Im besten Sinne etwas mitnehmen
„Ochs, Esel, Elefant und Känguru“– Die Sammlung Würth zeigt in Künzelsau Weihnachtskrippen aus aller Welt – Eine Schau zum Staunen und Schmunzeln
Beide Figuren scheinen die Augen geschlossen zu haben, beide tragen landesübliche Tracht. Er hat einen bunten Poncho und eine geringelte Strickmütze an, sie einen orangefarbenen Mantel und einen breitkrempigen Hut. Das Kind zu ihren Füßen ist fest in eine zitronengelbe Decke gewickelt. Geschaffen hat diese niedliche Weihnachtskrippe ein indigener Künstler aus Peru. Sie ist eine von rund 150 Exponaten aus aller Welt, die derzeit im Museum Würth in Künzelsau zu bewundern sind. Die Ausstellung mit dem Titel „Ochs, Esel, Elefant und Känguru“ist nicht nur überraschend vielfältig, sondern gewährt en passant auch noch einen Einblick in verschiedene Weihnachtsbräuche von Frankreich über Venezuela bis nach Japan. Man darf staunen und schmunzeln. Da nimmt man im besten Sinne etwas mit nach Hause. Also unbedingt hinfahren!
Die Wiege der Krippe ist in Italien. 1478 wurde die erste Figurenkrippe in einer Kirche in Neapel aufgestellt. Sie war von einem deutschen Brüderpaar geschnitzt worden und bestand aus 37 bunt bemalten Holzfiguren, von denen 19 noch heute existieren. Lange Zeit waren Krippen ein Privileg von Fürstenhäusern, Kirchen und Klöstern. Erst nach 1730 hielten sie allmählich auch Einzug in die Privathäuser. In Neapel, Rom und Palermo fand allerdings im ganzen 18. Jahrhundert noch ein hemmungsloser Wettstreit mit großen Prunkkrippen statt, die aus Hunderten von Figuren bestanden und vor allem der ehrgeizigen Selbstdarstellung dienten. So versetzte man die Szenerie etwa auch in eine Palastruine, wie man in der Ausstellung sehen kann.
Im Zentrum jeder Weihnachtskrippe steht natürlich die Heilige Familie mit Maria, Josef und dem Jesuskind. Maria hat das Kind mal auf dem Arm, mal liegt es gewickelt auf Stroh oder Heu in einer Krippe, mal schläft es auf einer Decke auf dem Boden oder in einer Hängematte. Bei den Hirten dagegen ließen die Krippenbauer ihrer Fantasie schon früh freien Lauf. Sie werden häufig als Menschen des eigenen Volkes dargestellt, erkennbar an Gesichtszügen, Tracht oder Geschenken. In Frankreich haben die Hirten Gaben in Form von Schnecken oder Trüffel dabei, in Italien sind es dann Zitronen und Orangen. In Togo wird dem schwarzen Jesuskind sogar alles gebracht, was man dort zum Leben braucht: vom gestampften Maisbrei über die Kokosnuss und den fangfrischen Fisch bis zum Webteppich. In Katalonien wiederum darf der El Caganer nicht fehlen – ein Mann, der meistens irgendwo an der Seite hockt, die Hosen runtergelassen, und sein großes Geschäft verrichtet. Diese Gestalt steht für eine gute Ernte im nächsten Jahr.
Auch Ochs und Esel werden je nach Land durch einheimische Tiere ersetzt. In Australien zum Beispiel kommen Känguru und Koalabär dazu, in Peru Lama und Hahn, in Grönland
Eisbär, Robbe, Pinguin und Husky. Das wirkt manchmal fast schon komisch.
Große Unterschiede lassen sich abhängig vom Kulturkreis auch bei den Materialien feststellen. Dabei gibt es die Weihnachtskrippe in so ziemlich allen Varianten: aus rotem Ton in Peru, aus schwarzem Ebenholz in Tansania, aus Elfenbein in Kenia, aus Stroh in Schweden, aus Salzteig in Ecuador, aus Kalebassen in Argentinien, ja in Südafrika sogar aus Muscheln. Handwerklich am beeindruckendsten sind aber nach wie vor die aus Holz geschnitzten Krippen. Hochburgen dafür sind bis heute Deutschland, Österreich und Südtirol.
