Erst Serienstraftäter, jetzt Unternehmer
Wie ein Mann nach zehn Jahren voller Straftaten auf den Weg der Integration fand
- Es ist keine zwei Wochen her, dass ein illegaler Flüchtling aus Algerien, der sich in der Tuttlinger Unterwelt fast zehn Jahre lang als Drogendealer durchgeschlagen hatte, vor dem Landgericht Rottweil stand und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Jetzt musste sich an gleicher Stelle ein rumänischer Staatsbürger verantworten, der im nahezu identischen Zeitraum untergetaucht war und zum Serienstraftäter wurde. Überraschung im Gerichtssaal: Er scheint wider alle Erwartungen doch noch die Kurve zu kriegen.
Es geht in diesem Revisionsverfahren um vergleichsweise harmlose Vergehen. Aber dahinter steckt eine größere Geschichte – eine Geschichte von missglückter und gelungener Integration zugleich.
Der heute 36-Jährige hat keinen Beruf erlernt. Mitte 2012 kam er nach Tuttlingen, weil er sich hier „bessere Chancen für ein gutes Leben“versprach und weil hier schon sein Bruder war. Die Realität sah dann so aus, dass er seinen Lebensunterhalt nicht mit Arbeit und auch nicht mit Sozialhilfe bestritt, sondern mit Straftaten. Aktenkundig sind mindestens sechs Gerichtsurteile, zum Teil mit Haftstrafen.
Er lockte immer wieder Landsleute aus Rumänien an, manche reisten wieder ab, andere blieben. So entstand richtiggehend eine rumänische Community. Viele trafen sich regelmäßig in einer Tuttlinger Bar mit einem rumänischen Betreiber.
Und einer aus der Clique, ebenfalls ein Serientäter, hat Polizei und Gerichte jahrelang beschäftigt. Zuletzt auch die Berufungskammer des Landgerichts Rottweil. Der heute 40Jährige wurde, obwohl EU-Bürger, wegen fortgesetzter Straftaten mehrfach abgeschoben. Immer wieder kehrte er illegal zurück und immer wieder beging er neue Straftaten. Der Richter in der Rottweiler Verhandlung fragte verzweifelt: „Was soll der deutsche Staat noch machen?“Die Revisionskammer bestätigte das Urteil des Amtsgerichts Tuttlingen: ein Jahr Haft. Das war im
August 2021. Demnach müsste der Mann wieder auf freiem Fuß sein. Aufenthaltsort unbekannt.
Die vorläufig vorletzte Tat des heute 36-Jährigen geht auf den 17. April 2020 zurück. Er war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, als er in der Tuttlinger Innenstadt mit Bekannten zusammenstand. Ein Polizist kam dazu und nahm Personenkontrollen vor, worauf ihn der Mann aus Rumänien als „Rassist“und „Scheiß-Polizist“beschimpfte. Später wurde er dabei erwischt, wie er ohne Führerschein und mit einem Auto ohne Haftpflichtversicherung etwa 100 Meter weit fuhr. Es war kein Zufall: Die Polizei hatte die Gruppe im Visier.
Und so begann ein langer Weg durch die juristischen Instanzen: Für die Beamtenbeleidigung und die unbefugte Autofahrt wurde er vor dem Amtsgericht Tuttlingen zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt - ohne Bewährung.
Dagegen legte sein Pflichtverteidiger aus Stuttgart, der schon den heute 40-Jährigen vertreten hatte, Berufung ein.
In der Zwischenzeit, am 15. Juli 2021, hatte das Amtsgericht Tuttlingen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 600 Euro in einer anderen Sache verurteilt. Das sollte noch Folgen haben.
Auch diese Berufungssache ging an die 11. Kleine Strafkammer des Landgerichts Rottweil, die auf drei Monate und zehn Tage erhöhte. Dagegen gingen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung in die Revision. Das Oberlandesgericht Stuttgart ließ sie mit einer Begründung zu, die auch versierte Juristen zu einem tiefen Blick in den Paragraphen-Dschungel nötigte: 1. Ein Urteil ist nur in Jahren, Monaten oder Wochen möglich, nicht aber in Tagen. 2. Die 11. Kleine Strafkammer hätte in der Urteilsbegründung mitteilen müssen, ob die Geldstrafe des Amtsgerichts Tuttlingen von 600 Euro beglichen worden sei oder nicht.
