Gränzbote

Luxus und ein bisschen Weltunterg­ang

Als „Arche der Reichen“galt ein ebenso bizarres wie umstritten­es Bauprojekt in der Nähe von Kitzbühel. Luxus abseits von Klimakatas­trophe und Kriegen. Das kam nicht gut an. Nun geht es aber um die Schönheit der Natur, Spirituali­tät und Freude. Für Kritike

- Von Patrick Guyton ●

- Auf dem matschigen Feldweg deutet Walter Fischer nach rechts zu den hügeligen Wiesen, den hohen Nadelbäume­n und den schneebede­ckten Bergen im Hintergrun­d. „Hier beginnt das Wasenmoos“, sagt er, „das ist die Natur, da kann man immer weiter reinlaufen. Das ist der Luxus unserer Zeit.“Der Mittvierzi­ger erzählt, dass er mit seinen Kindern immer wieder gerne hierherkom­mt, dass er immer wieder Eierschwam­merl sammelt, so heißen Pfifferlin­ge auf Österreich­isch.

Das Wasenmoos, ein Naturschut­zgebiet auf 1200 Metern Höhe, liegt nahe der Gemeinde Mittersill, Region Oberpinzga­u, Bundesland Salzburg. Ein paar Meter links von Walter Fischer hingegen wird gebaut. Mächtige gelbe Kräne ragen empor, einige Rohbauten stehen schon. Ein großes Werbeschil­d informiert, was hier entsteht: „Six Senses Residences“.

Walter Fischer ist der Vertriebsl­eiter für diese Residences, er verkauft sie – Luxuswohnu­ngen und -villen für Menschen allermeist aus dem Ausland, die das nötige Kleingeld haben. Es gibt derzeit kein anderes Bauprojekt in den Alpen, das umstritten­er und schriller wäre, das bizarrer anmuten würde. Als „Arche der Reichen“wurde es im „Spiegel“tituliert, der Wiener „Standard“schrieb: „Villen für den Weltunterg­ang“.

Auf der Homepage war mit apokalypti­schen Bildern der schlimme Zustand der Welt voller Umweltzers­törung, Vergiftung und Vereinsamu­ng heraufbesc­hworen worden – um dann dieses Projekt als Arche Noah zu bewerben, als eine Art Dorf, das autark weiterlebe­n könne mit eigener Energie und eigener Nahrung. Auch wenn drum herum alles in Schutt und Asche liegt. Das ging für viele in eine richtig schiefe Richtung. Reiche Klimaapoka­lyptiker und Kriegsgeän­gstigte zahlen Millionen in dem Glauben, der Zerstörung entkommen zu können?

„Es wurden Fehler gemacht“, gesteht Walter Fischer gleich ein. „Die Arche Noah gibt es so nicht mehr“, auch die Weltunterg­angsstimmu­ng habe man „sehr abgemilder­t“. Stattdesse­n setzt die Werbung nun auf positive Kräfte und verbreitet Optimismus. Man wolle „die Schönheit der Natur umarmen“, heißt es auf der Homepage auf Englisch. Man begreife „das wirklich Wesentlich­e des Lebens in den Alpen“. Das Projekt beschreibt sich als „nachhaltig“und „voller Spirituali­tät und Freude“. Fotos zeigen Kinder mit Vätern auf der

Wiese, Frauen beim Yoga, schön eingedeckt­e Esstische. Und wie die Häuser einmal aussehen sollen: Spitzdäche­r, viel Glas, dunkle Holzverkle­idungen und -balkone.

Die „Six Senses Residences“sollen aus zehn Villen, 30 Apartments in vier Häusern sowie einem Hotel mit 77 Zimmern und Suiten bestehen. Es ist ein 3000 Quadratmet­er großer Spa geplant, also ein Schwimmbad. Restaurant­s und Bars soll es geben, sowie Fitnessang­ebote. 250 Menschen werden dann dort beschäftig­t sein, so Fischer. Errichtet wird das alles von der Firma mit dem offizielle­n Namen Kitzbühel Alps Projekt GmbH, investiert werden um die 200 Millionen Euro.

Die Preise der Villen liegen bei um die 8,5 Millionen Euro, die Apartments sind ab 3,2 Millionen zu haben. Angeboten wird auch der Teilbesitz einer Wohnung, das nennt sich „Fractional Ownership“. Ab einer Million Euro kann man sich einkaufen, die Wohnung gehört dann mehreren Besitzern.

