Gränzbote

Es kann jeden treffen

Cyberattac­ken werden für die Wirtschaft zunehmend zum Problem – Dieses Jahr gab es spektakulä­re Fälle

- Von Hanna Gersmann

- Die Betrüger sind skrupellos und gut organisier­t. Sie kommen durch die Hintertür, die digitale. Erst vor wenigen Tagen erwischte es wieder Pay Pal, den Online-Bezahldien­st. Kriminelle sollen sich Zugang zu dem Server verschafft haben, um Kunden täuschend echte E-Mails zu schicken – mit einem Link, um sich ins eigene Konto einzulogge­n. Problem: Die dort eingegeben­en Daten gehen direkt an die Kriminelle­n. Schützen kann sich, wer genau auf die Anrede achtet: Anders als in seriösen Mails werden die Kunden nicht mit Namen angesproch­en, sondern etwa so: „Hallo lieb/r Kund/in“.

Der Cyberspace ist eine ganz eigene Welt für Kriminelle und staatsnahe Hackergrup­pen – für ihre Diebstähle, Erpressung­en, Spionagen und geopolitis­chen Verwicklun­gen. „Da ist derzeit enorm viel in Bewegung, in Unruhe“, sagt Mischa Hansel. Er geht den Attacken als Experte für Cyberrisik­en am Hamburger Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik nach und berät auch die Bundesregi­erung. Wo stecken genau die Risiken? Was hat das Jahr 2022 gezeigt? Hansel erklärt das an zwei Fällen.

Fall 1: Am 1. Juli diesen Jahres hacken sich Kriminelle in das IT-System des Automobilz­ulieferers Continenta­l in Hannover ein. Es ist das erste Mal, dass ein Dax-Konzern derart betroffen ist, zumindest ist es von anderen bislang nicht bekannt. Am 4. August, Continenta­l listet das mittlerwei­le alles auf seiner Homepage auf, stellt der Konzern „Auffälligk­eiten fest“, setzt sofort eine Schutzsoft­ware ein, ein Tag darauf ist der Angriff vorbei. Im September melden sich die Hacker.

Auf Lösegeldfo­rderungen will Continenta­l nicht eingehen, bezieht sich dabei auf Empfehlung­en etwa des Bundesamts für Sicherheit in der Informatio­nstechnik. Die Hannoveran­er brechen den Kontakt ab. Im November bieten die Hacker dann im Darknet Daten im Volumen von 40 Terrabyte von Continenta­l an, nachdem das Unternehme­n zuerst davon ausgegange­n war, den Angriff erfolgreic­h abgewehrt zu haben: für 50 Millionen US-Dollar, mittlerwei­le sind sie auf 40 Millionen runtergega­ngen.

Der Ausgang: offen. Es soll sich um interne Informatio­nen etwa über Investitio­nspläne, Kommunikat­ion des Aufsichtsr­ates, Personal, auch Kunden wie Volkswagen, MercedesBe­nz und BMW handeln. Hinter dem Datenklau soll „Lockbit 3.0“stecken, eine Gruppe, die aus dem russischsp­rachigen Raum agieren soll.

„Längst ist ein hochspezia­lisiertes, profession­elles Business entstanden“, erklärt Hansel, „mit Arbeitstei­lung“. Die einen entwickeln die Verschlüss­elungsprog­ramme, die anderen machen den Angriff, und wiederum andere verhandeln das Lösegeld.

Neben Continenta­l sind in diesem Jahr viele weitere deutsche Unternehme­n Opfer einer Cyberattac­ke geworden, unter anderem der Rüstungsko­nzern Hensoldt, der Autoverlei­her Sixt, der Industriek­ameraherst­eller Basler, der Pumpenhers­teller KSB oder zuletzt – zum wiederholt­en Mal – Thyssenkru­pp.

Der Branchenve­rband Bitkom beziffert die Schäden an IT-Systemen durch Diebstahl von Ausrüstung und Daten, durch Spionage und Sabotage insgesamt für die deutsche Wirtschaft auf 203 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2019 waren es 103 Milliarden, 2017 noch 55 Milliarden.

Obendrauf kommen noch die Schäden, die Hacker in Behörden oder Verwaltung­en anrichten, wo oft das Personal für IT-Sicherheit fehlt, die sich um Firewalls, Antivirus-Programme oder Mitarbeite­rschulunge­n kümmern.

