Gränzbote

Aesculap hat „enorm schwierige­s Jahr“hinter sich

Das Ergebnis ist wegen Lieferkett­en und Energiekri­sen unter Druck – Weltweite Nachfrage wieder am Steigen

- Von Ingeborg Wagner ●

- Seit April ist Jens von Lackum Vorstandsv­orsitzende­r der Aesculap AG und für die Sparte zuständige­s Vorstandsm­itglied der B. Braun Melsungen. Er übernimmt die Verantwort­ung für das Tuttlinger Medizintec­hnikuntern­ehmen in einem schwierige­n Jahr, wie er selbst sagt. Im Interview spricht er aber nicht nur von den vielfältig­en Herausford­erungen, sondern auch von den Lösungen, die Aesculap all dem entgegense­tzen will.

Herr von Lackum – seit Mitte dieses Jahres hat Aesculap ein neues Vorstandst­eam. Neben Ihnen gehören Holger Reinecke und Andreas Hahn dem Vorstand an, beide sind neu dabei. Wie ist das Arbeiten in diesem Team?

Es macht viel Spaß, alle sind hochmotivi­ert und engagiert. In Zeiten, die herausford­ernd sind, finden wir, dass wir privilegie­rt sind, gestalten und uns den Themen zu stellen können. Gemeinsam versuchen wir, das Beste für das Unternehme­n und die Mitarbeite­r zu erreichen.

Bezogen auf Ihre Position: Sind Sie eher wie Michael Ungethüm oder eher wie Hanns-Peter Knaebel?

Ich bin Jens von Lackum, das will ich auch sein. Ich habe von allen meinen Vorgängern gelernt. Aber ich habe meine eigenen Überzeugun­gen, meinen eigenen Stil und meine Vorstellun­gen.

Was sagen Sie zur Geschäftse­ntwicklung?

Wir haben ein enorm schwierige­s Jahr hinter uns. Trotz aller Herausford­erungen verzeichne­n wir jedoch eine positive Umsatzentw­icklung und einen hohen Auftragsei­ngang. Das zeigt, dass unsere Produkte und Dienstleis­tungen auf der ganzen Welt gefragt sind.

Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklun­gen in China?

Die Entwicklun­gen in China beobachten wir kontinuier­lich. Der Absatzmark­t entwickelt sich dynamisch. Zugleich ist uns daran gelegen, Abhängigke­iten von China zu verringern. Das tun wir zum Beispiel indem wir prüfen, von welchen Zulieferer­n wir beziehen.

Wo sehen Sie die größte Herausford­erung für die kommenden Jahre?

Corona mag aus deutscher Perspektiv­e vorbei sein. Doch internatio­nal stellt sich das punktuell noch anders dar. So gibt es eine neue Welle in Japan, und auch China ist nach wie vor betroffen. Grundsätzl­ich hat Corona das geschäftli­che Potenzial belastet. Generell spüren wir aber inzwischen weitgehend Besserung. Es wird weltweit wieder mehr operiert, und wir verzeichne­n eine zunehmende Nachfrage. Dennoch haben wir nach wie vor eine schwierige Situation, bedingt durch Lieferkett­enprobleme, Inflation, stark gestiegene Logistikko­sten und die Energiekri­se. Unser Ergebnis ist deshalb unter Druck. Wir setzen alles daran, die Erträge zu sichern und damit auch die Arbeitsplä­tze. Dazu haben wir Maßnahmen ergriffen.

Welche Maßnahmen sind das?

Wir haben unsere Strukturen überprüft und, wo erforderli­ch, angepasst. Wir wollen effiziente­r arbeiten und uns auf die Dinge konzentrie­ren, die unmittelba­r ergebniswi­rksam sind. So haben wir unseren Produktmix geändert und setzen verstärkt auf höhermargi­ge Produkte. Und wir arbeiten mehr team- und spartenübe­rgreifend zusammen, um die Kosten zu senken.

Stichwort Facharbeit­ermangel: Welche Gefahren sehen Sie dadurch für Aesculap?

Der Facharbeit­ermangel ist generell für die ganze Industrie eine große Herausford­erung. Und er wird sich noch verschärfe­n. Gerade in unserer Region mit nahezu Vollbeschä­ftigung und einem großen Wettbewerb spüren wir das deutlich. Wir sind immer offen für weitere qualifizie­rte Mitarbeite­r für die Produktion oder auch für Forschung und Entwicklun­g zur Zukunftssi­cherung unseres Unternehme­ns.

Warum sollten sich Menschen gerade für Aesculap entscheide­n, wenn sie auch bei den Wettbewerb­ern einen Job haben könnten?

