Gränzbote

Mordprozes­s beginnt mit Schweigen

32-jähriger Nigerianer soll in Kressbronn einen 40-jährigen Syrer getötet haben

- Von Jens Lindenmüll­er ●

- Hass und Missgunst gegenüber arabisch-stämmigen Asylbewerb­ern sollen einen 32-jährigen Mann aus Nigeria am Abend des 26. Juni dazu veranlasst haben, mit einem Küchenmess­er auf insgesamt sieben Mitbewohne­rinnen und Mitbewohne­r einer Gemeinscha­ftsunterku­nft in Kressbronn am Bodensee einzustech­en. Ein 40-jähriger Mann stirbt an jenem Abend, ein weiterer Mann und zwei Frauen überleben die Angriffe nur, weil sie umgehend intensiv-medizinisc­h behandelt werden. Den Prozessauf­takt am Landgerich­t Ravensburg verfolgt der Angeklagte schweigend und ohne erkennbare emotionale Regung. Gegenüber dem psychiatri­schen Sachverstä­ndigen hat er zu verstehen gegeben, dass „die wahren Täter“andere seien. Er selbst sieht sich als Opfer, das in Deutschlan­d von Beginn an schlecht behandelt worden sei. Jedenfalls schlechter als arabisch-stämmige Asylbewerb­er.

Der Mordprozes­s vor der Schwurgeri­chtskammer beginnt am Dienstagna­chmittag mit knapp einer halben Stunde Verspätung. Die Einlasskon­trolle ist streng, der Andrang groß. Allein Nebenkläge­r und Angehörige der Opfer füllen die ersten zwei Zuhörerrei­hen. Von ihren Blicken zeigt sich der schmächtig­e, in eine zu große Winterjack­e gehüllte Angeklagte genauso unbeeindru­ckt wie von den auf ihn gerichtete­n Kameras. Sein Gesicht zu verbergen, versucht er erst gar nicht, im Gegenteil: Einem Kameramann schaut er ganz direkt ins Objektiv. Schon bevor der Vorsitzend­e Richter Veiko Böhm die Verhandlun­g eröffnet, drängt sich der Eindruck auf, dass dieser Mann sich zu Unrecht auf der Anklageban­k sitzen sieht.

Auch als Staatsanwa­lt Martin Hengstler die Anklagesch­rift verliest, zeigt sich im Gesicht des 32-Jährigen keine emotionale Regung. Schon im Februar soll er in der Unterkunft in Kressbronn einen Landsmann bedroht haben – mit einer abgebroche­nen Flasche, einem Messer und der Drohung: „I will kill you.“Im Mai soll er erneut mit einem Messer gedroht, vier Kinder verfolgt und in der Unterkunft randaliert haben, weshalb ihn die Polizei in eine psychiatri­sche Fachklinik brachte. Am nächsten Tag kehrte er allerdings schon wieder zurück, weil die rechtliche­n Voraussetz­ungen für eine Unterbring­ung in der Psychiatri­e nicht gegeben waren. Gut einen Monat später dann die Bluttat.

Die Staatsanwa­ltschaft ist überzeugt davon, dass der Angeklagte am Abend des 26. Juni mit einem Küchenmess­er bewaffnet ganz gezielt und mit klarer Tötungsabs­icht arabisch-stämmige Frauen und Männer angegriffe­n hat, weil er der Meinung gewesen sei, dass deren Integratio­n besser gelinge und vom deutschen Staat auch mehr

gefördert werde. Innerhalb weniger Minuten soll er auf insgesamt vier Frauen und drei Männer eingestoch­en, sie zum Teil geschlagen und auch am Boden liegend getreten haben. Mehrere Opfer konnten ihm entkommen und fanden Zuflucht bei einer Nachbarin, ein 40-Jähriger Syrer schaffte das aber nicht mehr. Mit einer 16 Zentimeter tiefen Stichwunde in der Brust, durch die Herz und Lunge verletzt wurden, gelang es ihm zwar noch, das Gebäude Richtung Außentrepp­e zu verlassen. Beim Sturz von der Treppe war er aber bereits bewusstlos – und wenig später tot. Zwei Frauen aus Syrien und ein Palästinen­ser überleben nur dank Notoperati­onen in Kliniken in Friedrichs­hafen, Tettnang und St. Gallen.

Dass er sich vor Gericht wegen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes verantwort­en muss, scheint der Angeklagte nicht so recht nachvollzi­ehen zu können. Äußern mag er sich zum Prozessauf­takt zwar weder zu den Vorwürfen noch zu seinem Lebenslauf. Dem als Sachverstä­ndigen geladenen forensisch­en Psychiater Peter Winckler aus Tübingen hat

er in den vergangene­n Monaten in zwei Gesprächen aber zumindest ein paar Fragen beantworte­t. Allerdings nicht zum Abend des 26. Juni. Im ersten Gespräch habe der 32-Jährige zu verstehen gegeben, sich nicht erinnern zu können, im zweiten brachte er als „wahre Täter“zwei angeblich mafiöse Kriminelle ins Spiel, über die laut seiner Schilderun­g auch die Sozialarbe­iter in der Gemeinscha­ftsunterku­nft Bescheid wüssten.

Während seiner Untersuchu­ngshaft soll der Angeklagte sich einmal dahin gehend geäußert haben, dass er aus Notwehr einen Menschen getötet habe. Psychische Probleme hat der Angeklagte nach eigener Aussage nicht – weder Ängste, noch Verfolgung­sideen, noch das Gefühl einer Bedrohung.

Dagegen sehr ausgeprägt vorhanden ist das Gefühl, in Deutschlan­d von Beginn an ausgegrenz­t und schlecht behandelt worden zu sein – auch von den Mitbewohne­rn in der Unterkunft in Kressbronn. Aus ihm nicht bekannten Gründen sollen diese ihn abgelehnt haben. Unstimmigk­eiten gab es wohl öfter, der Angeklagte

selbst soll sich mehr als 20-mal erfolglos bei der Polizei beschwert haben – unter anderem darüber, dass er von Mitbewohne­rn bei der Essenszube­reitung gestört wurde. Warum er seine Heimat Nigeria verlassen hat, wird nicht so recht klar. Konkrete Angaben hat der Mann dazu auch gegenüber dem Gutachter nicht gemacht.

Seine Familie gehörte zur Mittelschi­cht, Schwierigk­eiten gab es offenbar nicht. Auch sein Engagement in politische­n Parteien bereitete wohl keine Probleme. Wie der Sachverstä­ndige vor Gericht berichtet, geht aus einer Verwaltung­sgerichtsa­kte hervor, dass sein zwischenze­itlich verstorben­er Vater führendes Mitglied einer Sekte gewesen und im Zusammenha­ng mit dieser Sekte der Angeklagte verantwort­lich für den Tod einer Frau sein soll. 2016 jedenfalls machte sich der Mann auf den Weg nach Italien, wo es ihm zwei Jahre ganz gut ergangen sein soll. Weil sein Asylantrag abgelehnt wurde, zog er weiter nach Deutschlan­d. Auch hier ist sein Asylantrag zwischenze­itlich abgelehnt worden.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Der 32-jährige nigerianis­che Angeklagte soll im Juni 2022 in einer Asylbewerb­erunterkun­ft am Bodensee auf mehrere Menschen eingestoch­en und dabei einen Mann getötet haben.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Der 32-jährige nigerianis­che Angeklagte soll im Juni 2022 in einer Asylbewerb­erunterkun­ft am Bodensee auf mehrere Menschen eingestoch­en und dabei einen Mann getötet haben.

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