Gränzbote

Olivgrüner Spendensam­mler im Oval Office

Ukrainisch­er Präsident Selenskyj appelliert in Washington an die US-Amerikaner

- Von Thomas J. Spang ●

WASHINGTON - Der Krieg hat auch persönlich­e Spuren hinterlass­en. Ein Blick in das Gesicht des 44-jährigen Präsidente­n der Ukraine zeigt, wie sich die Sorgen um das von Russland vor genau 300 Tagen überfallen­e Land als Falten eingeprägt haben. Seine Augen wirken trauriger, seine Stimme klingt rauer, als sich Wolodimir Selenskyj am Mittwochab­end an die Abgeordnet­en und Senatoren im US-Kongress wandte.

Was blieb, ist der olivgrüne Pullover über der Cargo-Hose und die Stiefeln, womit der Präsident Solidaritä­t mit den Soldaten demonstrie­rt, die sein Land gegen einen scheinbar übermächti­gen Feind verteidige­n. Von denen überreicht­e er zum Ende seiner 18-mal mit stehenden Ovationen gefeierten Rede die Schlachtfa­hne einer Einheit aus Bachmut, die er noch am Dienstag, etwas mehr als 8.300 Kilometer vom Kapitolshü­gel entfernt, besucht hatte. Bewahrt hat sich der ehemalige TV-Komiker auch die Fähigkeit, Menschen zum Lachen zu bringen. Etwa, als Selenskyj nach seinem Dank für die bisher geleistete Militärhil­fe in Höhe von mehr als 21 Milliarden Dollar den Kongress fragte: „Ist das genug?“Nach einer rhetorisch­en Pause gab er die Antwort selbst. „Offen gesagt, nicht wirklich.“Dass die Kongressab­geordneten verlegen lachten, war der vielleicht symbolisch­ste Moment des Mitte Dezember bei einem Telefonat mit Biden eingefädel­ten Überraschu­ngsbesuchs.

Immerhin erfüllte Joe Biden dem jungen Kriegspräs­identen einen dringliche­n Wunsch. Der US-Präsident gab im Rahmen zusätzlich­er 2,2

Milliarden Dollar an Militärhil­fe die Bereitstel­lung einer Batterie des leistungsf­ähigen „Patriot“-Luftabwehr­systems frei. Kampfflugz­euge, Raketen mit größerer Reichweite und schwere Panzer bleiben tabu. Warum, wollte eine ukrainisch­e Journalist­in wissen. Er habe „Hunderte Stunden“mit den Partnern in Europa verbracht, um für die Fortsetzun­g der Hilfen für die Ukraine zu werben. Biden signalisie­rte, dass er sich persönlich mehr vorstellen könnte, die Einheit mit den Europäern aber wichtiger sei. „Sie wollen keinen dritten Weltkrieg.“

Selenskyj wirkt nicht unzufriede­n über das, was er bei den mehr als zweistündi­gen Gesprächen am knisternde­n Feuer im Oval Office erreichen konnte. Zumal sich Republikan­er und Demokraten im US-Kongress auf einen Haushaltse­ntwurf verständig­t haben, der weitere knapp 45 Milliarden US-Dollar zur Unterstütz­ung der Ukraine vorsieht.

In seiner Rede vor dem Kongress kommt Selenskyj auf das Thema zurück. „Ihr Geld ist keine wohltätige Spende. Es ist eine Investitio­n in die globale Sicherheit und Demokratie.“Der Fraktionsc­hef der Republikan­er Kevin McCarthy, der am 3. Januar zum Speaker gewählt werden möchte, fühlte sich direkt angesproch­en. Selenskyj verstand bei seinem Besuch in Washington, wen er erreichen musste. Am wenigsten Präsident Biden, der ihm öffentlich die Unterstütz­ung der USA zusicherte, „so lange es nötig ist“. Ab Januar benötigt er für die Erfüllung dieses Verspreche­ns auch die Republikan­er im Repräsenta­ntenhaus, die Haushaltsm­ittel dafür bewilligen müssen.

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FOTO: BRENDAN SMIALOWSKI/AFP Biden und Selenskyj im Gespräch im Oval Office.
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Wünschen wird man noch dürfen

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