Auch auf Clubebene muss länger nachgespielt werden
Mehr Netto vom Brutto – da kann doch wirkich niemand etwas dagegen haben. Natürlich mussten sich Fußballfans erst einmal verwundert die Augen reiben, als im Gruppenspiel zwischen England und Iran aus 90 Minuten Spielzeit am Ende 117 wurden. Die daran anschließenden Wochen haben dann aber eindrucksvoll aufgezeigt, dass es die richtige Entscheidung der FIFA war (man mag es kaum glauben), die Nachspielzeiten konsequent zu verlängern. Jeder Torjubel, jede Verletzung jede Auswechslung werden genau mitgestoppt. Zeitschinden lohnt sich nicht mehr.
Zwar ist das noch nicht bei allen Profis angekommen, doch spätestens, wenn sich die neue Regelung auch auf Clubebene durchsetzt, werden die Spieler einsehen müssen, dass es nichts mehr bringt, sich nach einem Foul minutenlang auf dem Platz zu wälzen oder beim Abstoß nach der Positionierung des Ventils am Ball zu suchen. Das Spiel wird schöner und vor allem fairer.
Natürlich wäre eine Nettospielzeit, wie es sie in anderen Sportarten wie
Basketball schon lange gibt, und die von einigen Experten schon seit Längerem auch für den Fußball gefordert wird, die gerechteste alle Varianten.
Dennoch ist die Ausdehnung der Nachspielzeit wohl beste Möglichkeit, um auch die Basis mitzunehmen. Schließlich gelten Regeländerungen im Fußball, dem schönsten aller Spiele, als ketzerisch. Die Abschaffung von Elfmeterschießen, Pausen für taktische Anweisungen, die Vergrößerung der Tore – all diese Ideen wurden nach massiver Kritik abgelehnt. Der Videobeweis wird auch fünf Jahre nach seiner Einführung mit einer Emotionalität und Ernsthaftigkeit diskutiert, als wären auch die nächsten zehn Weltmeisterschaften nach Katar vergeben worden. Einen weiteren Brennpunkt kann man mit simplen Mitteln vermeiden.
Und es gibt einen weiteren Vorteil: Im Gegensatz zu allen technischen Neuerungen, ließen sich längere Nachspielzeiten auch ohne Probleme auf den Amateurfußball übertragen.
Dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauert, ist zumindest in Teilen eine bereits seit Jahrzehnten überholte Fußballweisheit. Dass ein Spiel wirklich nach genau 90 Minuten endet, ist eher die Ausnahme denn die Regel. Sollte es doch mal vorkommen, ist es für alle Beteiligten meist eher eine Erlösung, denn an sich schon ein Zeichen für einen langweiligen Kick. Ein in der 93. Spielminute stürmender Torhüter dagegen ist auch in der Bundesliga und den Ligen darunter gang und gäbe. Die Stimmung auf den Rängen und das Feuer auf dem Platz in der Schlussphase ist ohnehin entflammt, wenn es noch um etwas geht, warum also die Nachspielzeit unnütz auf acht bis zehn Minuten ausdehnen? Alle Argumente, die die Befürworter ins Felde führen, laufen ins Leere. Da hätten wir zum einen die Spannungsphase. Diese wird durch mehr Nachspielzeit nicht etwa ausgedehnt, sondern nur weiter nach hinten verschoben. Kommen wir zum Argument der reinen Spielzeit. All die Momente des Lamentierens, des Zeitschindens würden nachgespielt und dadurch ein
Lerneffekt geschaffen. Kleiner Hinweis, Fußballer lernen durch solche Dinge nicht, sondern nur durch konsequentes Nichtpfeifen überflüssiger Aktionen. Als Mehrwert für die Zuschauer, die ja nun mehr Fußball bekämen, kann die Bonuszeit ebenfalls nicht eingestuft werden. Nicht, dass es die Stadiongänger stören würde, länger ihrem Lieblingsverein zuzusehen, doch gerade die TV-Zuschauer, um die sich doch alles zu drehen scheint, sind fußballtechnisch ohnehin am Maximum und sehen keinen Mehrwert von längeren Spielen. Die nachwachsenden Generationen können mit diesem langen Format ohnehin wenig anfangen, setzen auf Zusammenfassungen statt auf das volle LiveErlebnis. Wem nutzt also das mehr Netto vom Brutto der 90 Minuten? Der Spannung nicht! Den Fans nicht! Und erst recht nicht den Spielern, die auch so schon körperlich nach 90 Minuten am Ende scheinen.
„Mehr Nettospielzeit schadet allen.“
Von Felix Alex