„Die Preise werden mittelfristig wieder sinken“
Der neue EnBW-Chef Andreas Schell über Versorgungssicherheit, Strompreise und die Energiewende
- Die Bürgerinnen und Bürger im Südwesten müssen nicht befürchten, dass die Lichterketten am Christbaum an Weihnachten dunkel bleiben, weil der Strom ausfällt. Das versichert der neue Chef von Deutschlands viertgrößtem Energieversorger EnBW, Andreas Schell. Wie es um die Versorgungssicherheit darüber hinaus bestellt ist, welche Rolle Kernkraft künftig spielt und was Schell an der Spitze der EnBW vorhat, erklärt der Manager im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Herr Schell, ist unsere Stromversorgung in diesem Winter gesichert oder drohen uns erstmals in der Geschichte der BRD Blackouts?
Aus Sicht der EnBW haben wir für die Versorgung mit Elektrizität und auch mit Gas alle Vorkehrungen getroffen. Aber eines müssen wir uns klar vor Augen halten: Das Verbrauchsverhalten der Industrie, aber auch der Privatkunden wird ganz entscheidend sein. Hier zählt jede Kilowattstunde, die wir einsparen können. Bei der Versorgung mit Strom sind wir etwas komfortabler aufgestellt. Ich gehe derzeit nicht davon aus, dass wir eine gezielte rollierende Abschaltung von Teilen des Netzes oder gar einen kompletten Blackout zu befürchten haben.
Können Sie regionale Stromabschaltungen ausschließen?
Da möchte ich nicht spekulieren. In einem Ernstfall könnte es sein, dass bestimmte Regionen temporär nicht versorgt werden, um die Last besser zu verteilen. Ich gehe nicht davon aus, dass so etwas nötig sein wird.
Was sind die größten Herausforderungen in der aktuellen Energiekrise?
Die Bevorratung unserer Kraftwerke mit Gas und Strom ist herausfordernd, aber da haben wir ein erfahrenes Team und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Wichtiger ist, die Sparbereitschaft der Menschen über den gesamten Winter hinweg hoch zu halten. Was die aktuelle Krise aber auch zeigt, ist die Notwendigkeit, die Energiewende konsequent voranzutreiben. Ein entscheidender Grund, der uns erst in die aktuelle Krise geführt hat, ist nämlich, dass wir zuletzt viel zu stark von russischem Gas abhängig waren. Die Lehre für uns daraus muss sein, dass wir unsere Energieversorgung jetzt konsequent umbauen.
Wie wird es mit den Energiepreisen in den kommenden Monaten weitergehen oder ist die Zeit günstiger Energie für immer vorbei?
Die Preise werden mittelfristig wieder sinken. Wann und wie schnell, das können wir aber beim besten Willen nicht sagen, vermutlich aber nicht auf das Vorkrisenniveau.
Wird die EnBW die Energiepreise noch einmal erhöhen?
Dafür gibt es aktuell keine Planungen. Generell ist die Situation aber sehr volatil, das muss man berücksichtigen.
Wie beurteilen Sie die beschlossenen Gas- und Strompreisbremsen?
Der Staat musste in der aktuellen Krisensituation Schritte unternehmen, um Härtefälle zu vermeiden. Das tragen wir als Unternehmen mit. Die aktuellen Instrumente dürfen aber nicht dauerhaft implementiert werden. Die Preismechanismen haben bis zur Krise ja gut funktioniert. Ein dauerhafter Eingriff in das System wäre nicht sinnvoll.
Es gibt die Kritik, viele Versorger hätten die Preisbremsen dazu genutzt, um die Gas- und Strompreise über Gebühr anzuheben? Auch die EnBW?
Ganz im Gegenteil. Auch wir als EnBW mussten zwar seit Beginn der
Energiekrise die Preise für Strom, Gas und Wärme anheben. Im Vergleich zum Wettbewerb sind diese aber dank unserer langfristigen Beschaffungsstrategie geringer ausgefallen.
Wie ist die Versorgungslage EnBW mit Flüssiggas?
der
Wir haben uns schon vor der Krise mit dem Thema LNG beschäftigt und uns entsprechende Kapazitäten auf dem Weltmarkt gesichert. Wir sind auch an zwei der neuen Terminals beteiligt und haben bereits Schiffe beauftragt, die das LNG für uns transportieren.
