Firmen sind schlecht auf Lieferkettengesetz vorbereitet
Ab 1. Januar gelten neue Vorgaben für große Unternehmen – Wirtschaftsverbände beklagen Bürokratie
BERLIN/STUTTGART - Nach jahrelangen Debatten tritt in wenigen Tagen das Lieferkettengesetz für große deutsche Unternehmen in Kraft. Auf den letzten Metern beschweren sich jetzt Wirtschaftsverbände über den Verwaltungsaufwand. Während Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) das Gesetz lobt, zeigt eine Umfrage unter großen Firmen, dass diese noch überwiegend schlecht auf das Gesetz vorbereitet sind.
Ab Anfang Januar müssen alle hiesigen Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten das Gesetz einhalten, ein Jahr später alle Firmen mit mehr als 1000 Personen. Die Regelung soll sicherstellen, dass die sozialen und ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten und Anwohner bei den weltweiten Zulieferern deutscher Unternehmen gewährleistet werden. Es geht beispielsweise darum, die Gesundheit des Personals zu schützen, angemessene Löhne zu zahlen und den Arbeitern den Zusammenschluss in Gewerkschaften zu ermöglichen.
Ein Fragenkatalog des Bundesamtes für Wirtschaft (Bafa) löst nun aktuell Kritik des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) aus. Deren Präsidenten, Dirk Jandura und Peter Adrian, halten den Fragenkatalog für zu kompliziert. Auf 38 Seiten fragt das Bundesamt damit ab, ob die betroffenen Unternehmen das Gesetz einhalten. Für die Antworten haben sie bis Frühjahr 2023 Zeit. Unter anderem sollen sie Rechenschaft ablegen, ob sie ein Risikomanagement aufgebaut und eine sogenannte Grundsatzerklärung verfasst haben, um menschenrechtliche Risiken bei ihren Zulieferern zu identifizieren.
Dagegen begrüßte Entwicklungsministerin Schulze das Gesetz. „In Entwicklungsländern haben die Menschen oft nicht die Chance, ihre Rechte
gegen international agierende Unternehmen und ihre Zulieferer durchzusetzen“, sagte Schulze. „Unser Gesetz hilft dabei, dieses Machtgefälle auszugleichen, indem es die Unternehmen stärker in die Pflicht nimmt.“
Eine Umfrage der Mannheimer Softwarefirma Osapiens in Kooperation mit dem Entwicklungsministerium zeigt währenddessen, dass viele Unternehmen bisher schlecht auf das Gesetz vorbereitet sind – obwohl der Bundestag es bereits vor anderthalb Jahren beschloss. So haben bisher nur 38 Prozent der Unternehmen ein Risikomanagement eingerichtet. Die Osapiens-Umfrage liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor. Rund 475 Firmen mit über 1000 Beschäftigten aus zahlreichen Branchen nahmen daran teil.
Mit ihrem Risikomanagement sollen die Unternehmen die Basis
dafür legen, dass sie das Lieferkettengesetz einhalten können. Sie müssen dabei beispielsweise feststellen, welche ihrer unmittelbaren und mittelbaren Zulieferfirmen in problematischen Ländern arbeiten, etwa in China, wo es keine freien Gewerkschaften gibt. „Relativ wenige Unternehmen erfüllen bisher alle Anforderungen des Gesetzes“, sagte Alberto Zamora von Osapiens. Eine Erklärung dafür sei, dass die Wirtschaft abgewartet habe, ob die Regulierung wirklich in Kraft trete, so Zamora. Unter anderem Wirtschaftsverbände hatten das zu verhindern versucht.
In der geringen Verbreitung des Risikomanagements sieht Markus Löning ein Problem: „Das gibt Anlass zur Sorge.“Löning betreibt eine Beratungsfirma für Unternehmensverantwortung in Berlin. Solche Prozesse
einzurichten, „ist aufwendig und braucht einen längeren Vorlauf“. Deshalb sei in vielen Fällen zu bezweifeln, ob die Firmen den Anforderungen des Gesetzes bald gerecht werden könnten.
