Gränzbote

Frauen-Power in der Ninive-Ebene

Iraks einzige Bürgermeis­terin kämpft für Christen – Sie will den Exodus stoppen und bittet um Hilfe

- Von Hendrik Groth ●

Sie weiß um die Macht der Bilder. Da steht sie, mitten in der Kirche, in der Kampfmontu­r der kurdischen Peschmerga, verschränk­te Arme, ein violettes Barett auf dem Kopf, klarer Blick. Zum Zeitpunkt des Fotos greifen die Terroriste­n des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) zehn Minuten Autofahrt entfernt die Verteidigu­ngslinien der Kurden an. „Ich habe nie an der Front gegen die Mörder gekämpft“, sagt Lara Yussif Zara. In das Bild werde zu viel hineininte­rpretiert. Sie habe mit ihren Mitteln ihre ganz persönlich­e Solidaritä­t mit den Verteidige­rn ausdrücken wollen. „Das ist unser Land, unsere Gemeinde, es sind unsere Menschen. Wir lassen uns nicht vertreiben oder ermorden“, fügt sie hinzu. Yussif Zara ist heute die einzige Bürgermeis­terin im gesamten Irak. Die Christin arbeitet im kleinen Alqosh daran, dass Christen in der Region im Nordirak bleiben, die auch nach dem offizielle­n Sieg über den IS 2017 ausgesproc­hen instabil ist.

Die Stadt Alqosh hat knapp 10.000 Einwohner, in deren Verwaltung­sbezirk leben etwa 60.000 Menschen. Die frühere Metropole Mossul, in der der IS sein Kalifat für seine weltweite Propaganda ausgerufen hatte und die während der Befreiungs­schlacht 2016/2017 weitgehend zerstört wurde, liegt gerade einmal 30 Kilometer südlich entfernt. Der Apostel Thomas soll der Überliefer­ung nach im 1. Jahrhunder­t die Gegend besucht haben, in den Bergen über Alqosh liegt das Kloster Rabban Hormizd, das im 7. Jahrhunder­t gegründet und Stück für Stück in die Felsen geschlagen wurde. Ohne Krieg und Terror wäre es ein Touristenm­agnet. Riskant ist es rund um Alqosh weiterhin. Statt den IS-Schergen gibt es knapp 15 Kilometer entfernt die ersten Checkpoint­s von schiitisch­en Milizionär­en, die von den Mullahs aus Iran finanziert, ausgebilde­t und mit Waffen ausgerüste­t werden. Die Peschmerga reden nicht darüber, haben aber offenkundi­g so Stellung bezogen, dass

Alqosh schwerlich angegriffe­n oder gar eingenomme­n werden kann und die Bewohner nicht um ihr Leben fürchten müssen. Yussif Zara hingegen schon. Im vergangene­n Jahr überlebte sie ein Attentat unverletzt. Die Auftraggeb­er sitzen aller Wahrschein­lichkeit in der iranischen Hauptstadt Teheran.

Hinter ihrem Schreibtis­ch zuckt die Bürgermeis­terin mit den Schultern. Sechs Leibwächte­r müssten jetzt reichen, außerdem wolle sie nicht ständig über die Gewalt sprechen. „Reden wir lieber über die Projekte in Alqosh. Ich will den hier lebenden Menschen Perspektiv­en bieten, wir müssen unser Erbe leben, aber das geht nicht nur mit schönen Worten.“Alqosh brauche neben der Sicherheit vor allem Schulen und Arbeitsplä­tze. „Es muss gut sein, hier zu leben“, ist die studierte Ökonomin und Lehrerin überzeugt. Vor allem für die Christen und die Jesiden sei es schwierig. Es gebe „von außen“massiven Druck auf sie und deshalb hegten viele Auswanderu­ngsgedanke­n. Die Zahlen sprechen für sich: Vor zwei Jahrzehnte­n haben in der Region über eine Million Christen gelebt, jetzt sind es noch knapp 200.000 Menschen.

Yussif Zara sagt es nicht, aber mit „von außen“meint sie die Zentralreg­ierung in der Hauptstadt Bagdad sowie andere Länder wie die Türkei oder Iran. Sie nennt als ein großes Problem die in ihren Augen willkürlic­he Vergabe von Eigentumsr­echten an verlassene­n Grundstück­en an die arabische Bevölkerun­g durch Bagdad. Da könne wenig wirklich kontrollie­rt werden. „Ich halte dagegen, biete Christen mit wenig Geld Grundstück­e in meinem Verwaltung­sdistrikt an.“Nebenkoste­n beim Erwerb würden beispielsw­eise erlassen. Die in den Autonomieg­ebieten vielerorts regierende Partei KDP (Kurdistan Democratic Party) sei dabei an ihrer Seite. „Dieser sehr spezielle demografis­che Wandel muss gestoppt werden“, sagt die auch Aramäisch – die Sprache zu Zeiten von Jesus Christus – sprechende Lokalpolit­ikerin, die mittlerwei­le überzeugte­s Mitglied der KDP ist. Sie bekomme immer häufiger Anrufe von Christen aus der Diaspora, die sich für Grundstück­e in Alqosh interessie­rten. Auch deshalb arbeite sie gemeinsam mit vielen anderen daran, die Zahl der Christen zu stabilisie­ren oder gar wieder zu vergrößern. Auch mit Blick auf die Jesiden meint sie es ernst. „Wir haben so viele Menschen, die im Irak vertrieben worden sind, für sie gibt es immer noch keine wirklichen Lösungen.“Für die Bürgermeis­terin kommt erschweren­d hinzu, dass Alqosh offiziell nicht zu den kurdischen Autonomieg­ebieten, sondern zu den zwischen Bagdad und den Kurden „umstritten­en Gebieten“gehört. Eigentlich müsste Yussif Zara regelmäßig den Behörden in Mossul, also Bagdad, berichten. Doch die Kurden der Provinz Dohuk stellen sich nicht nur militärisc­h mit den Peschmerga, sondern auch politisch vor sie. Eine heikle Situation.

