Luxus und ein bisschen Weltuntergang
Als „Arche der Reichen“galt ein ebenso bizarres wie umstrittenes Bauprojekt in der Nähe von Kitzbühel. Luxus abseits von Klimakatastrophe und Kriegen. Das kam nicht gut an. Nun geht es aber um die Schönheit der Natur, Spiritualität und Freude. Für Kritike
- Auf dem matschigen Feldweg deutet Walter Fischer nach rechts zu den hügeligen Wiesen, den hohen Nadelbäumen und den schneebedeckten Bergen im Hintergrund. „Hier beginnt das Wasenmoos“, sagt er, „das ist die Natur, da kann man immer weiter reinlaufen. Das ist der Luxus unserer Zeit.“Der Mittvierziger erzählt, dass er mit seinen Kindern immer wieder gerne hierherkommt, dass er immer wieder Eierschwammerl sammelt, so heißen Pfifferlinge auf Österreichisch.
Das Wasenmoos, ein Naturschutzgebiet auf 1200 Metern Höhe, liegt nahe der Gemeinde Mittersill, Region Oberpinzgau, Bundesland Salzburg. Ein paar Meter links von Walter Fischer hingegen wird gebaut. Mächtige gelbe Kräne ragen empor, einige Rohbauten stehen schon. Ein großes Werbeschild informiert, was hier entsteht: „Six Senses Residences“.
Walter Fischer ist der Vertriebsleiter für diese Residences, er verkauft sie – Luxuswohnungen und -villen für Menschen allermeist aus dem Ausland, die das nötige Kleingeld haben. Es gibt derzeit kein anderes Bauprojekt in den Alpen, das umstrittener und schriller wäre, das bizarrer anmuten würde. Als „Arche der Reichen“wurde es im „Spiegel“tituliert, der Wiener „Standard“schrieb: „Villen für den Weltuntergang“.
Auf der Homepage war mit apokalyptischen Bildern der schlimme Zustand der Welt voller Umweltzerstörung, Vergiftung und Vereinsamung heraufbeschworen worden – um dann dieses Projekt als Arche Noah zu bewerben, als eine Art Dorf, das autark weiterleben könne mit eigener Energie und eigener Nahrung. Auch wenn drum herum alles in Schutt und Asche liegt. Das ging für viele in eine richtig schiefe Richtung. Reiche Klimaapokalyptiker und Kriegsgeängstigte zahlen Millionen in dem Glauben, der Zerstörung entkommen zu können?
„Es wurden Fehler gemacht“, gesteht Walter Fischer gleich ein. „Die Arche Noah gibt es so nicht mehr“, auch die Weltuntergangsstimmung habe man „sehr abgemildert“. Stattdessen setzt die Werbung nun auf positive Kräfte und verbreitet Optimismus. Man wolle „die Schönheit der Natur umarmen“, heißt es auf der Homepage auf Englisch. Man begreife „das wirklich Wesentliche des Lebens in den Alpen“. Das Projekt beschreibt sich als „nachhaltig“und „voller Spiritualität und Freude“. Fotos zeigen Kinder mit Vätern auf der
Wiese, Frauen beim Yoga, schön eingedeckte Esstische. Und wie die Häuser einmal aussehen sollen: Spitzdächer, viel Glas, dunkle Holzverkleidungen und -balkone.
Die „Six Senses Residences“sollen aus zehn Villen, 30 Apartments in vier Häusern sowie einem Hotel mit 77 Zimmern und Suiten bestehen. Es ist ein 3000 Quadratmeter großer Spa geplant, also ein Schwimmbad. Restaurants und Bars soll es geben, sowie Fitnessangebote. 250 Menschen werden dann dort beschäftigt sein, so Fischer. Errichtet wird das alles von der Firma mit dem offiziellen Namen Kitzbühel Alps Projekt GmbH, investiert werden um die 200 Millionen Euro.
Die Preise der Villen liegen bei um die 8,5 Millionen Euro, die Apartments sind ab 3,2 Millionen zu haben. Angeboten wird auch der Teilbesitz einer Wohnung, das nennt sich „Fractional Ownership“. Ab einer Million Euro kann man sich einkaufen, die Wohnung gehört dann mehreren Besitzern.
