„Campen ist ein gesellschaftlicher Trend“
Der Chef der Erwin Hymer Gruppe, Alexander Leopold, sieht in der Krise eine Chance für die Reisemobilbranche
BAD WALDSEE - Alexander Leopold leitet seit Juli als Vorstandschef die Erwin Hymer Group (EHG). Der Reisemobil- und Caravan-Hersteller aus Bad Waldsee vereinigt 21 Marken unter seinem Dach und beschäftigt weltweit rund 8800 Mitarbeiter. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“erklärt Leopold, warum die EHG trotz des Booms weniger Fahrzeuge verkauft und spricht über Trends beim Campen.
Herr Leopold, wie groß war Ihr Sprung von Detleffs an die Spitze der Erwin-Hymer-Gruppe?
Der Sprung war gar nicht so groß, weil ich die EHG kannte. Ich war sieben Jahre lang Geschäftsführer von Detleffs, kannte das Marktumfeld, Geschäftspartner und Vorstände. Doch das Jahr 2022 war schon speziell, bei Detleffs wie auch in der ganzen Erwin-Hymer-Gruppe.
Wie sehen die aktuellen Zahlen der EHG aus?
Wir haben uns gut behauptet: Der Umsatz ging im Geschäftsjahr 2021/ 22 (Bis 31. Juli) leicht von 2,7 auf 2,6 Milliarden Euro zurück und die Zahl der verkauften Fahrzeuge von 65.000 auf 60.000. Zum Gewinn machen wir keine Angaben.
Die Kunden stehen noch immer Schlange für ein Reisemobil. Warum hat die Erwin-Hymer-Gruppe nach den Rekorden im Vorjahr jetzt weniger verkauft?
Wir sind am Anfang des Geschäftsjahres euphorisch gestartet. Die Probleme kamen erst später: Unsere Chassis-Lieferanten hatten Schwierigkeiten, uns die gewünschten Stückzahlen zu liefern. In manchen Monaten haben wir nur ein Drittel bekommen, von dem, was wir bestellt hatten. Es ging so weit, dass wir gar keine Aufträge mehr von Händlern angenommen haben, weil wir diese nicht zusagen konnten. Dieses Problem hatte allerdings die ganze Branche.
Wie haben Sie gegengesteuert?
Wir haben beispielsweise mit Ford einen zusätzlichen Chassis-Hersteller ins Programm genommen. Damit konnten wir das teilweise lösen. Außerdem sind wir dazu übergegangen, dass die Standorte Fahrgestelle gemeinsam entwickeln. Das hat uns ermöglicht, in kurzer Zeit für sechs Marken auch das FordChassis in den Markt bringen zu können. Aber die Standorte hatten schon zu kämpfen. Auch die Mitarbeiter mussten flexibel sein, da die Bänder mal abgestellt und dann wieder hochlaufen mussten.
Bessert sich die Situation?
In den letzten Monaten schien die Situation bei den Chassis-Herstellern etwas besser zu werden. Aber jetzt kommen neue Probleme dazu: In Deutschland fehlen derzeit auch Lkw-Fahrer. Das heißt, wir bekommen die Chassis nicht immer wie geplant zu unseren Werken. Unser Ziel ist, möglichst schnell zu liefern.
Was bedeutet das für die Mitarbeiter?
Hymer in Bad Waldsee ist nicht ganz so stark betroffen, weil wir die Chassis von Mercedes bekommen, die weniger Lieferprobleme haben. Doch an manchen Standorten, etwa in Neustadt in Sachsen, wo wir die Marken Sunlight und Carado bauen, stehen die Bänder zeitweise. Wichtig ist ein konstruktives Miteinander mit dem Betriebsrat. Wo dies der Fall ist, tut man sich einfacher.
Wie viele Fahrzeuge stehen aktuell bei Ihnen auf Halde und sind halb fertig?
Das ist von Standort zu Standort unwir
terschiedlich. Wenn wir merken, dass es zu viele werden, passen wir die Produktion entsprechend an.
