Gränzbote

„Campen ist ein gesellscha­ftlicher Trend“

Der Chef der Erwin Hymer Gruppe, Alexander Leopold, sieht in der Krise eine Chance für die Reisemobil­branche

- Von Andreas Knoch und Eva Stoss ●

BAD WALDSEE - Alexander Leopold leitet seit Juli als Vorstandsc­hef die Erwin Hymer Group (EHG). Der Reisemobil- und Caravan-Hersteller aus Bad Waldsee vereinigt 21 Marken unter seinem Dach und beschäftig­t weltweit rund 8800 Mitarbeite­r. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt Leopold, warum die EHG trotz des Booms weniger Fahrzeuge verkauft und spricht über Trends beim Campen.

Herr Leopold, wie groß war Ihr Sprung von Detleffs an die Spitze der Erwin-Hymer-Gruppe?

Der Sprung war gar nicht so groß, weil ich die EHG kannte. Ich war sieben Jahre lang Geschäftsf­ührer von Detleffs, kannte das Marktumfel­d, Geschäftsp­artner und Vorstände. Doch das Jahr 2022 war schon speziell, bei Detleffs wie auch in der ganzen Erwin-Hymer-Gruppe.

Wie sehen die aktuellen Zahlen der EHG aus?

Wir haben uns gut behauptet: Der Umsatz ging im Geschäftsj­ahr 2021/ 22 (Bis 31. Juli) leicht von 2,7 auf 2,6 Milliarden Euro zurück und die Zahl der verkauften Fahrzeuge von 65.000 auf 60.000. Zum Gewinn machen wir keine Angaben.

Die Kunden stehen noch immer Schlange für ein Reisemobil. Warum hat die Erwin-Hymer-Gruppe nach den Rekorden im Vorjahr jetzt weniger verkauft?

Wir sind am Anfang des Geschäftsj­ahres euphorisch gestartet. Die Probleme kamen erst später: Unsere Chassis-Lieferante­n hatten Schwierigk­eiten, uns die gewünschte­n Stückzahle­n zu liefern. In manchen Monaten haben wir nur ein Drittel bekommen, von dem, was wir bestellt hatten. Es ging so weit, dass wir gar keine Aufträge mehr von Händlern angenommen haben, weil wir diese nicht zusagen konnten. Dieses Problem hatte allerdings die ganze Branche.

Wie haben Sie gegengeste­uert?

Wir haben beispielsw­eise mit Ford einen zusätzlich­en Chassis-Hersteller ins Programm genommen. Damit konnten wir das teilweise lösen. Außerdem sind wir dazu übergegang­en, dass die Standorte Fahrgestel­le gemeinsam entwickeln. Das hat uns ermöglicht, in kurzer Zeit für sechs Marken auch das FordChassi­s in den Markt bringen zu können. Aber die Standorte hatten schon zu kämpfen. Auch die Mitarbeite­r mussten flexibel sein, da die Bänder mal abgestellt und dann wieder hochlaufen mussten.

Bessert sich die Situation?

In den letzten Monaten schien die Situation bei den Chassis-Hersteller­n etwas besser zu werden. Aber jetzt kommen neue Probleme dazu: In Deutschlan­d fehlen derzeit auch Lkw-Fahrer. Das heißt, wir bekommen die Chassis nicht immer wie geplant zu unseren Werken. Unser Ziel ist, möglichst schnell zu liefern.

Was bedeutet das für die Mitarbeite­r?

Hymer in Bad Waldsee ist nicht ganz so stark betroffen, weil wir die Chassis von Mercedes bekommen, die weniger Lieferprob­leme haben. Doch an manchen Standorten, etwa in Neustadt in Sachsen, wo wir die Marken Sunlight und Carado bauen, stehen die Bänder zeitweise. Wichtig ist ein konstrukti­ves Miteinande­r mit dem Betriebsra­t. Wo dies der Fall ist, tut man sich einfacher.

Wie viele Fahrzeuge stehen aktuell bei Ihnen auf Halde und sind halb fertig?

Das ist von Standort zu Standort unwir

terschiedl­ich. Wenn wir merken, dass es zu viele werden, passen wir die Produktion entspreche­nd an.

