Das Duell der Propaganda-Präsidenten
Russlands Staatschef Putin und sein ukrainischer Amtskollege liefern sich besonderen PR-Zweikampf
- Wladimir Putin stieg als Erster in den Ring. Gegen 14 Uhr trat er am Mittwoch in Moskau vor das Kollegium des Verteidigungsministeriums. Jetzt sei ja praktisch das gesamte Militärpotential der Nato gegen Russland im Einsatz. „Trotzdem kämpfen unsere Soldaten, Sergeanten und Offiziere tapfer und standhaft für das Vaterland und erfüllen Schritt für Schritt die gestellten Aufgaben.“Es folgten eine knappe Viertelstunde technischer Vorschläge zur Stärkung der Kampfkraft, Putin gebrauchte Worte wie „verbessern“und „vervollkommnen“. Seitdem Russlands Panzer in der Ukraine rollen, ist er seiner Hauptbotschaft treu geblieben: Alles läuft nach Plan!
„In der Einheit von Armee und Volk lag immer unsere Stärke, so auch heute.“Als Putin endete, klatschten die versammelten Militärs kurz, etwa sieben Sekunden.
Der Auftritt seines Gegners begann fast 13 Stunden später, vor dem US-Kongress in Washington. Mit Verzögerung, weil es schon vorher stehende Ovationen gab. „Die Ukraine ist nicht gefallen, sie lebt noch und kämpft“, verkündete Wolodymyr Selenskyj, wieder heftiger Beifall. „Wir haben schon gesiegt, weil wir keine Angst mehr haben.“
Selenskyj trug auch in Washington ein langärmliges T-Shirt in Tarnoliv, das etwas nach Skiunterwäsche aussah. Ein anderes Format, ein anderes Publikum, ein anderes Pathos, aber Selenskyj hielt ebenfalls an seiner Kriegsbotschaft fest: Wir verteidigen auch den Westen und seine Werte gegen die russische Tyrannei, aber wir brauchen mehr Waffen.
In den letzten Wochen des blutigen Jahres 2022 veranstalten die Präsidenten Russlands und der Ukraine eine PR-Schlacht. Außer mit Joe Biden traf sich Selenskyj gestern auch mit republikanischen Senatoren, Putin besuchte am Montag zumindest den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko in Minsk. Auch die übrigen GUS-Staatschefs lud er zu einem „informellen“Gipfel am 26. Dezember in Sankt Petersburg ein.
Noch demonstrativer suchte er die Nähe seiner Krieger. Vergangenen Freitag verbrachte er laut Kreml „den gesamten Tag“im Stab der Streitkräfte, die in der Ukraine kämpfen, am Dienstag verkündete der Duma-Abgeordnete Andrej Guruljow, Putin sei gar in der „Zone der Kriegsspezialoperation“
gewesen. Was Kremlsprecher Dmitri Peskow wenig später bestätigte. Aber die üblichen Bilder von einem Frontbesuch fehlen. Und das oppositionelle Portal agents.media schreibt, es handele sich um Putins Aufenthalt in jenem Stab, der sich in der südrussischen Stadt Rostow am Don befindet.
Dafür war am Dienstag Selenskyj an der Front, in der umkämpften Stadt Bachmut, wo er vor laufenden Kameras Orden an vor Waffen starrende Verteidiger verteilte. PR-technisch war er klarer Tagessieger.
Putin, der einst als Kampfflieger und Reiter mit nacktem Oberkörper posierte, gerät in die Defensive. Dieses Jahr ließ er seinen Livetalk mit dem Volk ausfallen, die Rede zur Lage der Nation und die traditionelle Weihnachtspressekonferenz. Als fürchte er außer feindlicher Artillerie auch größere Menschenansammlungen. „Selenskyj war TV-Komiker und Geschäftsmann, er weiß seine Sache zu verkaufen“, sagt der russische Politologe Juri Korgonjuk. „Putin dagegen überlässt das zusehends seinen Propagandisten. Und seine Umgebung tut alles, um seine Selbsteinschätzung zu bestätigen, auch die Illusion, das Volk vergöttere ihn weiter.“
Selenskyj ist 44, auf Twitter folgen ihm 6,9 Millionen Menschen. Putin ist 70 und Handymuffel. Selenskyj weiß, dass er jeden Tag neu um die Waffenhilfe des Westens kämpfen muss. Putin hat sich daran gewöhnt, dass Russlands Ressourcen unendlich sind. Am Mittwoch versicherte er den Kommandeuren: „Für uns gibt es keine finanziellen Begrenzungen. Die Regierung gibt alles, worum die Armee bittet, alles.“