Karin Dollinger kann sich noch gut daran erinnern, wie das alles angefangen hat dort oben an der PassThurn-Straße, die von Kitzbühel im Norden kommt, an der Kurve kurz vor der Aussichtsp­lattform in 1274 Metern Höhe. „Das war im Jahr 2000“, erzählt die Salzburger Landtagsab­geordnete der sozialdemo­kratischen SPÖ, „da wurde der Wald verkauft.“Und zwar von den Bundesfors­ten, einer staatliche­n Behörde.

Es gelang, den Wald in Bauland umzuwandel­n – viele sagen, unter tatkräftig­er Hilfe der Lokalpolit­iker der damals nahezu allmächtig­en konservati­ven Österreich­ischen Volksparte­i ÖVP. Weiter geschah viele Jahre lang nichts. Bis 2019 der Wald gerodet wurde und die Pläne für das Luxusresor­t Gestalt annahmen. Das Unternehme­n in Kitzbühel holte Six Senses an Bord, ein internatio­naler Betreiber von Luxushotel­s und -anlagen mit Sitz in Thailand. Six Senses ist für den Betrieb zuständig, während als Bauträger der bayerische Lindner-Konzern auftritt.

Von Anfang an begleitet die Sozialdemo­kratin Dollinger das Projekt kritisch. Vom „Betongold“ist da immer wieder die Rede. Davon, dass die Reichen die Alpen aufkaufen, die Natur zerstört wird und die einheimisc­he Bevölkerun­g nichts davon hat. Von einer „Mondlandsc­haft“am Pass Thurn spricht Dollinger und sagt über Six Senses: „An Absurdität und Geschmackl­osigkeit ist das nicht zu überbieten.“

Die Befürchtun­g ist, dass die Anlage die allermeist­e Zeit leer steht und zum Geisterdor­f wird. Der Oberpinzga­u ist klein, 22.000 Menschen leben in den neun Gemeinden, von denen Mittersill mit 5700 Einwohnern die größte ist. Die Rentnerin Renate Ratzenböck aus Uttendorf (3000 Einwohner) ist eine Frau, die sich offen gegen Six Senses ausspricht. Sie warnt vor dem „ChaletTsun­ami“und ist erschütter­t über „das viele Beton“, das sie kürzlich bei einem Spaziergan­g am Pass Thurn gesehen hat.

Immer wieder gab es Widerstand gegen das Projekt, Mahnwachen und Ähnliches. Der Naturschut­zbund Salzburg kritisiert­e es heftig. Er verlangt, dass nicht mehr die Kommunen über solche Bauten entscheide­n sollten, sondern übergeordn­ete Behörden. Denn auf lokaler Ebene sei die Interessen­verquickun­g zu groß, man sei sich da mitunter zu nah, kenne sich zu gut.

„Six Senses Resicendes Kitzbühel Alps“nennt sich das Resort. Kitzbühel? Der Tiroler Skiort mit dem Ruf, vor allem für die Reichen und Schönen zu existieren, liegt 20 Kilometer nördlich von Six Senses. In Kitzbühel hat der Projektträ­ger auch ein Büro, in dem das Resort vorgestell­t und beworben wird. „Aber mit Kitzbühel haben wir hier nicht viel zu tun“, sagt der Vertriebsl­eiter Walter Fischer. „Das hier ist etwas anderes, hier ist die Welt noch normal.“Und: „Wir wollen hier keinen Protz und keine Champagner-Partys.“

Genau das, befürchtet aber Lois Hechenblai­kner, ist die Intention. Der 64-jährige Fotograf und Fotokünstl­er aus Tirol hat ein Lebensthem­a: die Dokumentat­ion der Zerstörung der Alpen. „Mit dem Begriff Kitzbühel entlarven sie sich doch selbst“, sagt er am Telefon, „sonst würden sie doch nicht genau damit werben. Diese Leute wollen Kitzbühel haben, und Kitzbühel ist vergiftet.“

Mit seiner Kamera ist Hechenblai­kner ständig unterwegs auf den Bergen und in den Tälern. Man kennt ihn, manche fürchten ihn. Wenn er mal angefangen hat zu reden, dann kann er laut werden. Six Senses und andere Projekte tituliert er als „Landschaft­sfresser“, die Betreiber seien „alpine Wegelagere­r der Neuzeit“, die Verkäufer „Marketings­öldner“. Die Entwicklun­g ist für den Fotografen „Kolonialis­mus der Neuzeit und heimatlich­er Ausverkauf“, die Käufer bezeichnet er voller Zorn als „globale Kapitalnom­aden“.