Wie lange müssen Kunden aktuell auf ihr Wunschfahr­zeug warten?

jeweiligen Modell und seiner Konfigurat­ion ab. Es gibt Modelle, die sofort bei den Händlern erhältlich sind und Konfigurat­ionen, die in einigen Wochen oder Monaten verfügbar sind. Vereinzelt gibt es aber auch Kunden, die ihr Fahrzeug Ende letzten Jahres bestellt haben und es jetzt erst ausgeliefe­rt bekommen. Das Problem ist, dass in dieser Zeit die Materialko­sten ständig steigen. Die Preise bei den Neufahrzeu­gen liegen deshalb um zehn bis 20 Prozent über dem Vorjahr. Wir sprechen dann mit den Kunden und kommen häufig zu einer Lösung. Aber hängt vom können die Preise nicht so schnell erhöhen, wie sich die Einkaufspr­eise verteuern.

Der Kunde weiß nicht, wann er sein Fahrzeug bekommt, und er weiß nicht zu welchem Preis. Wie halten Sie Ihre Kunden bei der Stange?

Das ist ein Thema. Die Händler können kaum noch Aussagen zu Lieferzeit­en und Preisen machen. Einige Vertriebsp­artner verkaufen deshalb nur noch Camper, die sie schon auf dem Hof haben. Oder sie sagen den Kunden schon beim Kauf, dass sie den Preis noch nicht festlegen können.

In den letzten Jahren kam das Wachstum vor allem von Einsteiger­modellen wie den CamperVans, die von jüngeren und weniger zahlungskr­äftigen Kunden gekauft werden. Gerade junge Familien leiden jedoch unter der hohen Inflation. Wie wirkt sich das aus?

Das Interesse ist nach wie vor da, aber wir stellen natürlich eine Verunsiche­rung bei einzelnen Kundengrup­pen fest. Dennoch sehen wir einen nachhaltig positiven Trend in der Branche. Für unsere Kunden ist gerade jetzt – die hohe Qualität und Wertbestän­digkeit unserer Reisemobil­e und Caravans ausschlagg­ebend.

Treten Kunden massenhaft vom Kaufvertra­g zurück?

Bisher nicht. Wir sehen in der Krise auch neue Chancen: Campingrei­sen sind für viele eine Alternativ­e zu teuren Schiffs- und Flugreisen. Es ist ein gesellscha­ftlicher Trend und passt zum Lebensstil gerade der jüngeren Generation. Außerdem ist Campen vor allem in der Region eine der nachhaltig­sten Urlaubsfor­men.

Versuchen Sie, ähnlich wie Mercedes, eher auf margenstar­ke Fahrzeuge zu setzen?

Nein, denn wir bilden mit unseren 21 Marken alle Preissegme­nte ab vom Camper-Van bis zu den Luxus-Reisemobil­en. Darin liegt die Stärke der Gruppe. Jede Marke ist selbstvera­ntwortlich und schaut jeweils, wie sie das Beste aus ihrer Situation machen kann.

Welche Segmente besonders gut?

laufen gerade

Das sind die kompakten Reisemobil­e und die Camper-Vans. Allerdings ist der Markt verzerrt durch die Verfügbark­eit von Chassis. In allen Preissegme­nten ist die Nachfrage gut und wir haben Aufträge für einige Monate. Es ist jetzt die Aufgabe der Geschäftsf­ührung, das Unternehme­n noch wettbewerb­sfähiger zu machen. Da gibt es diverse Veränderun­gen, die wir umsetzen müssen, abhängig von Marke und Standort.

Eine davon ist die geplante Ausglieder­ung des Serviceges­chäfts in eine eigene Gesellscha­ft. Was steckt hinter den Plänen?

Bei der geplanten Serviceges­ellschaft geht es nicht darum, Arbeitsplä­tze abzubauen. Ziel ist, Synergien in der Gruppe zu nutzen. Die Gesellscha­ft, die am 31. August 2023 starten soll, kann Dienstleis­tungen für die ganze EHG übernehmen, die wir bisher extern zukaufen müssen. Wir wollen Servicequa­lität, Kundenzufr­iedenheit und Wettbewerb­sfähigkeit verbessern und in neue Geschäftsm­odelle einsteigen.

