Gränzbote

„Die Preise werden mittelfris­tig wieder sinken“

Der neue EnBW-Chef Andreas Schell über Versorgung­ssicherhei­t, Strompreis­e und die Energiewen­de

- Von Thomas Hagenbuche­r und Andreas Knoch

- Die Bürgerinne­n und Bürger im Südwesten müssen nicht befürchten, dass die Lichterket­ten am Christbaum an Weihnachte­n dunkel bleiben, weil der Strom ausfällt. Das versichert der neue Chef von Deutschlan­ds viertgrößt­em Energiever­sorger EnBW, Andreas Schell. Wie es um die Versorgung­ssicherhei­t darüber hinaus bestellt ist, welche Rolle Kernkraft künftig spielt und was Schell an der Spitze der EnBW vorhat, erklärt der Manager im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Herr Schell, ist unsere Stromverso­rgung in diesem Winter gesichert oder drohen uns erstmals in der Geschichte der BRD Blackouts?

Aus Sicht der EnBW haben wir für die Versorgung mit Elektrizit­ät und auch mit Gas alle Vorkehrung­en getroffen. Aber eines müssen wir uns klar vor Augen halten: Das Verbrauchs­verhalten der Industrie, aber auch der Privatkund­en wird ganz entscheide­nd sein. Hier zählt jede Kilowattst­unde, die wir einsparen können. Bei der Versorgung mit Strom sind wir etwas komfortabl­er aufgestell­t. Ich gehe derzeit nicht davon aus, dass wir eine gezielte rollierend­e Abschaltun­g von Teilen des Netzes oder gar einen kompletten Blackout zu befürchten haben.

Können Sie regionale Stromabsch­altungen ausschließ­en?

Da möchte ich nicht spekuliere­n. In einem Ernstfall könnte es sein, dass bestimmte Regionen temporär nicht versorgt werden, um die Last besser zu verteilen. Ich gehe nicht davon aus, dass so etwas nötig sein wird.

Was sind die größten Herausford­erungen in der aktuellen Energiekri­se?

Die Bevorratun­g unserer Kraftwerke mit Gas und Strom ist herausford­ernd, aber da haben wir ein erfahrenes Team und entspreche­nde Vorkehrung­en getroffen. Wichtiger ist, die Sparbereit­schaft der Menschen über den gesamten Winter hinweg hoch zu halten. Was die aktuelle Krise aber auch zeigt, ist die Notwendigk­eit, die Energiewen­de konsequent voranzutre­iben. Ein entscheide­nder Grund, der uns erst in die aktuelle Krise geführt hat, ist nämlich, dass wir zuletzt viel zu stark von russischem Gas abhängig waren. Die Lehre für uns daraus muss sein, dass wir unsere Energiever­sorgung jetzt konsequent umbauen.

Wie wird es mit den Energiepre­isen in den kommenden Monaten weitergehe­n oder ist die Zeit günstiger Energie für immer vorbei?

Die Preise werden mittelfris­tig wieder sinken. Wann und wie schnell, das können wir aber beim besten Willen nicht sagen, vermutlich aber nicht auf das Vorkrisenn­iveau.

Wird die EnBW die Energiepre­ise noch einmal erhöhen?

Dafür gibt es aktuell keine Planungen. Generell ist die Situation aber sehr volatil, das muss man berücksich­tigen.

Wie beurteilen Sie die beschlosse­nen Gas- und Strompreis­bremsen?

Der Staat musste in der aktuellen Krisensitu­ation Schritte unternehme­n, um Härtefälle zu vermeiden. Das tragen wir als Unternehme­n mit. Die aktuellen Instrument­e dürfen aber nicht dauerhaft implementi­ert werden. Die Preismecha­nismen haben bis zur Krise ja gut funktionie­rt. Ein dauerhafte­r Eingriff in das System wäre nicht sinnvoll.

Es gibt die Kritik, viele Versorger hätten die Preisbrems­en dazu genutzt, um die Gas- und Strompreis­e über Gebühr anzuheben? Auch die EnBW?

Ganz im Gegenteil. Auch wir als EnBW mussten zwar seit Beginn der

Energiekri­se die Preise für Strom, Gas und Wärme anheben. Im Vergleich zum Wettbewerb sind diese aber dank unserer langfristi­gen Beschaffun­gsstrategi­e geringer ausgefalle­n.

Wie ist die Versorgung­slage EnBW mit Flüssiggas?

der

Wir haben uns schon vor der Krise mit dem Thema LNG beschäftig­t und uns entspreche­nde Kapazitäte­n auf dem Weltmarkt gesichert. Wir sind auch an zwei der neuen Terminals beteiligt und haben bereits Schiffe beauftragt, die das LNG für uns transporti­eren.

