„Seit Jahren aggressive russische Spionage“
Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom zum Fall des enttarnten Doppelagenten beim BND
BERLIN - Der Bundesnachrichtendienst (BND) war schon immer anfällig für Spione aus Osteuropa, sagt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Der aktuelle Fall könne allerdings katastrohale Folgen haben, prophezeit er.
Hat der Spionagefall beim BND Sie überrascht?
Überhaupt nicht. Der BND war schon immer anfällig für Spionageversuche osteuropäischer Geheimdienste. Das zieht sich seit den 1960er-Jahren bis in die Zeit nach der Wende durch.
Und wie groß ist der Fall in Ihren Augen?
Es ist eine absolute Katastrophe für die nachrichtendienstlichen Auslandsgeschäfte des BND. Der festgenommene Carsten L. war offenbar ein technischer Chefauswerter der Auslandsaufklärung. Damit hatte er Zugang zu den Lageberichten des BND, also zu brisanten Informationen, die der BND von Partnerdiensten erhalten hat. Gerade im Zuge des Ukraine-Krieges gibt es da ein hohes Meldungsaufkommen.
Welche Konsequenzen könnte seine Enttarnung haben?
Es kann dazu führen, dass wichtige Geheimdienste aus dem angelsächsischen Raum, aus Großbritannien oder den USA, ihre Erkenntnisse nicht mehr mit dem BND teilen. Die Briten haben so etwas schon früher angedroht, und auch die US-amerikanische NSA wird sich jetzt fragen, ob sie brisante Informationen noch an Deutschland weitergibt.
Kann das nicht jedem Geheimdienst passieren, dass eine gegnerische Macht einen Maulwurf dort platziert?
Ja, jeder westliche Nachrichtendienst hat seine Schlappen erlitten. Aber beim BND ist es auffällig, dass die Eigensicherung offensichtlich nicht gut aufgestellt ist.
Und wie kann man das ändern?
Mein Vorschlag ist, dem BND die Sicherheitsüberprüfung wegzunehmen und das amerikanische Modell anzuwenden. Hochrangige Mitarbeiter der CIA werden nämlich nicht von der CIA selbst überprüft, sondern vom FBI. In Deutschland müsste man also den Verfassungsschutz
mit der Sicherheitsüberprüfung beauftragen, weil der eine größere Distanz zum Bundesnachrichtendienst hat.
Halten Sie es für möglich, dass noch mehr Menschen im BND in diesen Spionagefall verwickelt sind?
Dass es ein Netzwerk gibt, glaube ich nicht. Damit arbeitet man nicht in
gegnerischen Nachrichtendiensten. Wenn man dort drei Leute platziert hat, dann wissen die nichts voneinander. Wir erleben seit Jahren aber eine sehr aggressive russische Spionage. In der Bundeswehr wurde ein Oberstleutnant angeworben und in Augsburg ein Forscher. Das sind die öffentlich bekannt gewordenen Fälle. In Deutschland ist eine Vielzahl russischer Geheimdienstoffiziere im
Einsatz, die unter diplomatischer Abdeckung aus der Botschaft oder den Generalkonsulaten heraus agieren.
Kann Deutschland darauf nicht reagieren?
Ich vermute, dass das Auswärtige Amt in den nächsten Tagen mehr als eine Handvoll von ihnen als unerwünschte Personen ausweist.