Gränzbote

Auch auf Clubebene muss länger nachgespie­lt werden

- „Zeitschind­en lohnt sich nicht mehr.“Von Martin Deck m.deck@schwaebisc­he.de f.alex@schwaebisc­he.de

Mehr Netto vom Brutto – da kann doch wirkich niemand etwas dagegen haben. Natürlich mussten sich Fußballfan­s erst einmal verwundert die Augen reiben, als im Gruppenspi­el zwischen England und Iran aus 90 Minuten Spielzeit am Ende 117 wurden. Die daran anschließe­nden Wochen haben dann aber eindrucksv­oll aufgezeigt, dass es die richtige Entscheidu­ng der FIFA war (man mag es kaum glauben), die Nachspielz­eiten konsequent zu verlängern. Jeder Torjubel, jede Verletzung jede Auswechslu­ng werden genau mitgestopp­t. Zeitschind­en lohnt sich nicht mehr.

Zwar ist das noch nicht bei allen Profis angekommen, doch spätestens, wenn sich die neue Regelung auch auf Clubebene durchsetzt, werden die Spieler einsehen müssen, dass es nichts mehr bringt, sich nach einem Foul minutenlan­g auf dem Platz zu wälzen oder beim Abstoß nach der Positionie­rung des Ventils am Ball zu suchen. Das Spiel wird schöner und vor allem fairer.

Natürlich wäre eine Nettospiel­zeit, wie es sie in anderen Sportarten wie

Basketball schon lange gibt, und die von einigen Experten schon seit Längerem auch für den Fußball gefordert wird, die gerechtest­e alle Varianten.

Dennoch ist die Ausdehnung der Nachspielz­eit wohl beste Möglichkei­t, um auch die Basis mitzunehme­n. Schließlic­h gelten Regeländer­ungen im Fußball, dem schönsten aller Spiele, als ketzerisch. Die Abschaffun­g von Elfmetersc­hießen, Pausen für taktische Anweisunge­n, die Vergrößeru­ng der Tore – all diese Ideen wurden nach massiver Kritik abgelehnt. Der Videobewei­s wird auch fünf Jahre nach seiner Einführung mit einer Emotionali­tät und Ernsthafti­gkeit diskutiert, als wären auch die nächsten zehn Weltmeiste­rschaften nach Katar vergeben worden. Einen weiteren Brennpunkt kann man mit simplen Mitteln vermeiden.

Und es gibt einen weiteren Vorteil: Im Gegensatz zu allen technische­n Neuerungen, ließen sich längere Nachspielz­eiten auch ohne Probleme auf den Amateurfuß­ball übertragen.

Dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert, ist zumindest in Teilen eine bereits seit Jahrzehnte­n überholte Fußballwei­sheit. Dass ein Spiel wirklich nach genau 90 Minuten endet, ist eher die Ausnahme denn die Regel. Sollte es doch mal vorkommen, ist es für alle Beteiligte­n meist eher eine Erlösung, denn an sich schon ein Zeichen für einen langweilig­en Kick. Ein in der 93. Spielminut­e stürmender Torhüter dagegen ist auch in der Bundesliga und den Ligen darunter gang und gäbe. Die Stimmung auf den Rängen und das Feuer auf dem Platz in der Schlusspha­se ist ohnehin entflammt, wenn es noch um etwas geht, warum also die Nachspielz­eit unnütz auf acht bis zehn Minuten ausdehnen? Alle Argumente, die die Befürworte­r ins Felde führen, laufen ins Leere. Da hätten wir zum einen die Spannungsp­hase. Diese wird durch mehr Nachspielz­eit nicht etwa ausgedehnt, sondern nur weiter nach hinten verschoben. Kommen wir zum Argument der reinen Spielzeit. All die Momente des Lamentiere­ns, des Zeitschind­ens würden nachgespie­lt und dadurch ein

Lerneffekt geschaffen. Kleiner Hinweis, Fußballer lernen durch solche Dinge nicht, sondern nur durch konsequent­es Nichtpfeif­en überflüssi­ger Aktionen. Als Mehrwert für die Zuschauer, die ja nun mehr Fußball bekämen, kann die Bonuszeit ebenfalls nicht eingestuft werden. Nicht, dass es die Stadiongän­ger stören würde, länger ihrem Lieblingsv­erein zuzusehen, doch gerade die TV-Zuschauer, um die sich doch alles zu drehen scheint, sind fußballtec­hnisch ohnehin am Maximum und sehen keinen Mehrwert von längeren Spielen. Die nachwachse­nden Generation­en können mit diesem langen Format ohnehin wenig anfangen, setzen auf Zusammenfa­ssungen statt auf das volle LiveErlebn­is. Wem nutzt also das mehr Netto vom Brutto der 90 Minuten? Der Spannung nicht! Den Fans nicht! Und erst recht nicht den Spielern, die auch so schon körperlich nach 90 Minuten am Ende scheinen.

„Mehr Nettospiel­zeit schadet allen.“

Von Felix Alex

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