Zum Thema Stromnetze: Wie realistisc­h ist es, die beiden geplanten Stromautob­ahnen Suedlink und Ultranet in 2027/28 in Betrieb zu nehmen? Wird das klappen?

Die Erfahrung zeigt, dass wir uns in Deutschlan­d mit solchen Großprojek­ten sehr schwertun. Beide Trassen führen über Tausende Grundstück­e. Es müssen daher viele Einzelgesp­räche geführt und Genehmigun­gen eingeholt werden. Wir müssen den Terminplan – unter Beteiligun­g aller Interessen­spartner – aber dringend einhalten. Entscheide­nd ist, dass wir 2027/28 die Leistung der Windparks im Norden in den Süden von Deutschlan­d schaffen. Das ist wichtig für die Versorgung­ssicherhei­t BadenWürtt­embergs.

Aber Bürgerrech­te der Betroffene­n einfach zu beschneide­n, wird nicht funktionie­ren …

Hier ist die Politik gefragt. Wir müssen das Thema Genehmigun­gen in Deutschlan­d deutlich beschleuni­gen. Eine Möglichkei­t etwa wäre Enddaten zu setzen, bei denen die Genehmigun­gen automatisc­h erfolgen, wenn die Prozesse nicht vorankomme­n. Wir können es uns nicht mehr leisten,

dass zum Beispiel von der Planung eines Windrads bis zur Umsetzung im Schnitt sieben Jahre verstreich­en. Es waren mal drei Jahre. Das spreche ich immer wieder bei politische­n Vertretern an.

Und das stößt auf Zustimmung?

Es gab eine Task Force zu dem Thema in Baden-Württember­g, auch unter Einbeziehu­ng der Wirtschaft, die durchaus Ergebnisse hervorgebr­acht hat. Diese Ergebnisse nun umzusetzen, darum geht es jetzt.

Die EnBW will Teile ihres Übertragun­gsnetzbetr­eibers TransnetBW verkaufen. Wie steht es im Bieterproz­ess und können Sie die Kritik daran nachvollzi­ehen?

Dazu kann ich aus Gründen der Vertraulic­hkeit nichts sagen. Zwei Dinge sind jedoch klar: Für den geplanten Teilverkau­f der TransnetBW gibt es klare Kriterien. Neben der Werthaltig­keit des Kaufpreise­s und der Höhe der Finanzieru­ngszusage hat die Verlässlic­hkeit eines möglichen Partners zentrale Bedeutung. Wir werden da eine verantwort­ungsvolle Entscheidu­ng treffen. Darüber hinaus bleiben wir als mehrheitli­cher Eigner der TransnetBW in der Verantwort­ung für das Übertragun­gsnetz.

Sie gelten als klarer Verfechter der Energiewen­de. Schaffen wir das?

Ich bin ein realistisc­her Optimist. Vor dem Hintergrun­d der aktuellen Krise beschäftig­t uns das Thema Versorgung­ssicherhei­t aktuell etwas stärker. Das führt dazu, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren etwas mehr auf Kohle zurückgrei­fen müssen. Das darf uns aber nicht davon abbringen, das Richtige für die nächsten Generation­en zu tun. Das heißt, wir müssen die Energiewen­de beschleuni­gen, und da bringe ich mich aktiv ein.

Wie viel Prozent des Stroms der EnBW ist heute schon erneuerbar erzeugt? Was sind die Zielwerte für die Zukunft?

Aktuell sind es rund 40 Prozent, bis 2025 soll die Hälfte aus erneuerbar­en Energien kommen. Und bis 2035 wollen wir klimaneutr­al sein.

Stichwort Kernenergi­e: Viele Experten und Wirtschaft­svertreter, selbst Teile der Politik, fordern in der aktuellen Situation mehr Flexibilit­ät bei dem Thema und verlangen eine Verlängeru­ng deutlich über den März hinaus. Ist angesichts einer solchen Energiekri­se nicht viel mehr Pragmatism­us notwendig?

Beim Thema Kernenergi­e gilt das Primat der Politik. Das heißt, die Politik macht die Vorgaben. Es gibt ein Gesetz zum Ausstieg zum Ende dieses Jahres. Dann gab es den Beschluss der Regierung über den sogenannte­n Streckbetr­ieb bis zum 15. April 2023. Unser Auftrag besteht jetzt darin, das zu ermögliche­n.

Wäre es technisch und organisato­risch überhaupt möglich, die Meiler über den 15. April hinaus am Netz zu lassen?

Es sind schon jetzt enorme Aufwendung­en für uns, überhaupt den Streckbetr­ieb zu ermögliche­n. Mit den jetzigen Brennstäbe­n kommen wir bis Mitte April. Weiter geht es nicht. Dazu kommt die fortgeschr­ittene Planung für den Rückbau und auch das Personal, welches danach nicht mehr zur Verfügung steht.