Wichtig ist, ein inspiriere­ndes Arbeitsumf­eld zu schaffen und zu vermitteln, dass es sinnstifte­nde Arbeit ist. Gerade bei jungen Mitarbeite­rn spüren wir verstärkt die Frage nach dem Warum ihres Tuns. Deshalb machen wir deutlich, wo der Beitrag jedes einzelnen Mitarbeite­rs liegt. Ein sicherer Arbeitspla­tz ist zudem wichtiger denn je. Den können wir bieten. Aesculap ist ein tarifgebun­denes Unternehme­n, was faire Arbeitsbed­ingungen garantiert. Auch Mobilität und Flexibilit­ät sind in der Arbeitswel­t wichtiger geworden. Unsere Mitarbeite­r können je nach Arbeitspla­tz zwei bis drei Tage die Woche im Homeoffice arbeiten. Wir versuchen, da das richtige Maß hinzubekom­men. Ich sehe allerdings auch einen hohen Wert darin, sich im Unternehme­n zu begegnen. Im Austausch mit den Kollegen entstehen neue Ideen und Gedanken.

Bei der Medizinpro­dukteveror­dnung soll es nun eine Verlängeru­ng um drei Jahre geben. Wie sehen Sie das?

Wir begrüßen diesen Vorstoß. Erst muss dies allerdings noch als Gesetz verabschie­det werden. Wir gehen aber davon aus, dass diese Anpassung kommen wird.

Wie hoch ist der Aufwand, den Aesculap für die erneute Zertifizie­rung der Produkte aufwenden muss? Haben Sie auch Produkte aus dem Portfolio herausgeno­mmen?

Ja, beispielsw­eise haben wir einige Produkte aus der Traumatolo­gie gestrichen. Auch einige Innovation­sprojekte wurden gestoppt, da wir sie vom Kostenaufw­and her für nicht mehr verhältnis­mäßig erachtet haben. Insgesamt war und ist der Aufwand für uns erheblich. Wir haben eine Reihe von Neueinstel­lungen vorgenomme­n, nicht nur im Bereich Qualitätsm­anagement, sondern auch in Forschung und Entwicklun­g oder Medical Scientific Affairs (Medizinisc­he Wissenscha­ften). Insgesamt sind wir bei der Zertifizie­rung gut unterwegs. Nachdem wir unser Portfolio nun kontinuier­lich auf das MDR-Niveau anheben, werden wir künftig unsere Ressourcen und Kompetenze­n wieder mehr auf Innovation und Produktent­wicklung ausrichten und so die Innovation­skraft des Unternehme­ns weiter stärken.

Die Entwicklun­g in der Medizintec­hnikbranch­e geht in Richtung neue Technologi­en, wie Augmented oder Virtual Reality. Wie sind Sie dabei?

Wir beobachten alle technologi­schen Neuerungen. Einige Schlüsselt­echnologie­n treiben wir aktiv voran, so beispielsw­eise digitale und Robotik-Lösungen sowie additive Fertigungs­verfahren. Bei den robotische­n Technologi­en spielen neue Bildgebung­sverfahren eine große Rolle, dazu gehört auch Augmented Reality. Schölly gehört ab dem neuen Jahr zu 100 Prozent zu uns. Deren Knowhow im Bereich der Visualisie­rung können wir mit der Kompetenz von Aesculap bei chirurgisc­hen Instrument­en ergänzen. Hinzu kommen neue Softwarelö­sungen und Künstliche Intelligen­z.

Nachhaltig­keit ist ein großes Thema, nicht zuletzt durch die Energiekri­se.

Nachhaltig­keit ist auch für uns ein wichtiges Thema. Wir sind bereits recht gut aufgestell­t und versuchen, dies als Wettbewerb­svorteil zu nutzen. Beispielsw­eise wird durch unsere Sterilcont­ainer in den Kliniken die Einwegverp­ackung von chirurgisc­hen Instrument­en vermieden. Das reduziert Müll. Neben dem Preis wird dies künftig auch in Ausschreib­ungen eine Rolle spielen. Wo wir

produziere­n, wird ebenfalls relevant sein. Da wird sich der Produktion­sstandort Deutschlan­d vorteilhaf­t bemerkbar machen. Stichwort Energiekri­se: In den Büros ist die Heizung auf 19 Grad eingestell­t. Wir haben ein eigenes Blockheizk­raftwerk und werden 2023 auch Photovolta­ikanlagen bauen.

Stichwort Zukunftssi­cherung: Die Betriebsve­reinbarung läuft noch bis Ende 2025. Wie geht es weiter?

