„ZEIT SPIELT KEINE ROLLE“
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Meßkirch - Als LarsOle Schmutz 18 Jahre alt war, hätte er wohl kaum geglaubt, später einmal als Schäfer sein Geld zu verdienen. Denn vieles deutete damals noch auf ein Arbeitsleben vor dem Computer hin. Nach dem Abitur studierte er naturwissenschaftliche Informatik, doch so wirklich erfüllte ihn das nicht. Heute arbeitet er auf dem Campus Galli bei Meßkirch als Tierpfleger und bereut seine Entscheidung keine Sekunde.
MITTELALTER HAUTNAH ERLEBEN – DAS CAMPUS GALLI
Das Campus Galli ist ein ambitioniertes Bauvorhaben, das den St. Galler Klosterplan – den einzigen Bauplan, der aus dem frühen Mittelalter noch erhalten ist – umsetzen will. So soll eine authentische Nachbildung einer mittelalterlichen Klosterstadt entstehen – mit den Mitteln von damals, also gänzlich ohne den Einsatz von Maschinen und moderner Technik. Jeder noch so kleine Arbeitsschritt wird von Hand gemacht. Die Anlage steht auch Besuchern offen und dient so gleichzeitig als offenes Museum. Möglich wird das durch den Einsatz vieler Freiwilliger und die Arbeit von mehr als 40 Festangestellten.
NUR DIE ZIEGE IST LÄNGER ANGESTELLT ALS SCHMUTZ
Lars-Ole Schmutz ist einer von ihnen. Er ist 43 Jahre alt und stammt aus dem nordrhein-westfälischen Detmold. Seit bereits sieben Jahren arbeitet er als Tierpfleger auf dem Campus Galli. „Unsere Leitziege ist sogar noch länger angestellt als ich“, sagt Schmutz, der sich außerdem um elf Schafe, zwei Schweine und mehrere Dutzend Hühner kümmert.
Sein Aufgabenfeld umfasst aber nicht nur die Tierpflege. Er soll auch Besuchern die Arbeit im Campus Galli erklären. „Ich belebe das Museum“, erklärt Schmutz. Das kommt vor allem bei Kindern sehr gut an. Beim Rundgang durch das Gelände möchte ein junger Besucher von ihm wissen, ob er denn auch die Schafsprache spreche. Schmutz erklärt, dass ihm die Schafe und auch die Ziege auf das Wort folgen würden. Das kann kurz darauf auch eine Besuchergruppe bestaunen. Schmutz führt Ziege und Schafe zum Grasen – auch ohne Hirtenhund klappt das erstaunlich gut. Die Schafe bleiben ruhig und Schmutz
beginnt, ihnen die zu Hufe reinigen. Doch dann beginnen plötzlich zwei von ihnen – die Rabauken der Gruppe, wie Schmutz später erklärt – aufmüpfig zu werden und sich von der Herde davonzustehlen. Schmutz reagiert schnell und versucht mit Kommandos entgegenzuwirken. Wenig später sind alle Tiere wieder im Stall und die Aufregung ist vorbei.
EIN BESONDERER KARRIEREWEG
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass Lars-Ole Schmutz Maus und Tastatur gegen Hirtenstab und Kutte eintauschte? Eine große Rolle spielt dabei sein Aufenthalt in den Rocky Mountains nach dem Abitur, wo er als Ehrenamtlicher mit vielen Schafen arbeiten durfte. Die Erfahrung mit den Tieren begeisterte ihn, sodass er zurück in Deutschland nach seinem Studium entschied, umzusatteln und Schäfer zu werden.
Dass es Schmutz aber in den Süden der Republik verschlagen hat, lag an einer besonderen Stellenanzeige. Das Campus Galli suchte einen Ochsenführer – eine einmalige Gelegenheit für ihn. „Ich habe 1000 Schafe gegen einen Ochsen
Ich habe 1000 Schafe gegen einen Ochsen getauscht. Lars-Ole Schmutz
getauscht“, blickt Schmutz zurück. Die Arbeit mit Ochsen sei ein gänzlich anderes, einzigartiges Handwerk. Mittlerweile gibt es auf dem Campus keine Ochsen mehr, Schmutz ist aber geblieben.
LEBENDIGE WISSENSWEITERGABE
Denn nicht nur die Tiere faszinieren ihn am Campus Galli. „Es ist ein irrer Lernort. Hier wird enorm viel Wissen weitergegeben. Das reizt mich unheimlich“, erklärt Schmutz. Auch das 25 Hektar große Gelände, auf dem die Klosterstadt mit ihren acht Hektar erbaut wird, begeistert ihn. Hier könne die Natur noch wild wachsen. Idyllisch ruhig ist es hier dennoch nicht. Charakteristisch sind neben dem allgegenwärtigen Kinderlachen vor allem die Klänge von Hammer, Axt und Säge. Das Handwerk ist hier noch in seiner ursprünglichen Form erhalten – und möglicherweise gerade deswegen bei den Freiwilligen, die im Campus Galli mitarbeiten, so beliebt. Werkzeuge werden nach archäologischen Funden nachgebaut. Ständig wird an etwas gebaut, gefeilt oder geschliffen.
Das ist kein Wunder: Seit Schmutz beim Campus Galli arbeitet, hat er über 300 Freiwillige auf dem Gelände arbeiten sehen. Der Zuspruch sei enorm, berichtet Schmutz: „Wir haben hier alle Altersklassen, sogar 80-Jährige arbeiten mit.“
Der Anteil von Frauen und Männern halte sich die Waage. Viele von ihnen kommen immer wieder, berichtet der Tierpfleger.
Und das obwohl die ersten Tage in der mittelalterlichen Welt durchaus anspruchsvoll bis anstrengend sein können. Die Arbeit auf dem Campus Galli ist schließlich kein Wunschkonzert, Blasen und Muskelkater sind keine Seltenheit. Man müsse schon anpacken wollen, erklärt Schmutz. Ein Fitnessstudio brauche man dann aber nicht mehr.
Die Arbeit im Campus Galli hat wenig mit der außerhalb des Geländes gemein. Die Frage „Wie lange dauert das?“stelle sich hier nicht, erklärt Schmutz. „Es gibt kein: ‚Das muss heute fertig werden.’ Zeit spielt keine Rolle“, erklärt der Tierpfleger. Man orientiere sich stattdessen an der Sonne und den Tieren.
Ein Leben ohne Handy?
Ein Handy führt Schmutz auf dem Gelände ohnehin nicht mit sich. Er genießt die digitale Auszeit – auch wenn er nicht gänzlich darauf verzichten will. Nach der Arbeit erhält auch für ihn das 21. Jahrhundert Einzug und er genießt alle Bequemlichkeiten und Vorteile der Moderne – bis er sich am nächsten Morgen wieder die mittelalterliche Kutte überwirft.