Zum Thema Stromnetze: Wie realistisch ist es, die beiden geplanten Stromautobahnen Suedlink und Ultranet in 2027/28 in Betrieb zu nehmen? Wird das klappen?
Die Erfahrung zeigt, dass wir uns in Deutschland mit solchen Großprojekten sehr schwertun. Beide Trassen führen über Tausende Grundstücke. Es müssen daher viele Einzelgespräche geführt und Genehmigungen eingeholt werden. Wir müssen den Terminplan – unter Beteiligung aller Interessenspartner – aber dringend einhalten. Entscheidend ist, dass wir 2027/28 die Leistung der Windparks im Norden in den Süden von Deutschland schaffen. Das ist wichtig für die Versorgungssicherheit BadenWürttembergs.
Aber Bürgerrechte der Betroffenen einfach zu beschneiden, wird nicht funktionieren …
Hier ist die Politik gefragt. Wir müssen das Thema Genehmigungen in Deutschland deutlich beschleunigen. Eine Möglichkeit etwa wäre Enddaten zu setzen, bei denen die Genehmigungen automatisch erfolgen, wenn die Prozesse nicht vorankommen. Wir können es uns nicht mehr leisten,
dass zum Beispiel von der Planung eines Windrads bis zur Umsetzung im Schnitt sieben Jahre verstreichen. Es waren mal drei Jahre. Das spreche ich immer wieder bei politischen Vertretern an.
Und das stößt auf Zustimmung?
Es gab eine Task Force zu dem Thema in Baden-Württemberg, auch unter Einbeziehung der Wirtschaft, die durchaus Ergebnisse hervorgebracht hat. Diese Ergebnisse nun umzusetzen, darum geht es jetzt.
Die EnBW will Teile ihres Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW verkaufen. Wie steht es im Bieterprozess und können Sie die Kritik daran nachvollziehen?
Dazu kann ich aus Gründen der Vertraulichkeit nichts sagen. Zwei Dinge sind jedoch klar: Für den geplanten Teilverkauf der TransnetBW gibt es klare Kriterien. Neben der Werthaltigkeit des Kaufpreises und der Höhe der Finanzierungszusage hat die Verlässlichkeit eines möglichen Partners zentrale Bedeutung. Wir werden da eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen. Darüber hinaus bleiben wir als mehrheitlicher Eigner der TransnetBW in der Verantwortung für das Übertragungsnetz.
Sie gelten als klarer Verfechter der Energiewende. Schaffen wir das?
Ich bin ein realistischer Optimist. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise beschäftigt uns das Thema Versorgungssicherheit aktuell etwas stärker. Das führt dazu, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren etwas mehr auf Kohle zurückgreifen müssen. Das darf uns aber nicht davon abbringen, das Richtige für die nächsten Generationen zu tun. Das heißt, wir müssen die Energiewende beschleunigen, und da bringe ich mich aktiv ein.
Wie viel Prozent des Stroms der EnBW ist heute schon erneuerbar erzeugt? Was sind die Zielwerte für die Zukunft?
Aktuell sind es rund 40 Prozent, bis 2025 soll die Hälfte aus erneuerbaren Energien kommen. Und bis 2035 wollen wir klimaneutral sein.
Stichwort Kernenergie: Viele Experten und Wirtschaftsvertreter, selbst Teile der Politik, fordern in der aktuellen Situation mehr Flexibilität bei dem Thema und verlangen eine Verlängerung deutlich über den März hinaus. Ist angesichts einer solchen Energiekrise nicht viel mehr Pragmatismus notwendig?
Beim Thema Kernenergie gilt das Primat der Politik. Das heißt, die Politik macht die Vorgaben. Es gibt ein Gesetz zum Ausstieg zum Ende dieses Jahres. Dann gab es den Beschluss der Regierung über den sogenannten Streckbetrieb bis zum 15. April 2023. Unser Auftrag besteht jetzt darin, das zu ermöglichen.
Wäre es technisch und organisatorisch überhaupt möglich, die Meiler über den 15. April hinaus am Netz zu lassen?
