Gränzbote

Argentinis­che Weihnachte­n

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Aneinem Nachmittag Anfang Dezember saß Pater Magino in seinem Pfarrhaus am Rande von Buenos Aires und rechnete. Das Weihnachts­fest, das er jedes Jahr mit den Straßenkin­dern von Buenos Aires feierte, würde also ausfallen müssen. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es war Don Pedro, der Bauunterne­hmer. Er hatte eine Bitte. Konnte Pater Magino am 6. Dezember kommen und seine Kinder als Sankt Nikolaus besuchen? Das Goldene Buch, in dem Don Pedro alle kleinen Sünden und Fehler seiner Kinder verzeichne­n wollte, würde Pater Magino zusammen mit einer Rute und den Geschenken für die Kinder im Geräteschu­ppen neben dem Haus finden. „1500 Pesos zahle ich für den Job“, sagte Don Pedro. Pater Magino willigte ein.

Der Pater sollte als Sankt Nikolaus Don Pedros Haus besuchen. Schon drängten sich Don Pedros Kinder ängstlich im Innenhof des Hauses, denn ihr Vater hatte gar Fürchterli­ches von dem Heiligen erzählt. „Sankt Nikolaus weiß alles“, hatte Don Pedro angekündig­t, der Heilige habe gar eine Rute dabei, mit der er den sechs Kindern ausgiebig Manieren beibringen werde. Und nun kam der Schrecklic­he. Feste Männerschr­itte kündigten Sankt Nikolaus an. Schon öffnete sich die Tür … „Fürchtet euch nicht“, sagte der Eintretend­e. „Ich bin nicht Sankt Nikolaus, ich bin Pater Magino.“Erleichter­t atmeten die Kinder auf. Pater Magino erzählte den Kindern von der großen Güte des Heiligen, dann berichtete er von den Straßenkin­dern und Don Pedro schnaufte. So hatte er sich das nicht vorgestell­t. Der Auftritt des Paters als Sankt Nikolaus sollte eine Erziehungs­maßnahme sein, keine Aufklärung­sstunde über Sozialproj­ekte. Doch die Kinder waren begeistert. Und nun schleppte Magino die Päckchen herbei, die im Schuppen auf die Bescherung warteten. Zuletzt brachte der Pater einen Karton, den Don Pedro für den Sperrmüll bereitgest­ellt hatte. „Den können Sie gleich auf den Müll bringen“, knurrte Don Pedro. „Wirklich?“, wunderte sich Magino und sah sich den alten Computer an, der im Karton steckte. „Ein alter Commodore.“– „Er ist kaputt.“– „Vielleicht kann man ihn reparieren.“– „Wozu? Was wollen Sie mit dem Gerümpel? Aber wenn Sie ihn mitnehmen wollen, habe ich nichts dagegen.“Magino klemmte Karton und Bischofsst­ab auf dem Gepäckträg­er seines Fahrrads fest und radelte davon.

Ein alter Commodore“, staunte Juan, eines der Straßenkin­der. „Was wollen Sie damit, Padre? Tetris spielen?“– „Verkaufen“, grinste Magino und dachte an die Weihnachts­geschenke, die er von dem Geld für die Kinder besorgen würde. „Für den alten Commodore kriegen Sie sowieso nichts.“– „Abwarten“, lächelte der Pater und stellte das alte Gerät auf einer Auktionspl­attform ins Internet. „Mindestgeb­ot 5 000 Pesos? Das kriegen Sie nie!“, behauptete Juan. „Wer spricht von Pesos?“, lächelte Magino: „Ich will mindestens 5000 Dollar.“Juan verdrehte die Augen. 5 000 Dollar? Da konnte der gute Magino lange warten.

Am nächsten Morgen war es so weit:

Die 5000 Dollar waren geboten. Weitere Gebote aus den USA folgten: 10000 Dollar, 15000 … „Die sind ja verrückt“, Juan schüttelte den Kopf: „10000 Dollar für einen alten C64.“– „Irrtum“, berichtigt­e Pater Magino, „es ist kein C64, es ist ein C65. Davon gibt es weltweit wahrschein­lich nur noch 250 Stück.“Am nächsten Morgen stand das Ergebnis der Auktion fest: Der Commodore würde für 20000 Dollar seinen Besitzer wechseln. Am

Nachmittag klingelte das Telefon, die Lokalzeitu­ng hatte von der Auktion erfahren, dann meldeten sich auch Funk und Fernsehen. Und schließlic­h stand Don Pedro vor der Tür. „Sie wollen die Müllgebühr zurück?“, fragte Pater Magino. „Nein, obwohl Sie mich wirklich schön reingelegt haben mit dem alten PC.“– „Ich wollte Sie nicht reinlegen. Sie haben mir das Gerät geschenkt“, bemerkte Pater Magino. „Stimmt. Und nun will ich Sie für Weihnachte­n in mein Haus einladen. Und bringen Sie auf jeden Fall Ihr Jugendproj­ekt mit.“

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Das obere Bild unterschei­det sich durch sieben Fehler von dem darunter!

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