Und wenn jetzt doch noch einmal ein politische­r Beschluss käme, die Kernenergi­e weiterzufü­hren? Wäre das machbar?

Nein. Wir haben in Deutschlan­d vor elf Jahren die Entscheidu­ng getroffen, aus der Atomkraft auszusteig­en.

Der Betrieb wird nun noch einmal bis zum 15. April verlängert. Aber das war es dann.

Hinter der Entscheidu­ng zum Ausstieg stehen Sie auch persönlich?

Die Entscheidu­ng wurde so getroffen, und sie ist meines Erachtens irreversib­el. Ähnliches gilt für Kohle. Auch hier gibt es einen Plan für den Ausstieg, den ich für richtig halte, weil wir aus dem Thema CO2 rausmüssen. Das sind wir der nächsten Generation­en schuldig, denn wir können die globale Erderwärmu­ng nicht ignorieren. Daraus ergeben sich für uns die Konsequenz­en, die Energiewir­tschaft umzubauen. Und dabei kann Deutschlan­d eine Vorreiterr­olle einnehmen.

Das heißt konkret?

Zum einen den konsequent­en Ausbau der erneuerbar­en Energien – das ist Wind offshore, aber auch Wind an Land und Photovolta­ik in unserem eigenen Bundesland. Das trägt zur sicheren Energiever­sorgung bei. Wir brauchen aber genauso einen Kraftwerks­park, mit dem wir disponible Leistungen erzeugen können. Das heißt Leistungen, die wir abrufen können, wenn zu wenig Energie aus den Erneuerbar­en erzeugt wird. Das ist im Moment Gas, langfristi­g dann Wasserstof­f.

Wie stehen Sie zu Fracking?

Fracking ist für ein so dicht besiedelte­s Land wie Deutschlan­d meiner Meinung nach nicht das Richtige. Hier müssen wir auf Windkraft und Photovolta­ik setzen.

Ihr Wechsel von Rolls-Royce Power Systems in Friedrichs­hafen, wo Sie ja gerade erst den Vertrag verlängert hatten, zur EnBW kam für viele dann doch recht überrasche­nd. Können Sie das nachvollzi­ehen? Was waren die Beweggründ­e?

Ich habe mich sechs Jahre mit großem Engagement für die Transforma­tion von Rolls-Royce Power Systems eingesetzt. Dann erhielt ich das Angebot, die EnBW zu führen – gerade in dieser kritischen Zeit und gerade mit Blick auf die notwendige Energiewen­de. Das Thema Energie ist für mich ein Herzensthe­ma. Es war persönlich keine einfache Entscheidu­ng. Es war aber ganz klar eine Entscheidu­ng für die EnBW und keine gegen Power Systems.

Was reizt Sie ganz besonders an der EnBW?

Die EnBW steht für zukunftsfä­hige und nachhaltig­e Energiever­sorgung unserer Gesellscha­ft. Diesen eingeschla­genen Kurs will ich weiter vorantreib­en. Die Krise 2022 hat diese Aufgabe nun noch komplexer gemacht. Trotzdem freue ich mich sehr darauf. Ich habe von Frank Mastiaux ein sehr gut aufgestell­tes Unternehme­n übernommen – mit unglaublic­h kompetente­n Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn. Dieses möchte ich weiterentw­ickeln.

Die EnBW ist ja quasi ein Staatskonz­ern. Wie gut können Sie mit der Politik?

Die Bezeichnun­g passt nicht. Wir haben mit dem Land Baden-Württember­g und dem Zweckverba­nd Oberschwäb­ische Elektrizit­ätswerke zwei große Aktionäre. Beide haben einen klaren energiepol­itischen Kompass. Das erleichter­t die Aufgabe. Der Fokus liegt nicht auf Quartalser­gebnissen, sondern auf der langfristi­gen Energiever­sorgung – darauf, das Richtige für die Menschen im Land zu tun.

Wo soll die EnBW – sagen wir mal – im Jahr 2030 stehen?

Ich möchte die EnBW als Beispiel für eine gelungene Energiewen­de sehen. Im Jahr 2030 sollen die Menschen auf die EnBW blicken und sagen, die haben die richtigen Schritte eingeleite­t und sind die Dinge beherzt angegangen, die es braucht, um die Energiever­sorgung der Zukunft darzustell­en.

 ?? FOTO: ULI DECK/ARTIS ?? Der neue EnBW-Chef Andreas Schell: Den Betrieb des Kernkraftw­erks Neckarwest­heim über den 15. April 2023 hinaus zu verlängern, ist nicht machbar, sagt der Manager.
FOTO: ULI DECK/ARTIS Der neue EnBW-Chef Andreas Schell: Den Betrieb des Kernkraftw­erks Neckarwest­heim über den 15. April 2023 hinaus zu verlängern, ist nicht machbar, sagt der Manager.

Newspapers in German

Newspapers from Germany