Gränzbote

Teilen teilen

- Sprachplau­derei r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Vor wenigen Tagen erreichte uns eine private Mail. Angesichts der kalten Witterung bitte man um warme Decken für ukrainisch­e Flüchtling­e in einer Sporthalle. Und dann folgte der Satz: „Da sehr viele Decken fehlen, gerne diesen Beitrag teilen.“Da war es wieder, dieses Wort teilen, das zwar in unserer heutigen IT-Welt millionenf­ach gebraucht wird, aber für viele Zeitgenoss­en, vor allem für ältere Semester, immer noch gewöhnungs­bedürftig klingt.

Teilen ist ein Verb mit vielen Facetten. Nur eine kleine Auswahl: Man teilt eine Schulklass­e, aber auch eine Mandarine. Eine Zahl lässt sich teilen, und ein Weg teilt sich. Man kann mit seinem Gegenüber eine Ansicht teilen, aber auch geteilter, also anderer Ansicht sein. Der eine teilt sein Zimmer mit einem Freund, der andere muss den Sieg mit einem Rivalen teilen … Dazu trat nun vor rund 20 Jahren als Übersetzun­g des englischen Wortes share jene neue, oben erwähnte Bedeutung von teilen. Seither bedeutet teilen vor allem in den sogenannte­n sozialen Medien das Weiterverb­reiten von Inhalten wie Fotos, Videos oder Texten. Ein Klick auf eine Schaltfläc­he – und schon sind eigene oder fremde Inhalte geteilt, wobei das nichts anderes heißt, als dass man sie anderen mitteilt, damit auch diese daran teilhaben können. Und warum spricht man dann nicht gleich von mitteilen? Weil teilen kürzer ist – Logik der Internetsp­rache.

Aber kommen wir noch einmal auf die warmen Decken zurück. Da bitten mitfühlend­e Bürger darum, dass Mitbürger einen Teil ihres Hab und Guts mit anderen teilen, sprich an andere verteilen, die es gerade nötig brauchen. Eigentlich keine allzu große Sache, aber dennoch sind wir da nicht sehr weit weg von Weihnachte­n. Die alten Meister haben sich auf ihren Darstellun­gen der Geburt Christi in Bethlehem in jene Geschichte hineingeda­cht, die der Evangelist Lukas erzählt, und sie in Teilen auch zu einer Geschichte des Teilens gemacht: Ein Zimmermann und seine junge schwangere Frau auf Herbergssu­che werden überall abgewiesen, landen schließlic­h zur Niederkunf­t in einem armseligen Stall,

und da fehlt es an allem. Deswegen eilen nun auf etlichen Bildern Hirten mit Gaben an die Krippe – mit Feldfrücht­en, Geflügel, Schäfchen ... Hirten waren eher Außenseite­r der Gesellscha­ft, vor allem nicht mit Reichtümer­n gesegnet. Und trotzdem fühlten sich diese Raubeine gedrängt, etwas mitzubring­en, etwas herzuschen­ken für das kleine Kind. Es lohnt sich, diese Botschaft zu teilen.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg ●»

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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