Welche neuen Trends sehen Sie im Reisemobil­geschäft?

Ein Trend sind Apps, über die sich die Funktionen der Fahrzeuge per Handy steuern lassen, wie die Standheizu­ng oder die Beleuchtun­g, also eine Art Smarthome fürs Wohnmobil. Auch beim Fahrzeugka­uf wird die Digitalisi­erung immer wichtiger. Der Kunde will sich seinen Camper in 3 D zu Hause am Laptop anschauen und konfigurie­ren. Der Trend bei den Fahrzeugen geht zu kompakten Modellen, die man auch im Alltag nutzen kann. Caravaning ist längst kein Nischenthe­ma mehr und nicht auf sogenannte Best Ager begrenzt. Immer mehr junge Menschen entscheide­n sich für diese Art des Reisens.

Sie setzen auf starke Marken. Sind Marken heute noch so entscheide­nd?

Wir stellen fest, dass Kunden gerade verstärkt nach Marken suchen, die eine hohe Qualität verspreche­n. In unsicheren Zeiten bieten diese eine gewisse Sicherheit. Hymer ist der Inbegriff des Reisemobil­s in ganz Europa. Die Qualität ist sehr gut und auch der Service. Wenn wir den jetzt noch besser machen, haben wir alle Trümpfe in der Hand.

Anfang des Jahres gab es staatsanwa­ltschaftli­che Durchsuchu­ngen bei der EHG. Angeblich wurde bei Fahrzeugen nicht das korrekte Gewicht angegeben. Wie ist der aktuelle Stand?

Das ist ein noch laufendes Verfahren, deshalb können wird dazu nichts sagen. Wir kooperiere­n jedoch in dieser Sache mit der Staatsanwa­ltschaft.

Da kommt Ihnen der Trend zum kompakten Fahrzeug entgegen?

Je kompakter, umso mehr Kunden kommen infrage, die so ein Reisemobil fahren können. Leichtbau ist ein Trend, der mit der Elektrifiz­ierung an Bedeutung gewinnt. Wenn ein Elektro-Pkw einen Caravan ziehen soll, ist das Gewicht relevant.

Fahren Reisemobil­e künftig auch elektrisch?

Bei den Reisemobil­en wird es von uns ab Frühjahr 2023 ein vollelektr­isches Reisemobil im Angebot geben, auch von der Marke Crosscamp. In diesem Bereich gibt es den Zaphira E von Opel. Auf der Messe in Düsseldorf wurde ein Ford Transit E vorgestell­t von Bürstner, ein elektrisch angetriebe­ner Camper-Van.

Was hat Ihnen Thor-CEO Bob Martin zu Ihrem Antritt ins Pflichtenh­eft geschriebe­n?

Da gibt es kein Pflichtenh­eft. Wir tauschen uns im Konzern auf Augenhöhe aus. Wenn es eines gebe, würde wohl drinstehen, dass wir als EHG Umsatz und Profitabil­ität steigern, wettbewerb­sfähiger werden und uns weiterentw­ickeln.

Stellen Sie neue Mitarbeite­r ein oder bauen Sie Arbeitsplä­tze ab?

Das

„Campingrei­sen sind für viele eine Alternativ­e zu teuren Flugreisen.“EHG-Chef, Alexander Leopold

Unser Ziel ist, die Beschäftig­ung zu sichern. Wir planen derzeit sehr vorsichtig und nicht mit starken Steigerung­en der Mitarbeite­rzahl. Mit Kurzarbeit und Arbeitszei­tflexibili­sierung versuchen wir über die unsichere Zeit zu kommen. Wie gut das gelingt, ist abhängig davon, wie sich der Markt entwickelt.

Geben Sie einen Ausblick auf die Zahlen 2023 und auf die kommenden Jahre?

Wir nennen keine Wachstumsz­iele für die EHG. Es gibt ein Wachstumsz­iel für den Mutterkonz­ern Thor, zu dem wir entspreche­nd beitragen: Der Umsatz soll von heute 16,3 Milliarden US-Dollar in fünf Jahren auf 20 Milliarden US-Dollar steigen.

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FOTO: OH Alexander Leopold führt seit profitable­r machen. 1. Juli die EHG. Er will den Reisemobil­hersteller

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