Deshalb musste in Rottweil eine zweite Berufungskammer gebildet werden, die 12. Kleine Strafkammer mit Richter Karlheinz Münzer an der Spitze, der ansonsten Vorsitzender der 1. Großen Strafkammer ist. Er betonte: „Wir sind an die Entscheidung des Oberlandesgerichts gebunden!“Heißt: Es geht nur noch um die Höhe der Bestrafung. Der Täter, der, wie schon der Drogendealer aus Algerien, in einer Seitenstraße der Tuttlinger Innenstadt wohnte, wiederholte sein umfassendes Geständnis. Demnach hatte er im Gebiet „Außer Ort“nicht nur Landsleute in einem baufälligen Gebäude untergebracht, sondern auch von dort seine Straftaten gestartet. Dazu gehörte unter anderem Diebstahl und Weiterverkauf von Kupfer oder Parfüm. Die Tatorte reichten bis nach Ravensburg oder sogar Bad Reichenhall.
„Jetzt“, so versichert der Serientäter über eine Dolmetscherin. „habe ich mein Leben völlig verändert. Ich habe mich von meinem alten Umfeld getrennt. Ich habe seit 2021 keine Probleme mehr gemacht, und ich will nie wieder Probleme machen. Für das, was ich getan habe, bitte ich um Entschuldigung.“
Für dieses Umdenken habe vor allem seine neue Partnerin und deren fünfjährige Tochter gesorgt, erklärt der 36-Jährige. „Wir verstehen uns sehr gut. Ich möchte eine Familie gründen!“Inzwischen habe er mit neun Kollegen ein Subunternehmen für Gebäudedämmung gegründet, arbeite von morgens um 6 Uhr bis abends hart, verdiene monatlich um 1500 Euro netto und habe die Schulden bis auf etwa tausend Euro abbezahlt.
Richter Münzer lässt Zweifel anklingen, ob das mit dem Subunternehmen nicht eine neue Gefahr hin zu Gesetzesverstößen sein könnte: „Wir haben einen Steuerberater und zahlen Steuern!“, beteuert der Angeklagte. Und auch die Frage, warum er nach zehn Jahren in Deutschland kein Deutsch spreche, kann er entkräften: Er beginnt verständlich, wenn auch gebrochen Deutsch zu reden.
Weitere Argumente liefert die Bewährungshelferin, die fast schon schwärmerisch berichtet, wie sehr die Augen ihres Mandanten leuchten, wenn er die Tochter seiner Partnerin sehe. „Er hat sich von seinem alten Umfeld völlig losgelöst und befindet sich jetzt in einer stabilen Situation“, sagt die Tuttlinger Bewährungshelferin.
Selbst Staatsanwältin Nathalie Kroner, die den Mann aus früheren Strafverfahren gut kennt, gibt sich überzeugt: „Er wirkt geläutert und ist jetzt ein ganz anderer Mensch!“, sagt sie und plädiert für eine dreimonatige Bewährungsstrafe.
Der Serientäter bittet in seinem „letzten Wort“um „eine weitere Chance“. „Ich möchte arbeiten und ein normales Leben führen“, sagt er.
Richter Münzer und seine beiden Schöffen gewähren schließlich drei Monate Haft mit Bewährung, die zwei Jahre lang besteht. Sie begründen das vor allem mit der positiven Prognose und den guten Aussichten für die Firma, die schon jetzt Aufträge bis weit ins nächste Jahr hat. Richter Münzer gibt noch bekannt, dass auch gegen dieses Urteil Revision möglich sei. Der Verteidiger und die Staatsanwältin erklären spontan, dass sie darauf verzichten. Der Prozess-Marathon ist damit beendet, der Ausgang der größeren Geschichte bleibt offen.