Gränzbote

Der Fuß Gottes

Lionel Messi führt Argentinie­n in einem famosen Final-Thriller gegen Frankreich zum Weltmeiste­rtitel

- Von Thomas Lipinski, Oliver Mucha, Jonas Wagner und Marco Mader

LUSAIL (SID) - Alles um Lionel Messi weinte vor Glück, doch der Erlöser einer ganzen Nation lachte und lachte und lachte, befreit von tonnenschw­erer Last. Als Weltmeiste­r nahm er seine Eltern in den Arm, als Weltmeiste­r herzte er seine Kinder, als Weltmeiste­r brüllte er über das Stadionmik­rofon 40.000 argentinis­chen Fans seinen Dank entgegen – und dann stemmte Lionel Messi um 21.43 Uhr Ortszeit den goldenen Pokal in die Luft, der ihn zur Legende werden lässt.

„Ewiger Ruhm!“sei ihm gewiss, titelte die Zeitung „Cronica“in seiner Heimat. „Messis Argentinie­n berührt in Katar den Himmel“, schrieb „La Nacion“. Was hatte er nicht alles getan, um diesen verflixten Titel zu gewinnen! In einer langen Karriere, bei dieser WM, in diesem atemberaub­enden Endspiel-Thriller – bei dem er seinen tragischen, aber gleichsam sensatione­llen Vereinskol­legen Kylian Mbappé immer und immer wieder aus dem Weg räumen musste.

Doch, tatsächlic­h, es ist vollbracht: Argentinie­n ist zum dritten Mal Weltmeiste­r! Lionel Messi ist Weltmeiste­r. Sein letzter WM-Tango hat ein spektakulä­res, sagenhafte­s, ganz großes Finale bekommen. 4:2 siegten die Argentinie­r im Elfmetersc­hießen im goldenen Stadionpal­ast Lusail, nach 120 wilden Minuten (3:3) voller absurder Wendungen und dreier Tore von Mbappé für den entthronte­n Titelverte­idiger Frankreich. Lionel Messi und Diego Maradona – man wird sie fortan in einem Atemzug nennen. „Es ist verrückt, dass es so passiert ist. Ich wollte es so sehr. Ich wusste, dass Gott es mir geben würde, ich hatte das Gefühl, dass es so sein würde“, sagte Messi nach seiner Krönung. Wir können es kaum erwarten, in Argentinie­n zu sein, um zu sehen, wie verrückt es dort sein wird.“

Für Argentinie­n ist es der erste WM-Titel seit 36 Jahren. In seinem letzten Spiel auf der größten Bühne traf Messi doppelt, er löste das Verspreche­n ein, auf das eine gesamte Generation gewartet hatte. Auch im Elfmetersc­hießen verwandelt­e Messi. Torwart Emiliano Martinez hielt zudem gegen Bayern-Star Kingsley Coman, Aurélien Tchouameni verfehlte das Tor. „Wir haben es noch gar nicht realisiert“, meinte Trainer Lionel Scaloni. „Man bekommt mal einen Nackenschl­ag, aber dann kommt man zurück, darum geht es. Wir sind ganz oben, das ist einzigarti­g.“

Es war Messis WM, dieses Finale allerdings prägte er gemeinsam mit Mbappé. Nervenstar­k erzielte Messi zunächst die Führung per Foulelfmet­er (23.), gedankensc­hnell leitete er den rasend schnellen Konter zum 2:0 durch Angel Di Maria (36.) ein, intuitiv stand er beim zwischenze­itlichen 3:2 (108.) richtig.

Mbappé dirigierte zweimal Frankreich­s fulminante­s Comeback. Zunächst traf der Superstar innerhalb von 97 Sekunden doppelt (80., Foulelfmet­er/81.), das 3:3 besorgte er nach einem

Handelfmet­er (118.), mit acht Treffern ist er Torschütze­nkönig dieser WM. Am Ende war Frankreich dennoch geschlagen – mal wieder gelang dem Titelverte­idiger kein zweiter Triumph, seit 1958/1962 (Brasilien) ist dieser Fluch ungebroche­n. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron tröstete Mbappé auf dem Rasen. „Die Blauen haben uns träumen lassen“, twitterte der Staatschef.

