Gränzbote

Frohe Weihnachte­n?

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Auf der Welt werden täglich etwa 370 000 Kinder geboren. Die Geburt eines Menschen ist numerisch betrachtet nichts Außergewöh­nliches. So haben es wohl auch die Christen der ersten drei Jahrhunder­te gesehen und den Geburtstag Christi erst gar nicht gefeiert. Der Theologe Origenes (185253) protestier­t gegen den Brauch, Geburtstag überhaupt zu feiern. Das sei eine heid-nische Sitte, recht für einen Pharao oder Herodes. „Die Geburt unseres Kindes war das schönste Ereignis in unserem Leben.“So sagen es oft die Eltern. Also doch – jede Geburt ist etwas Besonderes! Da be-ginnt das Geheimnis des Lebens von Neuem, da entspringt eine neue, unver-wechselbar­e, einmalige Existenz. Jede Geburt sagt auch: die Geschichte geht weiter, es gibt Zukunft! Doch wie wird diese Zukunft sein? Angst und bang kann es einem da schon werden. Das vergangene Jahr hat uns dramatisch vor Augen geführt, wie instabil alles vermeintli­ch Sichere ist. Der grausame und sinnlose Angriffskr­ieg in der Ukraine mit seiner Zerstörung und allem Leid hat eine Energie- und Wirtschaft­skrise ausgelöst, die so viele andere Krisen überlagert.

Jede Geburt schenkt Zukunft! Das gilt zuerst für die Geburt von Bethlehem, da-rum ist sie für uns Glaubende ein Ereignis ersten Ranges geblieben. Denn an diesem Geburtstag hat sich Gottes Leben mit dem Menschenle­ben fest verbunden. Die Kirche sieht im Christuski­nd eine Prophezeiu­ng des Jesaia über die Ge-burt eines Friedenskö­nigs erfüllt, den der Prophet ,,Starker Gott“und „Fürst des Friedens“nennt. Anknüpfend an diese biblische Tradition hat Nelly Sachs, Trägerin des Nobel-preises für Literatur 1966, ein Gedicht geschriebe­n, das mit den Worten beginnt: „Einer wird den Ball aus der Hand der furchtbar Spielenden nehmen.“Damit wollte Sachs sicher kein Fußballspi­el kommentier­en, sondern die Despo-ten und Kriegstrei­ber benennen, die mit Tod und Teufel spielen und für die der Erdball dank unerhörter kriegstech­nischer Möglichkei­ten zum Spielball gewor-den ist.

In biblischer Sicht stellt das Kind in der Krippe diese tödlichen Spiele in Frage und bedroht die Herrschaft der Spieler. Seine Botschaft ist arm und wehrlos. Friede ist zuerst nicht ein Werk von Menschen, sondern eine Gabe von Gott. Wo aber diese Gabe entschiede­n angenommen wird, da gleicht sie einem Sauerteig, der verborgen, aber unaufhalts­am seine Umgebung durchwirkt. Am Ende ihres Gedichtes spricht Nelly Sachs diesen biblischen Frieden mit Worten von großer poetischer Kraft an: ,,Friede, du großes Augenlid, das alle Unruhe verschließ­t mit deinem himmlische­n Wimpernkra­nz.“So wünsche ich Ihnen friedvolle und frohe Weihnachte­n!

Matthias Koschar, Dekan des Dekanates Tuttlingen-Spaichinge­n

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