Frauen-Power in der Ninive-Ebene
Iraks einzige Bürgermeisterin kämpft für Christen – Sie will den Exodus stoppen und bittet um Hilfe
Sie weiß um die Macht der Bilder. Da steht sie, mitten in der Kirche, in der Kampfmontur der kurdischen Peschmerga, verschränkte Arme, ein violettes Barett auf dem Kopf, klarer Blick. Zum Zeitpunkt des Fotos greifen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates (IS) zehn Minuten Autofahrt entfernt die Verteidigungslinien der Kurden an. „Ich habe nie an der Front gegen die Mörder gekämpft“, sagt Lara Yussif Zara. In das Bild werde zu viel hineininterpretiert. Sie habe mit ihren Mitteln ihre ganz persönliche Solidarität mit den Verteidigern ausdrücken wollen. „Das ist unser Land, unsere Gemeinde, es sind unsere Menschen. Wir lassen uns nicht vertreiben oder ermorden“, fügt sie hinzu. Yussif Zara ist heute die einzige Bürgermeisterin im gesamten Irak. Die Christin arbeitet im kleinen Alqosh daran, dass Christen in der Region im Nordirak bleiben, die auch nach dem offiziellen Sieg über den IS 2017 ausgesprochen instabil ist.
Die Stadt Alqosh hat knapp 10.000 Einwohner, in deren Verwaltungsbezirk leben etwa 60.000 Menschen. Die frühere Metropole Mossul, in der der IS sein Kalifat für seine weltweite Propaganda ausgerufen hatte und die während der Befreiungsschlacht 2016/2017 weitgehend zerstört wurde, liegt gerade einmal 30 Kilometer südlich entfernt. Der Apostel Thomas soll der Überlieferung nach im 1. Jahrhundert die Gegend besucht haben, in den Bergen über Alqosh liegt das Kloster Rabban Hormizd, das im 7. Jahrhundert gegründet und Stück für Stück in die Felsen geschlagen wurde. Ohne Krieg und Terror wäre es ein Touristenmagnet. Riskant ist es rund um Alqosh weiterhin. Statt den IS-Schergen gibt es knapp 15 Kilometer entfernt die ersten Checkpoints von schiitischen Milizionären, die von den Mullahs aus Iran finanziert, ausgebildet und mit Waffen ausgerüstet werden. Die Peschmerga reden nicht darüber, haben aber offenkundig so Stellung bezogen, dass
Alqosh schwerlich angegriffen oder gar eingenommen werden kann und die Bewohner nicht um ihr Leben fürchten müssen. Yussif Zara hingegen schon. Im vergangenen Jahr überlebte sie ein Attentat unverletzt. Die Auftraggeber sitzen aller Wahrscheinlichkeit in der iranischen Hauptstadt Teheran.
Hinter ihrem Schreibtisch zuckt die Bürgermeisterin mit den Schultern. Sechs Leibwächter müssten jetzt reichen, außerdem wolle sie nicht ständig über die Gewalt sprechen. „Reden wir lieber über die Projekte in Alqosh. Ich will den hier lebenden Menschen Perspektiven bieten, wir müssen unser Erbe leben, aber das geht nicht nur mit schönen Worten.“Alqosh brauche neben der Sicherheit vor allem Schulen und Arbeitsplätze. „Es muss gut sein, hier zu leben“, ist die studierte Ökonomin und Lehrerin überzeugt. Vor allem für die Christen und die Jesiden sei es schwierig. Es gebe „von außen“massiven Druck auf sie und deshalb hegten viele Auswanderungsgedanken. Die Zahlen sprechen für sich: Vor zwei Jahrzehnten haben in der Region über eine Million Christen gelebt, jetzt sind es noch knapp 200.000 Menschen.