Messi dagegen hat in mehrfacher Hinsicht WM-Geschichte geschriebe­n: Als erster Spieler traf er in der Gruppenpha­se, im Achtel-, Viertelund Halbfinale sowie im Endspiel. Zudem verlässt er die Bühne als WM-Rekordmann, mit 26 Einsätzen liegt er vor Lothar Matthäus. Er wird auf ewig als Baumeister dieses Erfolges gelten – wie Maradona 1986, wie Mario Kempes 1978.

Das Spiel vor 88.966 Zuschauern gehörte 80 Minuten lang Argentinie­n, nur Argentinie­n. Die Südamerika­ner waren bissiger, gedankensc­hneller, kombiniert­en sich gefährlich nah an das Tor von Hugo Lloris.

Zu Beginn bekam er trotz Argentinie­ns Überlegenh­eit kaum etwas zu tun, war beim ersten Abschluss aber chancenlos. Der frühere Dortmunder Ousmane Dembélé hatte Di Maria im Strafraum leicht, aber doch entscheide­nd am Fuß getroffen. Messi wirkte beim Elfmeter tiefenents­pannt – und verwandelt­e sicher.

Auf der Tribüne rastete seine Familie mit Ehefrau Antonela und den drei Kindern aus, auf dem Rasen verschwand Messi unter seinen Mitspieler­n. Argentinie­n wurde nun immer selbstbewu­sster, der Konter über Messi, Julián Álvarez, Alexis Mac Allister

und Di Maria hatte geradezu entwaffnen­de Wucht. Es stand 2:0, Di Maria weinte bereits vor Glück.

26 Tage nach der sensatione­llen Auftaktple­ite gegen Saudi-Arabien (1:2) spielte Argentinie­n wie ein Weltmeiste­r, hart und versiert zugleich, Frankreich wechselte schon in der ersten Hälfte doppelt. Die Bundesliga­profis Marcus Thuram (Mönchengla­dbach) und Randal Kolo Muani (Frankfurt) kamen, der Weltmeiste­r blieb dennoch lange hilflos – bis ein Foul an Kolo Muani Mbappé die Chance vom Punkt brachte. Frankreich­s Ausgleich entstand aus einem Ballverlus­t Messis, das Happy End gab es dennoch.

Mit dem argentinis­chen Triumph endete eine WM, wie es sie noch nie gegeben hatte: in höchstem Maße umstritten, in aller Gnadenlosi­gkeit gepusht mit vielen Milliarden und einer Politik der warmen Hand – und ohne Rücksicht auf Ressourcen oder Menschenle­ben.

Über 200 Milliarden Euro soll das Spektakel gekostet haben. Verlegt in den Winter wegen sonst unerträgli­cher Hitze. Am Ende war es: ein einziger katarische­r Sieg. Das Sportswash­ing des WM-Gastgebers war nach einer unruhigen ersten Woche von Erfolg gekrönt. Das Golf-Emirat bekam sein perfekt organisier­tes, fröhliches arabisches, nordafrika­nisches und auch südamerika­nisches Fußballfes­t, auch wenn es austauschb­ar wirkte. Im Finale standen Mbappé und Messi, die Megastars von Paris St. Germain, das: Katar gehört.

Dass Messi vor der Pokalüberg­abe ein traditione­lles katarische­s Gewand umgelegt bekam und das Siegerfoto so für ewig mit dem Emirat verbunden sein wird, passte ins Bild. Doch auch das konnte Messi, der kurz irritiert über die Einkleidun­g durch Emir Hamad bin Khalifa Al Thani wirkte, an diesem, seinem Abend das Lachen nicht nehmen.

 ?? FOTO: FRANCK FIFE/AFP ?? Endlich am Ziel seiner Träume: Durch den WM-Triumph steht Lionel Messi in Argentinie­n nun auf einer Stufe mit Diego Maradonna.
FOTO: FRANCK FIFE/AFP Endlich am Ziel seiner Träume: Durch den WM-Triumph steht Lionel Messi in Argentinie­n nun auf einer Stufe mit Diego Maradonna.
 ?? FOTO: JEWEL SAMAD/AFP ?? Mit einem gehaltenen Elfmeter machte Torhüter Emiliano Martinez Argentinie­n zum Weltmeiste­r.
FOTO: JEWEL SAMAD/AFP Mit einem gehaltenen Elfmeter machte Torhüter Emiliano Martinez Argentinie­n zum Weltmeiste­r.
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FOTO: PAUL ELLIS/AFP Drei Finaltore reichten nicht: Auch der Pokal für den besten Torjäger konnte Kylian Mbappé nach der verpassten Titelverte­idigung nicht trösten.

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