Karin Dollinger kann sich noch gut daran erinnern, wie das alles angefangen hat dort oben an der PassThurn-Straße, die von Kitzbühel im Norden kommt, an der Kurve kurz vor der Aussichtsplattform in 1274 Metern Höhe. „Das war im Jahr 2000“, erzählt die Salzburger Landtagsabgeordnete der sozialdemokratischen SPÖ, „da wurde der Wald verkauft.“Und zwar von den Bundesforsten, einer staatlichen Behörde.
Es gelang, den Wald in Bauland umzuwandeln – viele sagen, unter tatkräftiger Hilfe der Lokalpolitiker der damals nahezu allmächtigen konservativen Österreichischen Volkspartei ÖVP. Weiter geschah viele Jahre lang nichts. Bis 2019 der Wald gerodet wurde und die Pläne für das Luxusresort Gestalt annahmen. Das Unternehmen in Kitzbühel holte Six Senses an Bord, ein internationaler Betreiber von Luxushotels und -anlagen mit Sitz in Thailand. Six Senses ist für den Betrieb zuständig, während als Bauträger der bayerische Lindner-Konzern auftritt.
Von Anfang an begleitet die Sozialdemokratin Dollinger das Projekt kritisch. Vom „Betongold“ist da immer wieder die Rede. Davon, dass die Reichen die Alpen aufkaufen, die Natur zerstört wird und die einheimische Bevölkerung nichts davon hat. Von einer „Mondlandschaft“am Pass Thurn spricht Dollinger und sagt über Six Senses: „An Absurdität und Geschmacklosigkeit ist das nicht zu überbieten.“
Die Befürchtung ist, dass die Anlage die allermeiste Zeit leer steht und zum Geisterdorf wird. Der Oberpinzgau ist klein, 22.000 Menschen leben in den neun Gemeinden, von denen Mittersill mit 5700 Einwohnern die größte ist. Die Rentnerin Renate Ratzenböck aus Uttendorf (3000 Einwohner) ist eine Frau, die sich offen gegen Six Senses ausspricht. Sie warnt vor dem „ChaletTsunami“und ist erschüttert über „das viele Beton“, das sie kürzlich bei einem Spaziergang am Pass Thurn gesehen hat.
Immer wieder gab es Widerstand gegen das Projekt, Mahnwachen und Ähnliches. Der Naturschutzbund Salzburg kritisierte es heftig. Er verlangt, dass nicht mehr die Kommunen über solche Bauten entscheiden sollten, sondern übergeordnete Behörden. Denn auf lokaler Ebene sei die Interessenverquickung zu groß, man sei sich da mitunter zu nah, kenne sich zu gut.
„Six Senses Resicendes Kitzbühel Alps“nennt sich das Resort. Kitzbühel? Der Tiroler Skiort mit dem Ruf, vor allem für die Reichen und Schönen zu existieren, liegt 20 Kilometer nördlich von Six Senses. In Kitzbühel hat der Projektträger auch ein Büro, in dem das Resort vorgestellt und beworben wird. „Aber mit Kitzbühel haben wir hier nicht viel zu tun“, sagt der Vertriebsleiter Walter Fischer. „Das hier ist etwas anderes, hier ist die Welt noch normal.“Und: „Wir wollen hier keinen Protz und keine Champagner-Partys.“
Genau das, befürchtet aber Lois Hechenblaikner, ist die Intention. Der 64-jährige Fotograf und Fotokünstler aus Tirol hat ein Lebensthema: die Dokumentation der Zerstörung der Alpen. „Mit dem Begriff Kitzbühel entlarven sie sich doch selbst“, sagt er am Telefon, „sonst würden sie doch nicht genau damit werben. Diese Leute wollen Kitzbühel haben, und Kitzbühel ist vergiftet.“
Mit seiner Kamera ist Hechenblaikner ständig unterwegs auf den Bergen und in den Tälern. Man kennt ihn, manche fürchten ihn. Wenn er mal angefangen hat zu reden, dann kann er laut werden. Six Senses und andere Projekte tituliert er als „Landschaftsfresser“, die Betreiber seien „alpine Wegelagerer der Neuzeit“, die Verkäufer „Marketingsöldner“. Die Entwicklung ist für den Fotografen „Kolonialismus der Neuzeit und heimatlicher Ausverkauf“, die Käufer bezeichnet er voller Zorn als „globale Kapitalnomaden“.