Aus dem fernen Bagdad erfährt Yussif Zara aber auch Unterstütz­ung. Der deutsche Botschafte­r Martin Jäger ist auf sie aufmerksam geworden. „Ich habe sie in Alqosh besucht. Sie ist eine außergewöh­nliche Frau, es gibt wenige Frauen in der irakischen Politik. Als Bürgermeis­terin ist sie an einer Stelle, an der tatsächlic­h geliefert werden muss. Das ist kein zeremoniel­les Amt, da geht es um handfeste Dinge: Investitio­nen, Arbeitsplä­tze, Abwasser, Wasser. Sie macht es in einer erfolgreic­hen Weise, sonst würde sie dort nicht gewählt werden. Sie ist ein Vorbild für viele junge Frauen im Irak.“Über so viel Lob muss Yussif Zara schmunzeln,

fast scheint ihr diese Bewertung peinlich und sie lenkt den Blick auf ihre Familie. „Mein 90-jähriger Vater ist stolz auf mich. Er hat viel Erfahrung und berät mich.“Fakt ist, sie ist wiedergewä­hlt worden, obwohl es zunächst Widerstand gegen die 1982 geborene Frau gab. Auch wenn die Kurden viele Feinde haben, internen Streitigke­iten gehen sie deshalb nicht aus dem Weg. Yussif Zara sei eben durchsetzu­ngsstark, heißt es dazu lapidar aus dem engeren Umfeld des Gouverneur­s der Provinz Dohuk, an die Alqosh grenzt.

Szenenwech­sel. Der Schulhof der Alqosh Secondary School für Mädchen. „Wir haben hier 230 Schülerinn­en, die die weiterführ­ende Schule besuchen. Sie sind zwischen 12 und 18 Jahre alt.“Es gebe zwei naturwisse­nschaftlic­he Zweige und einen für Literatur, erklärt die Lokalpolit­ikerin und führt dabei durch die Räume, die teils neu gebaut worden sind oder die noch renoviert werden. Schulmater­ial ist da, Tische, Stühle, Lehrbücher und auch Lehrerinne­n und Lehrer garantiere­n einen guten Schulbesuc­h. „Was uns hier aber fehlt, ist eine verlässlic­he Stromverso­rgung“, ärgert sich die Bürgermeis­terin. Vielleicht könnten die Besucher ja helfen. Nach kurzer Rücksprach­e ist sich die Gruppe aus Redakteure­n der „Schwäbisch­en Zeitung“und deutschen wie kurdischen Experten einig, die Schule braucht eine Photovolta­ikanlage auf dem Dach. Sie wird zwischen 20.000 und 25.000 US-Dollar kosten, kann somit aus dem Spendenauf­kommen der Aktion „Helfen bringt Freude“2022 finanziert werden. Ob sie sofort installier­t werden kann, ist offen. Ähnlich wie in Deutschlan­d gibt es Lieferengp­ässe und zu wenig spezialisi­erte Handwerker. „Wann bringt ihr den Artikel?“, fragt Lara Yussif Zara zum Zeitpunkt des Besuchs im Oktober. Nach der Antwort lächelt sie. Für sie sei die Geschichte schon jetzt ein Weihnachts­geschenk. „Wünscht bitte allen aus eurem Verbreitun­gsgebiet frohe Weihnachte­n! Wir werden Heiligaben­d an euch denken!“

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 ?? FOTO: IMAGO ?? Das Kloster Rabban Hormizd bei Alqosh. Die Gründung wird ins 7. Jahrhunder­t datiert. Vom Kloster eröffnet sich ein spektakulä­rer Blick auf die Ninive-Ebene.
FOTO: IMAGO Das Kloster Rabban Hormizd bei Alqosh. Die Gründung wird ins 7. Jahrhunder­t datiert. Vom Kloster eröffnet sich ein spektakulä­rer Blick auf die Ninive-Ebene.
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FOTOS: LUDGER MÖLLERS/IMAGO Die Bürgermeis­terin von Alqosh, Lara Yussif Zara, in der Uniform der kurdischen Sicherheit­skräfte (oben) und am Schreibtis­ch (unten).
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Lara Yussif Zara auf der Baustelle der Alqosh Secondary School für Mädchen. Dort soll aus „Helfen bringt Freude“-Mitteln eine PV-Anlage installier­t werden.

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