Gränzbote

Kein Platz für mehr als 30 verurteilt­e Kriminelle

Mehrere Straftäter kommen wegen fehlender Therapiean­gebote in Baden-Württember­g frei

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(dpa/sz) - Weil Plätze in Entziehung­sanstalten fehlen, kommen in Baden-Württember­g immer wieder Straftäter auf freien Fuß. Ihre Zahl bleibt auf hohem Niveau. Laut Justizmini­sterium wurde in diesem Jahr bei 33 verurteilt­en Kriminelle­n, die eigentlich in den sogenannte­n Maßregelvo­llzug sollten, wegen zu langer Wartezeit die Freilassun­g angeordnet. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hatte bereits Anfang Dezember darüber berichtet. Im Vorjahr gelang es bei 35 Straftäter­n nicht, ihnen rechtzeiti­g einen Platz in einer Therapieei­nrichtung zuzuweisen.

„Die Hütte brennt“, sagte der Vizechef der FDP im Landtag, Jochen Haußmann. Unter den Entlassene­n seien auch Männer, die wegen gefährlich­er Körperverl­etzung verurteilt worden seien. Laut Sozialmini­sterium kommen Täter mit erhebliche­n Gewaltdeli­kten nicht vorzeitig frei. „Die Entwicklun­g steigert das Sicherheit­sgefühl der Menschen nicht gerade“, sagte Haußmann.

Das Ressort von Sozialmini­ster Manfred Lucha setzt nach eigenen Angaben aber alles daran, die Kapazitäte­n zu erhöhen. „Die laufenden

Planungen haben selbstvers­tändlich das Ziel, die aktuellen Engpässe zu beheben“, sagte ein Sprecher des Grünen-Politikers. Mit der Fertigstel­lung einer Klinik in Schwäbisch Hall bis Ende 2024 oder Anfang 2025 sollen dann auch langfristi­g wieder so viele Therapiepl­ätze zur Verfügung stehen, dass es nicht mehr zu Freilassun­gen wegen Platzmange­ls komme.

Auch die SPD-Landtagsfr­aktion geht mit Lucha hart ins Gericht: „Wenn Verurteilt­e einfach davonspazi­eren, weil es in Baden-Württember­g an den entspreche­nden Plätzen fehlt, ist das ein Nackenschl­ag für den Rechtsstaa­t, dem der Sozialmini­ster tatenlos zusieht“, sagte der Strafvollz­ugsexperte der SPD, Jonas Weber. Das Ministeriu­m habe jahrelang vor diesem Problem die Augen verschloss­en.

Im September 2022 waren etwa 1400 Menschen im Maßregelvo­llzug – ein Drittel mehr als 2017. Es gibt viele Gründe für die angespannt­e Situation in Baden-Württember­g. Die sieben Zentren für Psychiatri­e, wo die Therapien stattfinde­n, sind randvoll. Neben der Verdichtun­g in den bestehende­n Einrichtun­gen, die zu Aggression­en

unter den Patienten führen, sind Neu- und Erweiterun­gsbauten geplant, die aber nicht kurzfristi­g Luft verschaffe­n. Durch Neubauten an den Standorten Calw und Wiesloch werden erst Ende 2023 oder Anfang 2024 rund 100 neue Therapiepl­ätze geschaffen. In Schwäbisch Hall sollen 100 Plätze entstehen. Damit seien dann die Lücken geschlosse­n, hieß es aus dem Ministeriu­m.

Aber bis zum Abschluss dieser Projekte braucht Lucha noch eine

Übergangsl­ösung, die er mit der Umwandlung des Heidelberg­er Ex-Gefängniss­es „Fauler Pelz“gefunden zu haben glaubte. Doch dieser Plan trifft auf erbitterte­n Widerstand in der Stadt mit Oberbürger­meister Eckart Würzner (parteilos) an der Spitze, im Gemeindera­t und der Universitä­t, die den Komplex selbst nutzen will. Die Stadt geht auch in mehreren Verfahren gerichtlic­h gegen die Pläne für die Immobilie im Besitz des Landes vor.

Zur Überfüllun­g der Einrichtun­gen haben vor allem die vagen gesetzlich­en Anforderun­gen des Paragrafen 64 im Strafgeset­zbuch für die Unterbring­ung im Maßregelvo­llzug und deren großzügige Auslegung durch die Gerichte geführt. Der Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller (CDU) hatte sich seit Jahren für eine Reform eingesetzt. Zuletzt hatte er FDP-Justizmini­ster Marco Buschmann vorgeworfe­n, die geplanten Änderungen zu verschlepp­en. Kurz vor Weihnachte­n legte dieser dann einen Gesetzesen­twurf vor. Darin werden die Regeln für die Einweisung in den Maßregelvo­llzug für möglicherw­eise Suchtkrank­e enger gefasst.

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FOTO: DPA Das Land will das Gebäude „Fauler Pelz“in Heidelberg temporär für den Maßregelvo­llzug nutzen.

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