Öffne heute das Geheimnis eines anderen Lebens!
Der ukrainische Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk ruft zur Verteidigung christlicher Werte auf
Auch in schwierigster Zeit und unter härtesten Bedingungen Christ bleiben: Dazu ruft Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa auf. In seiner Weihnachtspredigt mahnt er: „Wir sollten uns nicht scheuen, vieles Gott zu überlassen und vertrauen, auf den wir unsere Hoffnung setzen.“
Liebe Schwestern und Brüder, die Zeit des Erwartens – der Advent – ist vorbei, und die Zeit der Weihnacht ist gekommen.
Jede Erwartung findet ihre Erfüllung. Wir wissen, dass es unterschiedliche Erwartungen gibt, die länger oder kürzer sind, aber sie sind nicht ewig. Viele Jahre, ja Jahrhunderte lang wurden die Erwartungen Israels mit der Geburt Jesu Christi erfüllt. Und wir feiern dieses Ereignis jedes Jahr zum dritten Jahrtausend. Im Lichte von Immanuels „Gott ist mit uns“bauen wir unser Leben auf. In unserer heutigen Realität kämpfen wir auch um unser Leben in unserem ukrainischen Heimatland.
Mit seiner Geburt bringt Jesus den Frieden und das Leben Gottes auf unsere Erde. Der Evangelist Matthäus beschreibt dieses Ereignis als eine Geschichte eines gewöhnlichen irdischen Lebens. Die Ernennung Marias zur Frau von Josef, die Verlobung, einige Träume und Hoffnungen werden aufgebaut. Doch dann kommt die wahre Enttäuschung über seine Braut. Er weiß nicht, was er denken soll, geschweige denn, was er tun soll. Rein menschlich gesehen fühlt er sich beleidigt, verletzt und sogar beschämt. Sein Recht als Mann, als menschliches Leben, verlangt von ihm, dass er sich verteidigt, dass er sich an Recht und Gesetz hält. Und das bedeutet, dass er seine Braut zum Tod durch Steinigen verurteilt – ganz nach den Regeln der damaligen Zeit.
Aber für den gerechten Josef gibt es ein anderes Gesetz und andere Regeln. Er will weder den Tod noch die Entehrung von Maria. Er beschließt, sich heimlich von ihr zu trennen und überlässt alles andere mutig Gott, dem er vertraut.
Solche Gerechtigkeit, solcher Adel im rein irdischen Leben werden von Gott selbst belohnt. Durch den Engel eröffnet Gott dem heiligen Josef das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes, also eines anderen Lebens durch Gott. Durch den Engel im Traum spricht Gott ihn mit seinem Namen an: „Josef, Sohn Davids!“Wie schön, dass Gott selbst Josef anspricht! Und dann: „Fürchte dich nicht!“Denn Immanuel wird geboren werden: Gott ist mit uns.
Der gehorsame und gerechte Josef tut, was der Engel des Herrn ihm sagt. Könnte er anders handeln? Nein, das könnte er nicht. Denn da er gegenüber den Taten des reinen
Menschen und gegenüber der Person Marias gerecht und rechtschaffen ist, bleibt er gegenüber den Taten Gottes gerecht und gehorsam.
Liebe Brüder und Schwestern, Unruhe, Angst und Gefahr sind
die Folgen des Krieges, in dem sich unser menschliches Leben derzeit befindet. Wie können wir in einer solchen Situation das Leben Gottes annehmen, das uns durch die Geburt Christi gebracht wird? Wie kann man das tun, wenn es eine andere schreckliche Realität gibt? Zerstörung
und Vernichtung! Millionen unserer Mitmenschen sind zu Flüchtlingen geworden, Zehntausende sind Opfer des Krieges geworden. Tausende von Kindern unterschiedlichen Alters wurden verletzt, wachsen mit einer Behinderung auf, verloren ihre Beine, Arme, Augen. Mehr als 500 Kinder verloren ihr Leben. Das jüngste Kind aus Saporischschja war erst zwei Tage alt, als eine russische Rakete das Entbindungskrankenhaus getroffen hat.
Hier bricht der Schrei der Seele aus: Herr, beschütze uns und gib uns Hoffnung!
Es ist sehr schwierig, in dieser Situation Worte des Trostes zu finden, auch wenn wir hoffen, dass dieser Krieg vorübergehen wird.
Aber das Geheimnis der Weihnacht und unseres Glaubens stärken unsere Hoffnung auf den Sieg des Guten über das Böse. Denn für uns ist Immanuel geboren worden – Gott ist mit uns! Der Gott der Güte und des Friedens! Seien wir also nicht nur in Formeln und auf dem Papier bei Gott, unserem Herrn, sondern tatsächlich: Praktisch, mit unseren Taten, Werken, Problemen und Anliegen, wie es unser Glaube lehrt.
Denn die Wahrheit von Weihnachten zeigt, dass Jesus, unser Retter, wirklich bei uns ist. Schon bei seiner Geburt wird er als Obdachloser in einem Stall geboren. Schon als Baby wird er zu einem Flüchtling. Er wird gezwungen, aus seinem Heimatland nach Ägypten zu fliehen. Auf der Flucht vor dem blutrünstigen Herodes erfährt er, dass sein Leben in Gefahr ist und weiß, wie viele unschuldige Kinder durch den grausamen Tyrannen gestorben sind. Und da er mit seinem Volk unter der Besatzung lebt, weiß er sehr gut, was ein Besatzer ist. Von seiner Geburt an hat er alles erlebt, was die Menschheit bereits durchgemacht hat.
Jetzt erlebt unser Volk, erleben die Menschen in der Ukraine, diese Erfahrung. Und all das wird auch vorübergehen, denn Immanuel ist mit uns. Lasst uns also auf den vertrauen, dessen Weihnachten wir feiern.
In unserem irdischen Leben wollen wir unsere Rechte leben, unser freies und friedliches Leben führen, unsere Forderungen nach Gerechtigkeit durchsetzen. Natürlich haben wir das Recht dazu: Daher kämpfen wir gegen den neuen Herodes und den blutigen Tyrannen, um unsere Kinder, unsere Familien und unser Heimatland zu schützen. Indem wir aber die Geburt Christi feiern, machen wir uns wieder bewusst, dass wir Christen sind und dass wir die Pflicht haben, das Geheimnis des Lebens in Gott zu entdecken.
Es ist wichtig, ein rechtschaffener Mensch zu sein und zu bleiben. Um sich selbst, die eigenen Kinder und das eigene Volk vor einer noch schrecklicheren Besatzung zu schützen, nämlich vor Hass, Wut, Rachedurst, Unglauben und dem Verlust der eigenen christlichen Rechtschaffenheit. Auch dafür müssen wir kämpfen. Und wir sollten uns nicht scheuen, vieles Gott zu überlassen und vertrauen, auf den wir unsere Hoffnung setzen.
Und heute, am Tag seiner Geburt, wird der liebende Gott jeden von uns beim Namen rufen und sagen: „Hab keine Angst! Öffne heute das Geheimnis eines anderen Lebens. Und alle deine Hoffnungen und Erwartungen werden sich erfüllen.“
Amen.