Auch einer weiteren Vorgabe kommen die meisten befragten Unternehmen bisher nicht nach. Nur knapp ein Viertel der Betriebe verfügt bislang über eine öffentliche Grundsatzerklärung zu ihrer Menschenrechtspolitik. Darin ist unter anderem zu umreißen, welche Risiken die Firmen in ihren Lieferketten sehen und welche Mitarbeiter für diese Fragen verantwortlich sind. Dass sich die Unternehmen damit bisher offenbar kaum beschäftigten, ist hinderlich für den weiteren Prozess der Umsetzung.
Auf Probleme weist die Umfrage zudem bei den Beschwerdeverfahren
hin. Diese müssen die hiesigen Unternehmen einrichten, damit die Beschäftigten der Zulieferfirmen Hinweise auf Unzulänglichkeiten einreichen können. Bisher verfügt nur eine Viertel der hiesigen Auftraggeber über ein solches Beschwerdeverfahren.
Große Konzerne sind indes schon weiter. „Für uns ändert sich nicht so viel, weil wir uns schon seit Jahren darauf vorbereitet haben“, sagt Jungo Brüngger, Rechtsvorständin von Mercedes-Benz. Man könne die Kontrolle von Lieferketten nicht einfach auf Knopfdruck umsetzen. Der Konzern habe entsprechende Vertragsbedingungen, Beschaffungsstandards und Auditrechte mit seinen unmittelbaren Lieferanten vereinbart.
Mercedes-Benz habe rund 40.000 Lieferanten allein im direkten Bereich.
Hinzu komme ein Vielfaches davon im indirekten Bereich. „Wir können diese Lieferanten nicht jeden Tag kontrollieren. Das ist nicht machbar, auch nicht für solch ein großes Unternehmen.“Es müsse also ein risikobasierter Ansatz gewählt werden. Für die größten Risiken würden Maßnahmen definiert, die dann kontrolliert werden.
Etwa bei der Elektromobilität, die Batterien und Batteriezellen brauche. „Hier gibt es natürlich im Moment größere Risiken.“Kobalt komme zum Beispiel aus Ländern, die man mit Kinderarbeit in Verbindung bringe. „Das haben wir erkannt und schon 2018 die Lieferkette für Kobalt transparenter gemacht und bis zu den Minen kontrolliert“, sagt Juno Brüngger.
„Das Gesetz ist in vielen Punkten sehr ambitioniert und es wird sicher eine große Herausforderung sein“, sagt die Vorständin. Man könne aber auch sagen, dass das Gesetz in vielen Punkten mit Augenmaß verfasst wurde. Positiv sei, dass es eine Bemühenspflicht gebe. „Wenn wir als Unternehmen in einem konkreten Fall nachweisen können, dass wir alles in unserer Macht Stehende getan haben, dann erfüllt das diese Anforderung“, sagt Jungo Brüngger. „Kleine Unternehmen haben es bei der Umsetzung sicher schwerer.“
Ein im Vergleich zu MercedesBenz kleineres Unternehmen ist Stihl. Für den Hersteller von Kettensägen aus Waiblingen bei Stuttgart sind weltweit etwa 20.000 Menschen tätig. Das Familienunternehmen arbeite bereits seit einigen Jahren daran, dass Nachhaltigkeit im Lieferantenmanagement zu einem integralen Bestandteil wird, sagt Unternehmer Nikolas Stihl. Aber um die Vorschriften zu erfüllen, müsse erheblicher zusätzlicher Aufwand betrieben werden. Stihl sieht zudem die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen durch das deutsche Gesetz, weshalb seiner Ansicht nach eine Ausweitung auf EUEbene oder sogar global einheitliche Anforderungen hilfreich wären.