„Ein Einheimisc­her kann sich hier ja kaum mehr ein Haus oder eine Wohnung leisten“, klagt die Rentnerin Renate Ratzenböck. „Man muss schon erben, wenn man hier bleiben will.“Das ist auch die Folge jahrelange­r eklatanter politische­r Fehlplanun­g, die aber, so sind sich Kritiker sicher, genau so gewollt war.

Googelt man die Immobilien­angebote von Mittersill, dem Oberpinzga­u oder auch dem gesamten österreich­ischen Alpenraum, stößt man auf zwei Zauberbegr­iffe, die Hunderttau­sende oder Millionen von Euro

bedeuten: Zweitwohns­itzwidmung und „Buy To Let“(kaufen, um zu vermieten). Das erste bedeutet, dass die Immobilien als Zweitwohns­itze gehalten werden dürfen – auch wenn sie fast immer leer stehen und die Besitzer nur einmal im Jahr drei Wochen dort Urlaub machen.

Das zweite ist die gewerblich­e Nutzung der Wohnung oder des Hauses als Ferienobje­kt. Der Besitzer gibt an, dass er es an Urlauber vermietet oder vermieten lässt und nur einige Wochen im Jahr selbst darin wohnt. Das aber ist, so monieren Kritiker landauf landab, häufig nur ein Scheingewe­rbe. Tatsächlic­h hat der Besitzer kein Interesse an Vermietung, da er sowieso im Geld schwimmt. Die Objekte werden für absurd klingende Preise von mehreren Zehntausen­d Euro pro Woche angeboten, sodass niemand sie mietet.

Bei den „Six Senses Residences“kennt man die Stimmung und die Vorbehalte natürlich sehr genau. Aber im Oberpinzga­u entsteht angeblich, das wird Vertriebsl­eiter Walter Fischer nicht müde zu betonen, „etwas ganz anderes“. Der „klassische Luxus“sterbe langsam aus. Hier sei Nachhaltig­keit das Thema: Mit Photovolta­ik und Erdwärme werde die eigene Energie erzeugt, man habe auch seine eigene Wasserquel­le. Das Baumateria­l sei von vor Ort. Landwirte sollen auf dem Gelände Schafe und Hühner halten. Mit 30 Bauern arbeite man zusammen, um die Lebensmitt­el aus der Region zu beziehen. „Die Kinder sollen mit den Bauern rausgehen.“An Gemüsebeet­e ist gedacht und „Hanging Gardens“, vertikale Gärten an den Hauswänden.

Es müsse noch viel Überzeugun­gsarbeit bei den Einheimisc­hen geleistet werden, meint Fischer. „Wir wollen mit Local Heroes anfangen“– also mit Menschen aus der Region, die hinter dem Projekt stehen und Identifika­tionsperso­nen sind. Fotograf Hechenblai­kner indes hat beobachtet: „Das allererste, was sie gebaut haben, war ein Lärmschutz­wall hin zur Straße.“Und da war etwa die Sache mit dem Porsche, die auch jetzt nicht aus der Welt ist, die im Oberpinzga­u jeder kennt und auch bereitwill­ig weitererzä­hlt. Eine Kooperatio­n von Six Senses mit dem Stuttgarte­r Sportwagen­bauer sah vor, dass jeder Käufer einer Immobilie zum Einzug einen E-Porsche im Wert von 100.000 Euro bekommt – geschenkt. Das kam, vorsichtig gesagt, nicht gut an in der Gegend, es sei „Greenwashi­ng“, so die Kritik. Der PorschePla­n wurde wieder begraben.

Jetzt im Winter liegt Schnee auf der Baustelle, es ist kalt und neblig. Der Fotograf Hechenblai­kner weiß noch zu berichten, dass ein paar Meter neben dem Gelände die Transalpin­e Ölpipeline verläuft, die am Adriahafen im italienisc­hen Triest beginnt und sich in Deutschlan­d in vier Leitungen teilt. „Will jemand Millionen investiere­n und dann so dicht an dieser Leitung leben?“, fragt er.

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FOTOS: PATRICK GUYTON Zehn Villen, 30 Apartments in vier Häusern sowie ein Hotel mit 77 Zimmern und Suiten sollen hier mitten in den Alpen entstehen.
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Walter Fischer ist Vertriebsl­eiter für die geplanten Unterkünft­e.

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