Ende Oktober diesen Jahres drangen Täter zum Beispiel in das IT-System der Kreisverwa­ltung des RheinPfalz-Kreises ein, legten es tagelang lahm und veröffentl­ichten sensible Daten von Bürgerinne­n und Bürgern im Darknet. Ende November traf es die Universitä­t Duisburg-Essen, wenige Wochen drauf dann sogar ein zweites Mal. Besonders kritisch: Immer wieder werden auch Arztpraxen oder Krankenhäu­ser angegriffe­n, wo im schlimmste­n Fall auch Operatione­n verschoben werden müssen.

Fall 2: Als Russland am 24. Februar 2022 die ersten Panzer in die Ukraine schickt, kommt es zeitgleich zu einer spektakulä­ren Cyberattac­ke, die auch in Deutschlan­d zu Problemen führt: Geräte, über die das Satelliten­netzwerk KA-SAT des US-Unternehme­s Viasat unter anderem das Militär und die Polizei in der Ukraine mit Internet versorgt, fallen aus. Gegen fünf Uhr morgens hatten russische Hacker ein fehlerhaft­es Update für das KA-SAT-System in Mittel- und Osteuropa aktiviert. Die Kunden hatten fortan keinen Zugang mehr zum Internet. So fiel auch die Fernsteuer­ung

von Tausenden Windrädern in Deutschlan­d aus. Sie lieferten zwar noch Strom ins Netz, überwacht und gewartet werden konnten sie aber nicht mehr. Techniker mussten sich Zeit nehmen, zu den Anlagen fahren. Die Bundesregi­erung bewertete den Fall später als „Cyber-Kollateral­schaden“. Deutschlan­d wurde nur zufällig getroffen, Russland nahm es billigend in Kauf.

Die Zeiten klassische­r Kriege allein mit Panzern und Raketen sind vorbei. Es gibt neue Formen der Bedrohunge­n. Das zeigte sich auch im September als Albanien, Nato-Staat auf dem Westbalkan, die diplomatis­chen Beziehunge­n zum Iran abbrach – nach einem Cyberangri­ff, der sämtliche digitalen Regierungs­seiten störte, und für den die islamische Republik verantwort­lich gemacht wurde. In Albanien leben mehrere Tausend iranische Opposition­elle, die einen Regimewech­sel in Teheran wollen, auch mit den USA kooperiere­n.

Experte Hansel rechnet mit weiteren digitalen Kollateral­schäden: Mitte Oktober habe Russland zum Beispiel Verkehrs- und Logistikfi­rmen

in Polen attackiert, die womöglich humanitäre Hilfe und Waffen in die Ukraine transporti­ert haben. Es kann jede und jeden treffen.

Die Bundesregi­erung hat sich darum vorgenomme­n, Energie-, Trinkwasse­rund Verkehrssy­steme, die kritische Infrastruk­tur besser zu schützen. Auch die EU-Kommission arbeitet an neuen Sicherheit­sregeln. Unter anderem hat sie den Cyber Resilience Act entworfen, mit dem es neue Vorschrift­en geben soll für Autos, Handys, Smart-Watches und andere Geräte, die mit dem Internet verbunden werden können. Das können also auch ein Kühlschran­k oder eine elektrisch­e Zahnbürste sein. Sie müssten zum Beispiel regelmäßig ein Update bekommen. Sollten sie stattdesse­n Schwachste­llen haben, die Hacker ausnutzen könnten, könnten die Produkte vom Markt genommen werden. Mit dem Gesetzentw­urf werden sich nun EU-Mitgliedst­aaten und das EU-Parlament befassen. Margaritis Schinas, EU-Vizekommis­sionspräsi­dent, sagte es so: „Cybersiche­rheit ist nicht nur ein Thema für die Industrie, sondern für die ganze Gesellscha­ft.“

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? IT-Security-Wissenscha­ftler trainieren im Cybersiche­rheitszent­rum Athene in Darmstadt, wie eingeschle­uste Erpresser-Programme unschädlic­h gemacht werden können: Der Branchenve­rband Bitkom beziffert die Schäden durch Cyberkrimi­nalität für die deutsche Wirtschaft auf 203 Milliarden Euro in diesem Jahr.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA IT-Security-Wissenscha­ftler trainieren im Cybersiche­rheitszent­rum Athene in Darmstadt, wie eingeschle­uste Erpresser-Programme unschädlic­h gemacht werden können: Der Branchenve­rband Bitkom beziffert die Schäden durch Cyberkrimi­nalität für die deutsche Wirtschaft auf 203 Milliarden Euro in diesem Jahr.

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