Gränzbote

Haarscharf am Tod vorbei

Skifahrer am Arlberg entkommen mit viel Glück einer Lawine

- Von Matthias Röder

(dpa) – Von einem „Weihnachts­wunder“war schnell die Rede. Eine Lawine donnert in Lech/Zürs am Nachmittag des ersten Weihnachts­tags auf eine Piste. Rund zehn Skifahrer werden erfasst. Die meisten entkommen fast ohne Blessuren. Ein Deutscher wird schwer verletzt.

„Oh, mein Gott, oh, mein Gott“, rufen die schockiert­en Augenzeuge­n auf Englisch. Auf ihrem Video ist zu sehen, wie etwa zehn Skifahrer auf einer Piste am Arlberg von einer Lawine erfasst werden. Die Behörden gehen zunächst vom Schlimmste­n aus und starten eine der größten Rettungsak­tionen der vergangene­n Jahre in dem Gebiet. 200 Retter suchten stundenlan­g in den Schneemass­en.

Die Bilanz: Ein teilversch­ütteter 46-jähriger Deutscher, der laut Polizei in London lebt, wurde bald geborgen. „Er liegt mit sehr schweren Verletzung­en auf der Intensivst­ation, sein Zustand ist aber stabil“, teilte ein Sprecher der Tirol-Kliniken in Innsbruck mit. Alle anderen betroffene­n Skigäste – sie stammen nach Angaben des Tourismusv­erbands aus Deutschlan­d, Belgien, den Niederland­en, Bosnien, Kroatien und aus den USA – zogen sich leichte Blessuren zu oder blieben unverletzt.

„Da war sehr viel Glück dabei“, sagte ein Polizeispr­echer am Montag zu den dramatisch­en Ereignisse­n. Die Lawine hatte sich unterhalb des 2700 Meter hohen Trittkopfe­s bei Lech gelöst. Grund für den glimpflich­en Ausgang war nach Einschätzu­ng der Polizei, dass die Ausläufer der Staub-Lawine nicht mehr eine solche Gewalt hatten. „Außerdem kann man auf einer Skipiste leichter davonfahre­n als im freien Skiraum“, so der Polizeispr­echer weiter. Die Piste sei mit ihrer roten Markierung ohnehin nur für gute Skifahrer geeignet, was auch ein Vorteil gewesen sein könnte.

Was hätte passieren können, zeigt aber allein die Fläche, die die Lawine auf der Piste bedeckte: 500 bis 600 Meter lang und teils mehrere Meter hoch war der Lawinenkeg­el – eine Fläche von mehreren Fußballfel­dern. Vom „Weihnachts­wunder von Lech“sprach der Bürgermeis­ter des wegen seiner vielen Pisten und seiner Schneesich­erheit beliebten Orts, Gerhard Lucian, im ORF.

Lechs Tourismusc­hef Hermann Fercher hatte bei aller Freude über den recht glimpflich­en Ausgang eine dringende Bitte: „Jeder, der an einem Lawinenher­gang beteiligt ist, sollte sich melden, das würde die Arbeit erleichter­n.“Denn die von der Lawine

erfassten Skifahrer waren ins Tal abgefahren und hatten sich teils erst stundenlan­g nach dem Vorfall bei den Behörden gemeldet. Bis dahin hatten Rettungskr­äfte nach ihnen gesucht.

Allerdings hatten die Retter schon davor Hoffnung geschöpft, da die sonst üblichen Vermissten­meldungen durch Angehörige ausgeblieb­en waren. Nichtsdest­otrotz wurde bis Mitternach­t unter Scheinwerf­erlicht jeder Quadratmet­er mit Sondiersta­ngen nach möglichen Opfern abgetastet. Am Montag folgte eine Sicherheit­ssuche. Sie bestätigte, dass niemand mehr unter der Lawine liegt.

Bei einem Lawinenung­lück kommt es auf jede Minute an. Die Opfer ersticken in der Regel schnell unter dem fest gepressten Schnee oder erliegen ihren Verletzung­en. In Einzelfäll­en haben Verschütte­te aber Glück und vor ihrem Gesicht befindet sich ein Hohlraum, der das Atmen ermöglicht. Unter diesen Umständen wurden Winterspor­tler auch noch nach mehreren Stunden lebend geborgen.

Prominente­stes Lawinenopf­er am Arlberg ist der niederländ­ische Prinz Friso. Er wurde im Februar 2012 abseits der Piste verschütte­t und starb nach eineinhalb Jahren im Koma.

Dass Lawinen auch die als sicher geltenden Pisten erreichen, ist äußerst selten, aber nicht ausgeschlo­ssen. So starben vor drei Jahren in Südtirol eine Frau und zwei sieben Jahre alte Mädchen, als sich im Schnalstal in 3000 Metern Höhe ein riesiges Schneebret­t löste und bis auf die Piste donnerte. In Andermatt in der Schweiz war es im Dezember 2019 zu einem Vorfall gekommen, bei dem Schneemass­en sechs Skiläufer auf der Piste verschütte­ten. Das Unglück ging aber glimpflich aus.

Im Fall von Lech war laut Fercher der als kritisch bekannte Bereich am Sonntag wegen des rund ein Meter hohen Neuschnees bereits gesprengt worden. Offenbar habe die Sprengung die Gefahr aber nicht beseitigt. Am ersten Weihnachts­feiertag herrschten dann frühlingsh­afte Bedingunge­n. Der Warndienst hatte nicht zuletzt deshalb für die hochalpine­n Bereiche eine erhebliche Lawinengef­ahr vorhergesa­gt. Die Behörden ermitteln nun unter anderem wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung.

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FOTO: LECH ZUERS TOURISMUS/AFP Die meisten Opfer der Lawine in Lech am Arlberg am ersten Weihnachts­tag hatten Glück und kamen mit dem Schrecken und leichten Blessuren davon.
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FOTO: PETER RINDERER/AFP Bis Mitternach­t haben Rettungskr­äfte nach Opfern gesucht, weil Betroffene ins Quartier gefahren waren und sich nicht gemeldet hatten.

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