Teilen teilen
Vor wenigen Tagen erreichte uns eine private Mail. Angesichts der kalten Witterung bitte man um warme Decken für ukrainische Flüchtlinge in einer Sporthalle. Und dann folgte der Satz: „Da sehr viele Decken fehlen, gerne diesen Beitrag teilen.“Da war es wieder, dieses Wort teilen, das zwar in unserer heutigen IT-Welt millionenfach gebraucht wird, aber für viele Zeitgenossen, vor allem für ältere Semester, immer noch gewöhnungsbedürftig klingt.
Teilen ist ein Verb mit vielen Facetten. Nur eine kleine Auswahl: Man teilt eine Schulklasse, aber auch eine Mandarine. Eine Zahl lässt sich teilen, und ein Weg teilt sich. Man kann mit seinem Gegenüber eine Ansicht teilen, aber auch geteilter, also anderer Ansicht sein. Der eine teilt sein Zimmer mit einem Freund, der andere muss den Sieg mit einem Rivalen teilen … Dazu trat nun vor rund 20 Jahren als Übersetzung des englischen Wortes share jene neue, oben erwähnte Bedeutung von teilen. Seither bedeutet teilen vor allem in den sogenannten sozialen Medien das Weiterverbreiten von Inhalten wie Fotos, Videos oder Texten. Ein Klick auf eine Schaltfläche – und schon sind eigene oder fremde Inhalte geteilt, wobei das nichts anderes heißt, als dass man sie anderen mitteilt, damit auch diese daran teilhaben können. Und warum spricht man dann nicht gleich von mitteilen? Weil teilen kürzer ist – Logik der Internetsprache.
Aber kommen wir noch einmal auf die warmen Decken zurück. Da bitten mitfühlende Bürger darum, dass Mitbürger einen Teil ihres Hab und Guts mit anderen teilen, sprich an andere verteilen, die es gerade nötig brauchen. Eigentlich keine allzu große Sache, aber dennoch sind wir da nicht sehr weit weg von Weihnachten. Die alten Meister haben sich auf ihren Darstellungen der Geburt Christi in Bethlehem in jene Geschichte hineingedacht, die der Evangelist Lukas erzählt, und sie in Teilen auch zu einer Geschichte des Teilens gemacht: Ein Zimmermann und seine junge schwangere Frau auf Herbergssuche werden überall abgewiesen, landen schließlich zur Niederkunft in einem armseligen Stall,
und da fehlt es an allem. Deswegen eilen nun auf etlichen Bildern Hirten mit Gaben an die Krippe – mit Feldfrüchten, Geflügel, Schäfchen ... Hirten waren eher Außenseiter der Gesellschaft, vor allem nicht mit Reichtümern gesegnet. Und trotzdem fühlten sich diese Raubeine gedrängt, etwas mitzubringen, etwas herzuschenken für das kleine Kind. Es lohnt sich, diese Botschaft zu teilen.
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