Als führendes Krippenland gilt in Europa jedoch Polen. Vor allem die hohe Kunst der Szopka bezaubert im Museum Würth. Szopka bezeichnet ursprünglich einen Schuppen. Tatsächlich besteht das Krippengebäude aus einem Holzgestell, das mit buntem Staniolpapier und Metallfolie aufwendig dekoriert wird. Oben werden dann noch prächtige Türme mit Zwiebelhauben aufgesetzt, sodass ein kathedralenähnlicher Bau entsteht. Die prachtvolle Architektur lässt das eigentliche Geschehen fast in den Hintergrund rücken. Das ist Krippenkunst auf höchstem Niveau. Vorbild für die Szopkas ist die Marienkirche in Krakau. Mittlerweile gibt es sogar Wettbewerbe dazu. In der Sammlung Würth finden sich insgesamt 15 dieser polnischen Krippen, drei besonders schöne werden in der Ausstellung gezeigt.
Als krippenreichstes Land der Welt gilt übrigens Mexiko. Der Höhepunkt ihrer Krippenkunst ist der Lebensbeziehungsweise Paradiesbaum. Ein Gebilde aus gebranntem, in leuchtenden Farben bemaltem Ton mit Blättern, Vögeln, stilisierten Blüten, vielen Engeln und Halterungen für Kerzen. Sie stehen für Jubel, Freude, Friede sowie das Paradies und sind beim Rundgang durch die Schau allein schon aufgrund ihrer Farbigkeit nicht zu übersehen.
Ein eigenständiger Krippentyp ist auch in Peru entstanden: die Retablos. Es handelt sich dabei um bunt bemalte, aufklappbare hölzerne Altarschreine, in denen eine Fülle farbenfroher Tonfiguren oft mehrere Ebenen bevölkert. Sie können winzig klein wie eine Streichholzschachtel oder groß wie ein Wandschrank sein. Blickfang in Künzelsau ist ein dreistöckiges Retablo. Ganz oben ist die Heilige Familie dargestellt, in der Mitte eine Art Marktszene mit Einheimischen und im untersten Stockwerk dann ein Hutgeschäft mit Verkäufer. Je länger man diese Krippe betrachtet, umso mehr niedliche Details sind zu entdecken.
Zu den krippenarmen Staaten zählen übrigens die USA und Kanada. Wenn dort überhaupt von einer Krippentradition die Rede sein kann, dann wird sie von den Native People wie den Pueblos oder Navajos getragen. Da wird dann das Jesuskind in einem Tipi geboren, während Maria und Josef Lendenschurz mit Mokassins tragen.
Die Kollektion Würth umfasst insgesamt 700 internationale Weihnachtskrippen. Reinhold Würth hat all diese Stücke aber nicht selbst gesammelt. Vielmehr waren es Wirtschaftswissenschaftler Edwin Buchholz und seine Frau Wilma aus Remagen, die über viereinhalb Jahrzehnte christliche Krippenkunst aus allen Erdteilen zusammengetragen haben. Die Krippen werben „unaufdringlich, aber wirksam für Verständnis, Toleranz und Frieden in und zwischen den Völkern“, wie Edwin Buchholz im Vorwort der Ausstellungsbroschüre so treffend schreibt. Es war dann auch das Ehepaar, das 2002 seine Sammlung aus Altersgründen Reinhold Würth zum Kauf angeboten hatte. Nach all den Jahren ist sie nun zum ersten Mal in dieser Fülle zu sehen.
Dauer: bis 29. Januar 2023, Öffnungszeiten: täglich 11-18 Uhr, der Eintritt ist frei, Broschüre: Drei Euro. Am 28. und 29. Dezember gibt es jeweils um 11 Uhr ein
Pendel-Marionettentheater, am 22. Januar um 17 Uhr liest Autor Ferdinand Schmalz aus seinem Roman „Mein Lieblingstier heißt Winter“. Anmeldung für das Begleitprogramm per Mail an:
museum@wuerth.com