Plötzlich steht der Grenzstein hundert Meter weiter
Das Kleindenkmal wird verschoben - und keiner ist es gewesen
Womöglich muss die Balgheimer Fasnet neu geschrieben werden: Denn zwar wird dem Kohlhaldaweible das Verschieben eines Grenzsteins um das Jahr 1600 Richtung Spaichingen vorgeworfen - doch im Jahr 2022 geschieht ähnliches - und zwar an der Grenze zwischen Balgheim und Böttingen nahe dem Kochelsberg. Ein Grenzstein - dem Wanderer über viele Jahre gut bekannt an der ersten Abzweigung nach der kleinen Kapelle Richtung Dreifaltigkeitsberg stand plötzlich Anfang des Jahres rund 100 Meter weiter an der zweiten Abzweigung. Das Kuriose: Niemand war’s. Und: Wer hatte viele Jahre, vielleicht Jahrhunderte, den Stein an die bekannte, aber sachlich falsche Stelle gesetzt?
Denn an der alten Stelle verläuft die Gemarkungsgrenze nicht, sondern da, wo der Stein jetzt mirakulöserweise steht. Genau da ist die Gemarkungsgrenze zu Balgheim. Bloß, die Grenzsteinkorrektur ist auf jeden Fall nicht besonders fachlich ausgeführt: Er steht weder exakt auf dem in Vermessungskarten eingezeichneten Punkt, noch ist er richtig im Boden eingelassen, sondern das Fundament ragt heraus. Es sei denn die letzten Tage habe sich da etwas getan.
Überhaupt wurde der Stein wohl in der Vergangenheit nicht nach seinem ehrwürdigen Maß behandelt: Ein Radwegeschild - womöglich auch das schon an der falschen Stelle - war einfach in Beton drangegossen, inzwischen abgesägt und durch ein neues ersetzt - jetzt an der korrekten Gemarkungsgrenze.
Denn: Gleichzeitig mit der wundersamen Grenzsteinverschiebung wurden auch die Radwege im Kreis neu ausgeschildert. Weil nicht nur der Berichterstatterin beim Wandern aufgefallen ist, dass sich der Grenzstein bewegt hatte, sondern unter anderen auch dem früheren und auch dem jetzigen Balgheimer Bürgermeister, wusste Böttingens Bürgermeister Benedikt Buggle bei unserer Anfrage bereits Bescheid über den Sachverhalt. Aber nicht die Ursache.
Eine Nachfrage im Vermessungsamt recherchierten die Mitarbeiter genau. Auch bei einem Vor-Ort-Termin. Das Ergebnis: Der Grenzstein sitzt zwar nicht exakt, aber immerhin ungefähr an der richtigen Stelle. Von einem früheren, historischen und falschen Standort wusste man auf dem Landratsamt nichts.
Ein Grenzstein ist nicht irgend ein Hinkelstein, sondern ein hochoffizielles Dokument. Man wird fürs unbefugte Verschieben heute zwar nicht mehr ertränkt, eingegraben und umgepflügt oder sonstwie schrecklich behandelt, aber bis heute ist das Versetzen verboten und eine Straftat. Zudem ist ein alter Grenzstein auch ein Kleindenkmal. Wie es sich allerdings damit verhält, wenn jemand einen womöglich zu früheren Zeiten frevelhaft verschobenen Stein unautorisiert wieder an seinen richtigen Platz setzt, dürfte eine diffizile juristische Frage sein.
Und was ist mit der Gleichzeitigkeit von neuer Radwegsbeschilderung und Grenzsteinverschiebung? Das Ingenieurbüro Nave aus Köln und auch die bauausführende Firma habe betont, dass die Grenzsteinverschiebung in keinerlei Zusammenhang
stehe, so die Sprecherin des Landratsamts auf unsere Anfrage. „Die Firmen würden niemals einen Grenzstein ausgraben, um an dessen Stelle ein neues Schild zu setzen.“
Also doch das Kohlhaldaweible? Dieses hatte ja der Sage nach aus Rache für seine Verbannung in den Wald einen Grenzstein Richtung Spaichingen versetzt und so einen Streit zwischen Balgheim und Spaichingen anzetteln wollen. Ging es in ferner Zeit ebenso darum, einen zwischen Balgheim und Böttingen vom Zaun zu brechen? Denn noch rätselhafter und spannender als die Frage: Wer hat den Stein an die richtige Stelle zurück versetzt? ist doch die: Wer hat ihn in grauer Vorzeit an eine falsche Stelle versetzt und damit Balgheims Gemarkung „vergrößert“?
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