scheint wie zu meiner Zeit als EZB-Präsident – und das ist nicht vollkommen falsch“, hatte Trichet anlässlich seines 75. Geburtstags gesagt.
Als oberster Euro-Währungshüter steuerte der Franzose die europäische Gemeinschaftswährung durch die Finanzkrise. Nach der Pleite
der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 wurden die führenden Zentralbanken zur Feuerwehr der Finanzmärkte. 2010 folgte die nächste Krise: Etliche Staaten Europas mussten eingestehen, jahrelange über ihre Verhältnisse gelebt zu haben, die Staatsverschuldung erreicht in einigen Fällen bedrohliche Ausmaße.
Aus Furcht, dass der Euroraum auseinanderdriftet, brach die EZB unter Trichets Ägide mit einem Tabu: Die Notenbank kaufte Anleihen
von klammen Eurostaaten wie Griechenland, um diesen Ländern unter die Arme zu greifen. „Ich weiß, dass einige dieser Entscheidungen nicht unbedingt von allen gutgeheißen wurden“, sagte Trichet später. „Aber ich bin überzeugt, dass sie notwendig waren – insbesondere in Europa.“Der damalige Bundesbankpräsident Axel Weber stellte sich im Mai 2010 öffentlich gegen die Anleihekäufe und warf wenig später hin.
Fast wäre es gar nicht so weit gekommen: Beinahe hätte ein Finanzskandal
um die frühere Staatsbank Crédit Lyonnais Trichets Ambitionen vereitelt, zweiter Präsident der 1998 gegründeten EZB zu werden. Ein lupenreiner Freispruch im Pariser Strafprozess um gefälschte Bilanzen und Falschinformationen Mitte Juni 2003 machten den Weg frei für den damaligen Chef der französischen Zentralbank: Trichet übernahm vom 1. November 2003 bis zum 31. Oktober 2011 die Führung der Europäischen Zentralbank.
Expertise hatte der in Lyon geborene Sohn eines Altphilologen zuvor reichlich gesammelt. Trichet studiert zunächst Bergbauingenieurwesen und anschließend an Frankreichs Kaderschmiede Ecole Nationale d'Administration (ENA) Wirtschaftswissenschaften. Anfang der 1970er Jahre beginnt Trichets Karriere im Finanzministerium in Paris, wo er sich schließlich bis zum Posten des Staatssekretärs hocharbeitet. Im Herbst 1993 wechselt er an die Spitze der Banque de France.
Schon in dieser Position tritt der parteilose Währungshüter gegen politischen Widerstand für stabile Preise und eine starke Währung ein – und betont die Unabhängigkeit der Geldpolitik („Wir tun, was wir für richtig halten.“). Wegen dieser Prinzipientreue wird Trichet in seiner Heimat zeitweise als „Klon der Bundesbank“verspottet.
Zugleich jedoch würdigt ihn das Magazin „L'Express“einmal als „kultiviertesten Beamten Frankreichs“– wegen seiner Begeisterung für Literatur und Oper. „Früher habe ich selbst Gedichte geschrieben, aber derzeit spiele ich nicht mit dem Gedanken, das wieder zu tun“, sagt Trichet später kurz vor seinem 75. Geburtstag.
An die acht Jahre, die er beruflich in Frankfurt verbrachte, denkt der in Paris lebende Trichet nach eigenem Bekunden gerne zurück: „Meine acht Jahre in Frankfurt waren acht Jahre der Entdeckung der Stadt und auch der Landschaft, des Taunus. Meine Frau schätzte die weltoffene Kultur Frankfurts.“Und immer wieder stattet der ehemalige EZB-Präsident seiner alten Wirkungsstätte einen Besuch ab – so wie jüngst im November, als er sich beim „Frankfurt European Banking Congress“mit der amtierenden EZB-Präsidentin Christine Lagarde austauschte.
Gefeiert wird auch der runde Geburtstag im Kreise der Familie, wie der Vater zweier Söhne verrät. An die Nähe seines Wiegenfestes zu Weihnachten habe er sich schon als Kind gewöhnt, sagte Jean-Claude Trichet einmal: „Für mich war das immer der Start meiner persönlichen Festperiode. Aber mein Geburtstag steht nicht im Wettbewerb zu Weihnachten!“