Yussif Zara sagt es nicht, aber mit „von außen“meint sie die Zentralregierung in der Hauptstadt Bagdad sowie andere Länder wie die Türkei oder Iran. Sie nennt als ein großes Problem die in ihren Augen willkürliche Vergabe von Eigentumsrechten an verlassenen Grundstücken an die arabische Bevölkerung durch Bagdad. Da könne wenig wirklich kontrolliert werden. „Ich halte dagegen, biete Christen mit wenig Geld Grundstücke in meinem Verwaltungsdistrikt an.“Nebenkosten beim Erwerb würden beispielsweise erlassen. Die in den Autonomiegebieten vielerorts regierende Partei KDP (Kurdistan Democratic Party) sei dabei an ihrer Seite. „Dieser sehr spezielle demografische Wandel muss gestoppt werden“, sagt die auch Aramäisch – die Sprache zu Zeiten von Jesus Christus – sprechende Lokalpolitikerin, die mittlerweile überzeugtes Mitglied der KDP ist. Sie bekomme immer häufiger Anrufe von Christen aus der Diaspora, die sich für Grundstücke in Alqosh interessierten. Auch deshalb arbeite sie gemeinsam mit vielen anderen daran, die Zahl der Christen zu stabilisieren oder gar wieder zu vergrößern. Auch mit Blick auf die Jesiden meint sie es ernst. „Wir haben so viele Menschen, die im Irak vertrieben worden sind, für sie gibt es immer noch keine wirklichen Lösungen.“Für die Bürgermeisterin kommt erschwerend hinzu, dass Alqosh offiziell nicht zu den kurdischen Autonomiegebieten, sondern zu den zwischen Bagdad und den Kurden „umstrittenen Gebieten“gehört. Eigentlich müsste Yussif Zara regelmäßig den Behörden in Mossul, also Bagdad, berichten. Doch die Kurden der Provinz Dohuk stellen sich nicht nur militärisch mit den Peschmerga, sondern auch politisch vor sie. Eine heikle Situation.
Aus dem fernen Bagdad erfährt Yussif Zara aber auch Unterstützung. Der deutsche Botschafter Martin Jäger ist auf sie aufmerksam geworden. „Ich habe sie in Alqosh besucht. Sie ist eine außergewöhnliche Frau, es gibt wenige Frauen in der irakischen Politik. Als Bürgermeisterin ist sie an einer Stelle, an der tatsächlich geliefert werden muss. Das ist kein zeremonielles Amt, da geht es um handfeste Dinge: Investitionen, Arbeitsplätze, Abwasser, Wasser. Sie macht es in einer erfolgreichen Weise, sonst würde sie dort nicht gewählt werden. Sie ist ein Vorbild für viele junge Frauen im Irak.“Über so viel Lob muss Yussif Zara schmunzeln,
fast scheint ihr diese Bewertung peinlich und sie lenkt den Blick auf ihre Familie. „Mein 90-jähriger Vater ist stolz auf mich. Er hat viel Erfahrung und berät mich.“Fakt ist, sie ist wiedergewählt worden, obwohl es zunächst Widerstand gegen die 1982 geborene Frau gab. Auch wenn die Kurden viele Feinde haben, internen Streitigkeiten gehen sie deshalb nicht aus dem Weg. Yussif Zara sei eben durchsetzungsstark, heißt es dazu lapidar aus dem engeren Umfeld des Gouverneurs der Provinz Dohuk, an die Alqosh grenzt.
Szenenwechsel. Der Schulhof der Alqosh Secondary School für Mädchen. „Wir haben hier 230 Schülerinnen, die die weiterführende Schule besuchen. Sie sind zwischen 12 und 18 Jahre alt.“Es gebe zwei naturwissenschaftliche Zweige und einen für Literatur, erklärt die Lokalpolitikerin und führt dabei durch die Räume, die teils neu gebaut worden sind oder die noch renoviert werden. Schulmaterial ist da, Tische, Stühle, Lehrbücher und auch Lehrerinnen und Lehrer garantieren einen guten Schulbesuch. „Was uns hier aber fehlt, ist eine verlässliche Stromversorgung“, ärgert sich die Bürgermeisterin. Vielleicht könnten die Besucher ja helfen. Nach kurzer Rücksprache ist sich die Gruppe aus Redakteuren der „Schwäbischen Zeitung“und deutschen wie kurdischen Experten einig, die Schule braucht eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Sie wird zwischen 20.000 und 25.000 US-Dollar kosten, kann somit aus dem Spendenaufkommen der Aktion „Helfen bringt Freude“2022 finanziert werden. Ob sie sofort installiert werden kann, ist offen. Ähnlich wie in Deutschland gibt es Lieferengpässe und zu wenig spezialisierte Handwerker. „Wann bringt ihr den Artikel?“, fragt Lara Yussif Zara zum Zeitpunkt des Besuchs im Oktober. Nach der Antwort lächelt sie. Für sie sei die Geschichte schon jetzt ein Weihnachtsgeschenk. „Wünscht bitte allen aus eurem Verbreitungsgebiet frohe Weihnachten! Wir werden Heiligabend an euch denken!“