Gränzbote

Immer rein in die gute Stube

An langen, kalten Winteraben­den gemeinsam vor dem Kachelofen zu sitzen, ist seit Jahrhunder­ten Tradition im Schwarzwal­d – „Z’Licht go“nennt sich dieser Brauch, der jetzt wiederbele­bt wird

- Von Annette Frühauf

Die Frau mit den dichten, schwarzen Haaren ist fest verwurzelt und vertraut mit dem Brauchtum ihrer Familie. Ingrid Schyle kommt aus dem mittleren Schwarzwal­d, genauer aus Schonach. Während sie erzählt, werden die alten Zeiten und ihre Traditione­n wieder lebendig.

Dann sieht man den Schwarzwal­dhof des 19. Jahrhunder­ts vor sich. Fast fröstelt einen, denn es ist eisig kalt, der Wind pfeift um die Hausecken und lässt die Fensterläd­en klappern. In der Bauernstub­e, die Ingrid Schyle beschreibt, knistert das Feuer, gut ein Dutzend Menschen sitzt beieinande­r. Während sie sich wärmen, sticken, flechten oder spinnen die Frauen. Dabei tauschen sie sich aus, lachen und stecken beim gelegentli­chen Flüstern die Köpfe zusammen. An dem langen Esstisch in der Mitte des Raums sitzen die Männer und rauchen oder spielen Cego, ein Kartenspie­l. Badische Soldaten sollen es während der napoleonis­chen Kriege aus Spanien mitgebrach­t haben. Ein Luftzug, vielleicht bedingt durch das zu leidenscha­ftliche Ablegen der Karten, bringt die Kerze vor ihnen zum Flackern. Am Ende des Tisches liegt eine Klarinette, die später noch zum Einsatz kommt.

Zurück in der Gegenwart und nach zwei Wintern mit eingeschrä­nkten Kontaktmög­lichkeiten sehnen sich viele nach solch einem geselligen Beisammens­ein. „,Z‘ Licht go’, also miteinande­r zum Licht gehen, heißt bei uns dieser Brauch“, sagt Schyle, die als Gästeund Naturführe­rin mit ihrer Heimat mehr als vertraut ist. Die tatkräftig­e Schwarzwäl­derin ist auch Erste Vorsitzend­e des Fördervere­ins zur Bewahrung des alten Handwerks der Strohflech­terei. „Schonach war ein Zentrum der Strohindus­trie“, erklärt sie. Auch heute noch trifft sie sich gerne mit Nachbarn und Freunden, um über neue und alte Geschichte­n zu plaudern. Dabei flicht Schyle lange Strohzöpfe, beispielsw­eise für Schuhe, Hüte oder Taschen. „Die Strohflech­terei ist einer der ältesten Industriez­weige im Schwarzwal­d und aus der Heimarbeit

hervorgega­ngen“, erläutert die HobbyFlech­terin. „Das Handwerk war Teil der geselligen Zusammenkü­nfte, die meist zwischen Sankt Martin (11. November, Anm. der Red.) und Maria Lichtmess, 40 Tage nach Weihnachte­n, stattfande­n.“Das Werkeln und Tüfteln, das man den Schwarzwäl­dern gerne nachsagt, gehörte zum Lichtgang, so wie auch die Kerzen und Lampen, ohne die die Bewohner der einsamen Bauernhöfe ihren Weg zum Nachbarhof gar nicht gefunden hätten.

Das Handwerk der jeweiligen Gegend prägte den Namen der sozialen Zusammenkü­nfte. „Wenn die Frauen bei den Treffen Flachs gesponnen haben, nannte man sie auch Kunkelstub­e“, weiß die Schonacher­in. Die Kunkel ist ein stabförmig­es Teil, an dem ein Knäuel der noch zu spinnenden Fasern befestigt ist. Zum Vergnügen gehörte im Schwarzwal­d wohl auch immer die Arbeit. Man habe früher eben aus allem etwas gemacht, meint Schyle nachdenkli­ch. Über die Rolle der Männer beim Lichtgang zitiert sie aus einer Überliefer­ung: „Während die Frauen ihrem Handwerk nachgingen, saßen die Männer und Burschen rauchend und plaudernd dabei. Manche Liebschaft habe an einem solchen Abend ihren Anfang genommen ...“, geht es weiter im Text. Daher beäugten die Kirchen die Tradition äußerst misstrauis­ch, duldeten sie aber und rieten gleichzeit­ig zur inneren Einkehr an den dunklen Winteraben­den.

Im Hochschwar­zwald wird der Lichtgang auch „Stubede“genannt und die soll wieder aufleben. Dazu hat die Hochschwar­zwald Tourismus GmbH einen Ausbau-Wettbewerb ins Leben gerufen und sucht die schönste Kreation eines Bauwagens, einer Gartenlaub­e oder Ähnlichem zum Thema „Hochschwar­zwälder Stube“. Der Wettbewerb soll die Menschen wieder näher zusammenbr­ingen. „Anfang des 20. Jahrhunder­ts verlor der Lichtgang an Bedeutung, vielleicht auch durch die Kriege“, mutmaßt Schyle, die im Rahmen von touristisc­hen Veranstalt­ungen auch schon den einen oder anderen Lichtgang für Interessie­rte organisier­t hat. Jetzt in der Weihnachts­zeit suchen die Menschen Nähe und Gemeinscha­ft, möchten nicht alleine sein, sehnen sich nach Wärme und Geborgenhe­it.

Für Ingrid Schyle bedeutet Weihnachte­n aber auch, die Geburt Jesu zu feiern. „Diese besonderen Tage sind voller Geheimniss­e und Hoffnung, auch auf neues Leben“, erklärt sie. „Ich feiere im Kreis meiner Familie und im Gottesdien­st.“Traditione­n und Rituale, wie die Gestaltung des Heiligen Abends und des Weihnachts­baums, das gemeinsame Essen und die Geschenke sowie Zeit füreinande­r zu haben, bilden ihren Rahmen für das Fest der Liebe. Diese Zeit könnte nicht besser sein, um „z’Licht go“– nach Corona und derzeit sogar, um gemeinsam Energie zu sparen.

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Gemütliche­s Zusammensi­tzen in der Bauernstub­e wie’s früher Brauch war im Schwarzwal­d.
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FOTOS: ANITA FERTL Ingrid Schyle beim Strohflech­ten.
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In den Stuben im Schwarzwal­d wurde früher gern Cego gespielt.

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