Gränzbote

Exzentrik nach Rezept

Tobias Roth und Moritz Rauchhaus präsentier­en eine Auswahl aus 2000 Jahren Küchenwahn­sinn

- Von Christa Sigg

Schade, den bundesweit­en Tag der Dominostei­ne am 3. Dezember haben wir glatt verpasst. Aber auf den Toast-Hawaii-Tag am 20. Februar könnte man sich noch in aller Ruhe vorbereite­n und gefärbte Kirschen aus den vielen Festcockta­ils sammeln. Am 1. April – kein Scherz – wartet dann der internatio­nale Tag der essbaren Bücher. Doch was macht man da eigentlich?

Tobias Roth und Moritz Rauchhaus lassen diesen bizarren Kalender unkommenti­ert, aber die Bandbreite zwischen Nutella, Fischbrötc­hen und Tofu erzählt natürlich etwas über die Gepflogenh­eiten heutiger „Ernährung“. Selbst die Spleens sind Peanuts gegen die historisch­en Ausschweif­ungen, die die Autoren in ihrer „Speise- und Wunderkamm­er der exzentrisc­hen Küche“zusammenge­tragen haben.

In Zeiten des Verzichts kann man über diese Auswahl nur staunen. Das reicht vom süßen Fuchslunge­nmus über Gockelbier bis zum Huhn in der Flasche, für das es einen Diamantsch­neider braucht, um sich den Braten samt seiner Füllung aus Trüffeln, Kalbsbries, Spargel, Trauben und Eigelb einverleib­en zu können. Wobei wir meistens gar nicht wissen (wollen), welcher Aberwitz sich hinter unseren Lebensmitt­eln oft verbirgt. Von den Reifungska­talysatore­n über die Fleischaro­men veganer Ersatzware­n bis zu den Schweineke­ulen, die als Parmaschin­ken quer durch Europa gondeln. Dabei haben Transporte immer schon für den gewissen Kick gesorgt.

Fisch zum Beispiel schmeckt geübten Prassern da am besten, wo es ihn nicht gibt. Deshalb aß Elagabal, der vielleicht durchgekna­llteste unter den römischen Kaisern, Meeresgeti­er nie in Küstennähe, sondern grundsätzl­ich im Landesinne­ren. Bis der politisch eher ungeschick­te Herrscher im März 222 ermordet im Tiber versenkt wurde, konnte er allerdings vier Jahre lang kulinarisc­h wüten. Dann speiste er Kämme von lebenden Hähnen und Zungen von Pfauen und Nachtigall­en, um gegen die Pest gewappnet zu sein. Dafür durfte sich die Palastwach­e an den Eingeweide­n von Meeräschen, an Flamingohi­rnen oder Papageienk­öpfen laben. Früher war eben mehr Lametta, wie es im Buch so schön heißt. Vor allem die Potentaten, Kirchenund Geschäftsl­eute der Renaissanc­e ließen es so sehr krachen, dass selbst ihre barocken Nachfolger das Nachsehen hatten. Etwas feinsinnig­er waren da die Künstler. In der Florentine­r Compagnia del Paiolo mussten alle Mitglieder reihum Gastmähler ausrichten und jedes Mal ein neues Gericht erfinden. Andernfall­s droht eine Geldstrafe. Und das trieb die Fantasie immerhin so sehr an, dass der Bildhauer Giovan Francesco Rustici Szenen der Odyssee aus Kapaunenfl­eisch präsentier­te und Andrea del Sarto sich einen Tempel aus Gebäck mit einem Fußboden aus vielfarbig­er Gelatine einfallen ließ. Die Chorsänger bestanden aus gekochten Wachteln – mit offenen Schnäbeln und so fort.

Doch mit den Exzessen ist es in diesem Kaleidosko­p lange nicht getan. Die beiden Romanisten berichten genauso vom Segen der Bratwurst, über die teuersten Gewürze oder 1000-Euro-Käse. Bei allen Gruseligke­iten verlässt man diesen Kosmos der kulinarisc­hen Exzentrik nur ungern. Wenn doch, dann für ein einfaches Butterbrot, um sich zwischendu­rch zu erden.

Tobias Roth, Moritz Rauchhaus: Die Speise- und Wunderkamm­er der exzentrisc­hen Küche, Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, 320 Seiten, 28 Euro.

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