„Ein Einheimischer kann sich hier ja kaum mehr ein Haus oder eine Wohnung leisten“, klagt die Rentnerin Renate Ratzenböck. „Man muss schon erben, wenn man hier bleiben will.“Das ist auch die Folge jahrelanger eklatanter politischer Fehlplanung, die aber, so sind sich Kritiker sicher, genau so gewollt war.
Googelt man die Immobilienangebote von Mittersill, dem Oberpinzgau oder auch dem gesamten österreichischen Alpenraum, stößt man auf zwei Zauberbegriffe, die Hunderttausende oder Millionen von Euro
bedeuten: Zweitwohnsitzwidmung und „Buy To Let“(kaufen, um zu vermieten). Das erste bedeutet, dass die Immobilien als Zweitwohnsitze gehalten werden dürfen – auch wenn sie fast immer leer stehen und die Besitzer nur einmal im Jahr drei Wochen dort Urlaub machen.
Das zweite ist die gewerbliche Nutzung der Wohnung oder des Hauses als Ferienobjekt. Der Besitzer gibt an, dass er es an Urlauber vermietet oder vermieten lässt und nur einige Wochen im Jahr selbst darin wohnt. Das aber ist, so monieren Kritiker landauf landab, häufig nur ein Scheingewerbe. Tatsächlich hat der Besitzer kein Interesse an Vermietung, da er sowieso im Geld schwimmt. Die Objekte werden für absurd klingende Preise von mehreren Zehntausend Euro pro Woche angeboten, sodass niemand sie mietet.
Bei den „Six Senses Residences“kennt man die Stimmung und die Vorbehalte natürlich sehr genau. Aber im Oberpinzgau entsteht angeblich, das wird Vertriebsleiter Walter Fischer nicht müde zu betonen, „etwas ganz anderes“. Der „klassische Luxus“sterbe langsam aus. Hier sei Nachhaltigkeit das Thema: Mit Photovoltaik und Erdwärme werde die eigene Energie erzeugt, man habe auch seine eigene Wasserquelle. Das Baumaterial sei von vor Ort. Landwirte sollen auf dem Gelände Schafe und Hühner halten. Mit 30 Bauern arbeite man zusammen, um die Lebensmittel aus der Region zu beziehen. „Die Kinder sollen mit den Bauern rausgehen.“An Gemüsebeete ist gedacht und „Hanging Gardens“, vertikale Gärten an den Hauswänden.
Es müsse noch viel Überzeugungsarbeit bei den Einheimischen geleistet werden, meint Fischer. „Wir wollen mit Local Heroes anfangen“– also mit Menschen aus der Region, die hinter dem Projekt stehen und Identifikationspersonen sind. Fotograf Hechenblaikner indes hat beobachtet: „Das allererste, was sie gebaut haben, war ein Lärmschutzwall hin zur Straße.“Und da war etwa die Sache mit dem Porsche, die auch jetzt nicht aus der Welt ist, die im Oberpinzgau jeder kennt und auch bereitwillig weitererzählt. Eine Kooperation von Six Senses mit dem Stuttgarter Sportwagenbauer sah vor, dass jeder Käufer einer Immobilie zum Einzug einen E-Porsche im Wert von 100.000 Euro bekommt – geschenkt. Das kam, vorsichtig gesagt, nicht gut an in der Gegend, es sei „Greenwashing“, so die Kritik. Der PorschePlan wurde wieder begraben.
Jetzt im Winter liegt Schnee auf der Baustelle, es ist kalt und neblig. Der Fotograf Hechenblaikner weiß noch zu berichten, dass ein paar Meter neben dem Gelände die Transalpine Ölpipeline verläuft, die am Adriahafen im italienischen Triest beginnt und sich in Deutschland in vier Leitungen teilt. „Will jemand Millionen investieren und dann so dicht an dieser Leitung leben?“, fragt er.