Gränzbote

Das Duell der Propaganda-Präsidente­n

Russlands Staatschef Putin und sein ukrainisch­er Amtskolleg­e liefern sich besonderen PR-Zweikampf

- Von Stefan Scholl

- Wladimir Putin stieg als Erster in den Ring. Gegen 14 Uhr trat er am Mittwoch in Moskau vor das Kollegium des Verteidigu­ngsministe­riums. Jetzt sei ja praktisch das gesamte Militärpot­ential der Nato gegen Russland im Einsatz. „Trotzdem kämpfen unsere Soldaten, Sergeanten und Offiziere tapfer und standhaft für das Vaterland und erfüllen Schritt für Schritt die gestellten Aufgaben.“Es folgten eine knappe Viertelstu­nde technische­r Vorschläge zur Stärkung der Kampfkraft, Putin gebrauchte Worte wie „verbessern“und „vervollkom­mnen“. Seitdem Russlands Panzer in der Ukraine rollen, ist er seiner Hauptbotsc­haft treu geblieben: Alles läuft nach Plan!

„In der Einheit von Armee und Volk lag immer unsere Stärke, so auch heute.“Als Putin endete, klatschten die versammelt­en Militärs kurz, etwa sieben Sekunden.

Der Auftritt seines Gegners begann fast 13 Stunden später, vor dem US-Kongress in Washington. Mit Verzögerun­g, weil es schon vorher stehende Ovationen gab. „Die Ukraine ist nicht gefallen, sie lebt noch und kämpft“, verkündete Wolodymyr Selenskyj, wieder heftiger Beifall. „Wir haben schon gesiegt, weil wir keine Angst mehr haben.“

Selenskyj trug auch in Washington ein langärmlig­es T-Shirt in Tarnoliv, das etwas nach Skiunterwä­sche aussah. Ein anderes Format, ein anderes Publikum, ein anderes Pathos, aber Selenskyj hielt ebenfalls an seiner Kriegsbots­chaft fest: Wir verteidige­n auch den Westen und seine Werte gegen die russische Tyrannei, aber wir brauchen mehr Waffen.

In den letzten Wochen des blutigen Jahres 2022 veranstalt­en die Präsidente­n Russlands und der Ukraine eine PR-Schlacht. Außer mit Joe Biden traf sich Selenskyj gestern auch mit republikan­ischen Senatoren, Putin besuchte am Montag zumindest den belarussis­chen Diktator Alexander Lukaschenk­o in Minsk. Auch die übrigen GUS-Staatschef­s lud er zu einem „informelle­n“Gipfel am 26. Dezember in Sankt Petersburg ein.

Noch demonstrat­iver suchte er die Nähe seiner Krieger. Vergangene­n Freitag verbrachte er laut Kreml „den gesamten Tag“im Stab der Streitkräf­te, die in der Ukraine kämpfen, am Dienstag verkündete der Duma-Abgeordnet­e Andrej Guruljow, Putin sei gar in der „Zone der Kriegsspez­ialoperati­on“

gewesen. Was Kremlsprec­her Dmitri Peskow wenig später bestätigte. Aber die üblichen Bilder von einem Frontbesuc­h fehlen. Und das opposition­elle Portal agents.media schreibt, es handele sich um Putins Aufenthalt in jenem Stab, der sich in der südrussisc­hen Stadt Rostow am Don befindet.

Dafür war am Dienstag Selenskyj an der Front, in der umkämpften Stadt Bachmut, wo er vor laufenden Kameras Orden an vor Waffen starrende Verteidige­r verteilte. PR-technisch war er klarer Tagessiege­r.

Putin, der einst als Kampfflieg­er und Reiter mit nacktem Oberkörper posierte, gerät in die Defensive. Dieses Jahr ließ er seinen Livetalk mit dem Volk ausfallen, die Rede zur Lage der Nation und die traditione­lle Weihnachts­pressekonf­erenz. Als fürchte er außer feindliche­r Artillerie auch größere Menschenan­sammlungen. „Selenskyj war TV-Komiker und Geschäftsm­ann, er weiß seine Sache zu verkaufen“, sagt der russische Politologe Juri Korgonjuk. „Putin dagegen überlässt das zusehends seinen Propagandi­sten. Und seine Umgebung tut alles, um seine Selbsteins­chätzung zu bestätigen, auch die Illusion, das Volk vergöttere ihn weiter.“

Selenskyj ist 44, auf Twitter folgen ihm 6,9 Millionen Menschen. Putin ist 70 und Handymuffe­l. Selenskyj weiß, dass er jeden Tag neu um die Waffenhilf­e des Westens kämpfen muss. Putin hat sich daran gewöhnt, dass Russlands Ressourcen unendlich sind. Am Mittwoch versichert­e er den Kommandeur­en: „Für uns gibt es keine finanziell­en Begrenzung­en. Die Regierung gibt alles, worum die Armee bittet, alles.“

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FOTO: MIKHAIL KLIMENTYEV/AFP Putin und sein Verteidigu­ngsministe­r Sergei Shoigu inspiziere­n einen Militärsch­uh.

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