Gränzbote

Ein Gong, neun Worte, dann Fanfaren

Die „Tagesschau“läuft seit 70 Jahren im TV – Immer mehr Formate in sozialen Netzwerken

- Von Christiane Bosch

(dpa) - Ein Dreiklang ist seit vielen Jahrzehnte­n das Erkennungs­zeichen der meist gesehenen Nachrichte­nsendung Deutschlan­ds: Erst ein Gong, dann die Worte „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der ,Tagesschau’“und anschließe­nd die Fanfaren. Die „Tagesschau“flimmert seit dem 26. Dezember 1952 über die Fernsehsch­irme und bringt die aktuellen Nachrichte­n in die Wohnzimmer. Die erste Sendung vor 70 Jahren erreichte nur wenige Tausend Menschen in und um Hamburg, Hannover, Berlin und Köln. Mehr hatten damals schlicht noch keinen Fernseher.

Heute schalten zwischen 20 Uhr und 20.15 Uhr mehr als zehn Millionen ein, wenn Chefsprech­er Jens Riewa und sein Team die Nachrichte­n des Tages vorlesen. Auch in den sozialen Medien erreicht die „Tagesschau“mehrere Millionen – vor allem jüngere – Menschen. Hinter dem Nachrichte­n-Flaggschif­f der ARD steht das Team von ARD-aktuell mit Sitz in Hamburg. Die etwa 375 Männer und Frauen der Redaktion sorgen längst nicht mehr nur für die 20-UhrNachric­hten. Zum Angebot gehört auch die Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit dem Neuesten aus Deutschlan­d und der Welt. Und dabei werden seit vielen Jahren auch die verschiede­nsten Kanäle bespielt.

Ob auf der Internetse­ite, in der „Tagesschau“-App, im Videotext und in den sozialen Medien – für den Ersten Chefredakt­eur Marcus Bornheim ist vor allem eines wichtig: „Wo immer wir hingehen und wo immer wir auftauchen, tauchen wir als die Marke „Tagesschau“auf. Und wir definieren das immer als Tagesschau plus X. Und im Kern muss immer eine Nachricht stehen.“Das sei die DNA der „Tagesschau“. „Der größte

Wert, den wir haben, ist unsere Glaubwürdi­gkeit.“

2020 und 2021 sahen im Jahresschn­itt mehr als 11,6 Millionen Menschen die „Tagesschau“im Ersten und in den dritten Sendern. Das entsprach einem Marktantei­l von rund 40 Prozent. Auch 2022 lagen die Zahlen nur leicht darunter. Ein Grund für die hohen Einschaltq­uoten ist für Bornheim der geänderte Nachrichte­nkonsum der Zuschauer. „Die Menschen nehmen den ganzen Tag Nachrichte­n wahr. Morgens nach dem Aufstehen geht einer der ersten Blicke in die Nachrichte­n-App. Auf dem Weg zur Arbeit hören sie Nachrichte­n im Radio und gucken zwischendu­rch mal auf Instagram.“Die „Tagesschau“sei dann für sie oft wichtig, um die Vielzahl der News nach Relevanz einsortier­en zu können. Das hätten Zuschauerb­efragungen ergeben. „Wenn es in der „Tagesschau“gesendet wird, dann ist es

wirklich wichtig. Dann kann ich es auf meiner persönlich­en Festplatte irgendwie abspeicher­n.“

Zugleich aber können bestimmte Zielgruppe­n nur noch über digitale Angebote und nicht mehr über das klassische TV erreicht werden, sagte Bornheim weiter. Das verändere auch die Arbeit in der Redaktion. „Wir schichten immer mehr Ressourcen um aus dem klassische­n linearen Fernsehen in das Digitale. So soll beispielsw­eise die Zusammenar­beit mit der Mediathek über Tagesschau 24 verstärkt und in die Homepage investiert werden. Auch Instagram, Tiktok und YouTube bleiben relevant, „um dort die Zielgruppe­n wirklich zu erreichen“.

In Sachen Tiktok war die „Tagesschau“sogar Vorreiter in der Nachrichte­nwelt. Etwa ein Jahr vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte die „Tagesschau“dort seine ersten Gehversuch­e unternomme­n. Das habe die Marke auch sehr geprägt, sagte Bornheim weiter. „Wir haben uns als erste Nachrichte­nmarke weltweit getraut, auf Tiktok zu gehen – auch gegen den Widerstand innerhalb der ARD.“Und der schnelle und anhaltende Erfolg gab und gibt dem Team recht. Mittlerwei­le folgen dem Auftritt dort rund 1,3 Millionen Accounts. Auf Facebook sind es fast 2,3 Millionen Follower, auf Twitter etwa 3,9 Millionen.

Auch Medienfors­cher sehen die Relevanz der Sendung bei allen Altersgrup­pen. „Die Bedeutung der „Tagesschau“für die Informatio­n der Gesellscha­ft ist nach allem, was wir aus Studien wissen, enorm, auch bei jungen Zielgruppe­n. Dies gilt verstärkt in Krisenzeit­en“, sagte Wolfgang Schulz, Direktor des LeibnizIns­titutes für Medienfors­chung amHans-Bredow-Institut.

Zu den Meilenstei­nen der meist gesehenen Nachrichte­nsendung des deutschen Fernsehens gehört der erste Auftritt des Nachrichte­nsprechers Karl-Heinz Köpcke 1959. Bis dahin waren die Nachrichte­n noch aus dem Off gesprochen worden. 1976 kam schließlic­h Dagmar Berghoff als erstes weibliches Mitglied ins „Tagesschau“-Team. „Das ist wirklich ein Highlight gewesen. Vor allem wenn man bedenkt, dass das damals doch eine sehr männergepr­ägte Redaktion war“, sagte Bornheim dazu. Mittlerwei­le gehören acht Frauen und sieben Männer zum Team der „Tagesschau“-Sprecher, darunter Judith Rakers, Susanne Daubner, Constantin Schreiber, Julia-Niharika Sen und Thorsten Schröder.

Und die „Tagesschau“hat sich mit den Jahren auch mehr Lockerheit gegönnt. Für mehr Nähe werden mittlerwei­le auch andere Kameraeins­tellungen im Studio gewählt. „Wir haben an der Sprache ein bisschen was gefeilt, sodass sie sprechspra­chlicher geworden ist. Kürzere Sätze, verständli­chere Sätze, weniger Substantiv­e.“Auch dürfen die Kostüme der Sprecherin­nen mittlerwei­le bunter und modischer sein. Bei einer Sache jedoch wird es in naher Zukunft bei aller Modernität bei den 20-Uhr-Nachrichte­n in der ARD zunächst keine Bewegung geben. Und zwar beim Schlips. Bornheim dazu: „Bei den Männern gehören einfach das Jackett, das Hemd und die Krawatte dazu.“

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FOTO: MARCUS BRANDT/DPA Chefredakt­eur Marcus Bornheim steht im Newsroom im neuen Nachrichte­nhaus von ARD-aktuell auf dem NDR-Gelände.
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FOTO: NORDDEUTSC­HER RUNDFUNK/THORSTEN JANDER/OBS Moderatori­n Judith Rakers im neuen Studio.

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