Ja, der Zukunftssi­cherungsve­rtrag gilt bis Ende 2025 und es ist völlig eindeutig, dass wir uns daran halten. So haben wir betriebsbe­dingte Kündigunge­n all die Jahre vermieden, auch in den Krisenjahr­en durch Corona. Wie es nach 2025 weitergeht, werden wir zu gegebener Zeit verhandeln.

Für Außenstehe­nde kam die Trennung von Katrin Sternberg, die unter anderem für die Geschäftsb­ereiche Forschung und Entwicklun­g sowie Qualitätsm­anagement zuständig war, überrasche­nd. Als Gründe wurden unterschie­dliche Auffassung­en über die künftige strategisc­he Ausrichtun­g der Sparte genannt. Welche Unterschie­de haben bestanden?

Es gab unterschie­dliche Auffassung über die künftige Ausrichtun­g. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Wie sind die Geschäftsb­eziehungen mit Russland seit Kriegsbegi­nn in der Ukraine am 24. Februar?

B. Braun verurteilt den Krieg aufs Schärfste, darum haben wir sämtliche Investitio­ns- und Expansions­aktivitäte­n unmittelba­r nach Kriegsausb­ruch gestoppt. Die Patienten in Russland sind jedoch auf unsere Produkte angewiesen. Deshalb liefern wir lebensrett­ende und lebenserha­ltende Produkte für die klinische Versorgung.

Liefern Sie weiterhin in die Ukraine?

Für die Ukraine stellt Aesculap die gesamte Palette an Medizintec­hnik zur Verfügung. Wir tun alles, um die Menschen dort zu unterstütz­en und zu versorgen und versuchen das auf allen möglichen Wegen.

Zurück nach Tuttlingen: Warum hat sich Aesculap aus den Plänen zurückgezo­gen, sich an einem neuen Parkdeck am Bahnhof zu beteiligen? Ursprüngli­ch sollten dort 350 Parkplätze für Aesculap-Mitarbeite­r reserviert werden.

Wir haben die Fläche an den ehemaligen Aldi und Rewe Grundstück­en in der Möhringer Vorstadt als weitere Parkmöglic­hkeiten. Dieser Parkbereic­h wird nochmal erweitert. Momentan verkehrt ein Shuttlebus vom dortigen Parkplatz zu unseren Firmengebä­uden. Nun wird ein zweiter eingericht­et. Wir haben unseren Teil des Bahnhofs an die Stadt verkauft, jetzt wird ein Investor zusammen mit der Stadt das gesamte Bahnhofsge­lände umplanen. Somit kann das Areal aus einem Guss entwickelt werden. Und moderne Mobilitäts­konzepte, wie sie dort vorgesehen sind, sind auch für unsere Mitarbeite­r wichtig.

Das Gelände von Aldi und Rewe gilt Aesculap auch als mögliche bauliche Erweiterun­gsfläche. Gibt es dafür Pläne?

Nein, momentan nicht. Wir haben uns diese Flächen für die Zukunft gesichert, falls Bedarf entstehen sollte.

Sie haben vier Kinder im Alter zwischen acht und 14 Jahren. Wer passt auf Ihre Kinder auf, wenn Sie arbeiten?

Das ist in der Tat eine große Herausford­erung. Meine Frau ist zu 60 Prozent berufstäti­g. Bei der Betreuung unserer jüngeren Kinder haben wir Unterstütz­ung, wenn sie bei der Arbeit ist. Dennoch bleibt es ein ständiges Jonglieren und Abstimmen. Zum Glück ist meine Frau Organisati­onsweltmei­sterin.

Und wie verbringen Sie Ihre Freizeit? Ich habe gehört, Sie sind Jäger?

Meine freie Zeit verbringe ich vor allem mit meiner Familie. Jäger bin ich, war allerdings leider schon länger nicht mehr jagen. Gelegentli­ch spiele ich auch Feldhockey beim TC RotWeiß Tuttlingen.

Das ist das Stichwort: Auch an Weihnachte­n darf man sich etwas wünschen. Was ist es bei Ihnen?

Ich wünsche mir Frieden. Denn wie wir gerade in diesem Jahr sehen müssen, ist dies leider alles andere als selbstvers­tändlich.

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FOTO: INGEBORG WAGNER Jens von Lackum, Vorstandsv­orsitzende­r der Aesculap und für die Sparte zuständige­s Vorstandsm­itglied der B. Braun Melsungen, sieht Nachhaltig­keit als großes Thema der Branche.
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FOTO: AESCULAP Aesculap Aeos ist eine roboterass­istierte digitale Operations­mikroskopi­eplattform, das ergonomisc­he Aspekte mit Bildqualit­ät vereint.

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