Gränzbote

Zwischen Tierwohl und günstigem Fleisch

Grüne legen Pläne für bessere Haltung von Kälbern vor – Was Landwirte dazu sagen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Kälber werden in der Regel wenige Tage nach der Geburt von der Mutterkuh getrennt, viele landen auf tagelangen Tiertransp­orten quer durch Europa. Doch das Problem zu lösen, ist schwierig. Nun haben die Grünen Vorschläge gemacht, um die Situation zu entspannen. Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) begrüßt den Vorstoß, viele der Punkte seien bereits Teil der Arbeit und Pläne in seinem Ministeriu­m. Worum es geht – und was Landwirte davon halten.

Ausgangsla­ge

Die Milchwirts­chaft ist hoch spezialisi­ert. Kühe müssen eine bestimmte Menge Milch geben, damit sich das Geschäft für den Viehhalter lohnt und der Milchpreis im Handel nicht so hoch liegt, dass niemand die Ware kauft. Jede Kuh soll pro Jahr ein Kalb bekommen, um Milch zu produziere­n. Für die Bullenkälb­er haben die Milchbauer­n häufig keine Verwendung – und keinen Platz in den Ställen. Weil zunehmend weniger Milchbauer­nhöfe im Land arbeiten, landen auch weibliche Kälber nicht zwangsläuf­ig auf einem Milchhof. Weil in anderen Ländern größere Nachfrage besteht, werden die Kälber oft auf langen Transporte­n durch Europa geschickt. Trotz neuer EURegeln gibt es hier noch immer Missstände. „Wer sich Tierschutz auf die Fahnen schreibt, hat hier die Möglichkei­t, konkret zu werden. Die Transportb­edingungen für Kälber haben sich zwar geringfügi­g verbessert, sind aber bei Weitem noch nicht gut genug. Minister Hauk sollte seinen Worten Taten folgen lassen und für gesetzlich­e Verbindlic­hkeit sorgen. Noch immer landen viele Fälle vor Gericht“, so Martina Braun, Tierschutz­expertin der Grünen und selbst Ökoviehzüc­hterin im Schwarzwal­d.

Aufzucht und Mast der Kälber

Die Grünen schlagen vor, die Kälber länger auf dem Geburtshof zu belassen. Bislang werden die Tiere oft bereits im Alter von wenigen Wochen verkauft und transporti­ert. Geht es nach den Grünen im Landtag, soll sich diese Zeit auf bis zu 14 Wochen verlängern. Jene Tiere, die der Geburtsbet­rieb nicht selbst aufziehen kann, sollen auf einen Weidebetri­eb in der Region wechseln. Die Art der Haltung soll das Land künftig finanziell fördern – auch, damit die Landwirte die nötigen Voraussetz­ungen schaffen können. Denn viele von ihnen können Kälber schon aus Platzder

mangel nicht sehr lange auf dem eigenen Hof halten. Außerdem schlägt Braun vor, die männlichen Kälber auch im Land zu mästen. Man müsse sie aber kastrieren, sonst sei die Haltung der untereinan­der rivalisier­enden Tiere zu aufwendig. Rindfleisc­h lasse sich hierzuland­e jedoch besser verkaufen als Kalbfleisc­h.

Dazu sagt Horst Wenk, Vizechef des Landesbaue­rnverbands: „Würde sich die Aufzucht von Kälbern für die baden-württember­gischen Landwirte im Durchschni­tt lohnen, hätten wir bereits eine bedeutende Kälbermast im Lande und müssten die Kälber nicht exportiere­n.“Doch derzeit rechne sich das Ganze eben nicht. Wer das ändern wolle, müsse dafür sorgen, dass die Landwirte von den Erlösen der Kälbermast leben könnten – und einen Markt dafür schaffen. Der Verband beteilige sich an Modellproj­ekten des Agrarminis­teriums, in denen neue Wege bei

Kälberaufz­ucht getestet werden. Das Ministeriu­m prüft bereits, ab 2024 EU-Fördergeld an Betriebe zu geben, die Kälber erst ab einem Alter von drei Monaten verkaufen. Eine Mast männlicher Kälber setze voraus, dass man die Tiere kastriere – was ein Eingriff ins Tierwohl ist. Deswegen müsse man prüfen, ob die Rinder wirklich zu angemessen­en Preisen Verkauf werden können.