Es sind schon jetzt enorme Aufwendungen für uns, überhaupt den Streckbetrieb zu ermöglichen. Mit den jetzigen Brennstäben kommen wir bis Mitte April. Weiter geht es nicht. Dazu kommt die fortgeschrittene Planung für den Rückbau und auch das Personal, welches danach nicht mehr zur Verfügung steht.
Und wenn jetzt doch noch einmal ein politischer Beschluss käme, die Kernenergie weiterzuführen? Wäre das machbar?
Nein. Wir haben in Deutschland vor elf Jahren die Entscheidung getroffen, aus der Atomkraft auszusteigen.
Der Betrieb wird nun noch einmal bis zum 15. April verlängert. Aber das war es dann.
Hinter der Entscheidung zum Ausstieg stehen Sie auch persönlich?
Die Entscheidung wurde so getroffen, und sie ist meines Erachtens irreversibel. Ähnliches gilt für Kohle. Auch hier gibt es einen Plan für den Ausstieg, den ich für richtig halte, weil wir aus dem Thema CO2 rausmüssen. Das sind wir der nächsten Generationen schuldig, denn wir können die globale Erderwärmung nicht ignorieren. Daraus ergeben sich für uns die Konsequenzen, die Energiewirtschaft umzubauen. Und dabei kann Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen.
Das heißt konkret?
Zum einen den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien – das ist Wind offshore, aber auch Wind an Land und Photovoltaik in unserem eigenen Bundesland. Das trägt zur sicheren Energieversorgung bei. Wir brauchen aber genauso einen Kraftwerkspark, mit dem wir disponible Leistungen erzeugen können. Das heißt Leistungen, die wir abrufen können, wenn zu wenig Energie aus den Erneuerbaren erzeugt wird. Das ist im Moment Gas, langfristig dann Wasserstoff.
Wie stehen Sie zu Fracking?
Fracking ist für ein so dicht besiedeltes Land wie Deutschland meiner Meinung nach nicht das Richtige. Hier müssen wir auf Windkraft und Photovoltaik setzen.
Ihr Wechsel von Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen, wo Sie ja gerade erst den Vertrag verlängert hatten, zur EnBW kam für viele dann doch recht überraschend. Können Sie das nachvollziehen? Was waren die Beweggründe?
Ich habe mich sechs Jahre mit großem Engagement für die Transformation von Rolls-Royce Power Systems eingesetzt. Dann erhielt ich das Angebot, die EnBW zu führen – gerade in dieser kritischen Zeit und gerade mit Blick auf die notwendige Energiewende. Das Thema Energie ist für mich ein Herzensthema. Es war persönlich keine einfache Entscheidung. Es war aber ganz klar eine Entscheidung für die EnBW und keine gegen Power Systems.
Was reizt Sie ganz besonders an der EnBW?
Die EnBW steht für zukunftsfähige und nachhaltige Energieversorgung unserer Gesellschaft. Diesen eingeschlagenen Kurs will ich weiter vorantreiben. Die Krise 2022 hat diese Aufgabe nun noch komplexer gemacht. Trotzdem freue ich mich sehr darauf. Ich habe von Frank Mastiaux ein sehr gut aufgestelltes Unternehmen übernommen – mit unglaublich kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dieses möchte ich weiterentwickeln.
Die EnBW ist ja quasi ein Staatskonzern. Wie gut können Sie mit der Politik?
Die Bezeichnung passt nicht. Wir haben mit dem Land Baden-Württemberg und dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke zwei große Aktionäre. Beide haben einen klaren energiepolitischen Kompass. Das erleichtert die Aufgabe. Der Fokus liegt nicht auf Quartalsergebnissen, sondern auf der langfristigen Energieversorgung – darauf, das Richtige für die Menschen im Land zu tun.
Wo soll die EnBW – sagen wir mal – im Jahr 2030 stehen?
Ich möchte die EnBW als Beispiel für eine gelungene Energiewende sehen. Im Jahr 2030 sollen die Menschen auf die EnBW blicken und sagen, die haben die richtigen Schritte eingeleitet und sind die Dinge beherzt angegangen, die es braucht, um die Energieversorgung der Zukunft darzustellen.