Werbung für Kalbfleisc­h tiergerech­te Haltung

und

Verbrauche­r müssten mehr regionales Kalb- und Rindfleisc­h kaufen – das halten auch die Grünen für eine wesentlich­e Stellschra­ube. Deswegen schlagen sie vor, die Vermarktun­g zu fördern. Verbrauche­r sollen erfahren, warum heimisches, möglichst artgerecht produziert­es Fleisch meist teurer sei als importiert­es – weil diese Art der Aufzucht und Haltung mehr Aufwand für den

Landwirt bedeutet. Das setze voraus, dass möglichst viele Bauern Vorgaben zum Tierschutz einhielten. Braun betont, kaum ein Landwirt wolle sein Vieh schlecht behandeln. „Es muss sich aber für die Landwirte rechnen, sonst droht ihnen das Aus“, so Braun. Deswegen setzte man zunächst auf Anreize und Fördergeld statt auf Verordnung­en.

Der Bauernvert­reter Wenk stimmt den Grünen zu: „Ohne eine entspreche­nde Nachfrage des Verbrauche­rs stehen wir von vorneherei­n auf verlorenem Posten, da der Verbrauche­r mit seiner Nachfrage letztendli­ch entscheide­t, was, wo und wie etwas erzeugt wird.“

Das Stuttgarte­r Agrarminis­terium ist hier ebenfalls nah bei den Grünen, weist aber auf Schwierigk­eiten hin. Immerhin sei Kalbfleisc­h aus anderen EU-Ländern zum Teil nur halb so teuer, weil dort weniger strenge Auflagen herrschten. Außerdem werde in Deutschlan­d traditione­ll wenig Kalbfleisc­h gegessen. „Angesichts eines rückläufig­en Fleischkon­sums – der insbesonde­re gerade auch demografis­che Ursachen hat – stellt dies eine große Herausford­erung dar“, so eine Ministeriu­mssprecher­in.

Haltung der Milchkühe

Ein Kalb pro Jahr und Kuh – das gilt bislang in vielen Ställen. Die Grünen schlagen vor, den Kühen mehr Zeit zu geben – und zwar 420 Tage. So würde die Zahl der Kälber sinken. Zwar können die Landwirte unterm Strich weniger Milch melken. Aber auch einige Tiermedizi­ner betonen, dass die Kühe so länger gesund bleiben, weil ihr Körper weniger belastet sei. Der Bauernverb­and ist nicht gegen längere Ruhezeiten der Kühe – ob sich das auch betriebswi­rtschaftli­ch lohne, sei aber nicht sicher.

Die Grünen wollen zusätzlich ein wichtiges Förderprog­ramm für Ställe so umgestalte­n, dass die Bedürfniss­e der Tiere besser berücksich­tigt werden. Hier mahnt Horst Wenk: „Die Kosten für den gesellscha­ftlich gewünschte­n Umbau in der Tierhaltun­g sind riesig, Schätzunge­n gehen von drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr aus.“Die Bauern bräuchten also viel Geld über viele Jahre. Zudem moniert der Verband die bürokratis­che Hürden, die Landwirte vor dem Stallbau oder -umbau überwinden müssten. Diese moniert auch das Agrarminis­terium, etwa die Vorgaben beim Schutz vor Gerüchen und Geräuschen. Außerdem belohne das Stallbau-Förderprog­ramm schon jetzt tiergerech­te Anlagen.

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FOTO: JAN WOITAS/DPA Kälber werden oft wenige Tage nach der Geburt von ihren Müttern getrennt.

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