Wie lange müssen Kunden aktuell auf ihr Wunschfahrzeug warten?
jeweiligen Modell und seiner Konfiguration ab. Es gibt Modelle, die sofort bei den Händlern erhältlich sind und Konfigurationen, die in einigen Wochen oder Monaten verfügbar sind. Vereinzelt gibt es aber auch Kunden, die ihr Fahrzeug Ende letzten Jahres bestellt haben und es jetzt erst ausgeliefert bekommen. Das Problem ist, dass in dieser Zeit die Materialkosten ständig steigen. Die Preise bei den Neufahrzeugen liegen deshalb um zehn bis 20 Prozent über dem Vorjahr. Wir sprechen dann mit den Kunden und kommen häufig zu einer Lösung. Aber hängt vom können die Preise nicht so schnell erhöhen, wie sich die Einkaufspreise verteuern.
Der Kunde weiß nicht, wann er sein Fahrzeug bekommt, und er weiß nicht zu welchem Preis. Wie halten Sie Ihre Kunden bei der Stange?
Das ist ein Thema. Die Händler können kaum noch Aussagen zu Lieferzeiten und Preisen machen. Einige Vertriebspartner verkaufen deshalb nur noch Camper, die sie schon auf dem Hof haben. Oder sie sagen den Kunden schon beim Kauf, dass sie den Preis noch nicht festlegen können.
In den letzten Jahren kam das Wachstum vor allem von Einsteigermodellen wie den CamperVans, die von jüngeren und weniger zahlungskräftigen Kunden gekauft werden. Gerade junge Familien leiden jedoch unter der hohen Inflation. Wie wirkt sich das aus?
Das Interesse ist nach wie vor da, aber wir stellen natürlich eine Verunsicherung bei einzelnen Kundengruppen fest. Dennoch sehen wir einen nachhaltig positiven Trend in der Branche. Für unsere Kunden ist gerade jetzt – die hohe Qualität und Wertbeständigkeit unserer Reisemobile und Caravans ausschlaggebend.
Treten Kunden massenhaft vom Kaufvertrag zurück?
Bisher nicht. Wir sehen in der Krise auch neue Chancen: Campingreisen sind für viele eine Alternative zu teuren Schiffs- und Flugreisen. Es ist ein gesellschaftlicher Trend und passt zum Lebensstil gerade der jüngeren Generation. Außerdem ist Campen vor allem in der Region eine der nachhaltigsten Urlaubsformen.
Versuchen Sie, ähnlich wie Mercedes, eher auf margenstarke Fahrzeuge zu setzen?
Nein, denn wir bilden mit unseren 21 Marken alle Preissegmente ab vom Camper-Van bis zu den Luxus-Reisemobilen. Darin liegt die Stärke der Gruppe. Jede Marke ist selbstverantwortlich und schaut jeweils, wie sie das Beste aus ihrer Situation machen kann.
Welche Segmente besonders gut?
laufen gerade
Das sind die kompakten Reisemobile und die Camper-Vans. Allerdings ist der Markt verzerrt durch die Verfügbarkeit von Chassis. In allen Preissegmenten ist die Nachfrage gut und wir haben Aufträge für einige Monate. Es ist jetzt die Aufgabe der Geschäftsführung, das Unternehmen noch wettbewerbsfähiger zu machen. Da gibt es diverse Veränderungen, die wir umsetzen müssen, abhängig von Marke und Standort.
Eine davon ist die geplante Ausgliederung des Servicegeschäfts in eine eigene Gesellschaft. Was steckt hinter den Plänen?
Bei der geplanten Servicegesellschaft geht es nicht darum, Arbeitsplätze abzubauen. Ziel ist, Synergien in der Gruppe zu nutzen. Die Gesellschaft, die am 31. August 2023 starten soll, kann Dienstleistungen für die ganze EHG übernehmen, die wir bisher extern zukaufen müssen. Wir wollen Servicequalität, Kundenzufriedenheit und Wettbewerbsfähigkeit verbessern und in neue Geschäftsmodelle einsteigen.
Welche neuen Trends sehen Sie im Reisemobilgeschäft?
Ein Trend sind Apps, über die sich die Funktionen der Fahrzeuge per Handy steuern lassen, wie die Standheizung oder die Beleuchtung, also eine Art Smarthome fürs Wohnmobil. Auch beim Fahrzeugkauf wird die Digitalisierung immer wichtiger. Der Kunde will sich seinen Camper in 3 D zu Hause am Laptop anschauen und konfigurieren. Der Trend bei den Fahrzeugen geht zu kompakten Modellen, die man auch im Alltag nutzen kann. Caravaning ist längst kein Nischenthema mehr und nicht auf sogenannte Best Ager begrenzt. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für diese Art des Reisens.
Sie setzen auf starke Marken. Sind Marken heute noch so entscheidend?
Wir stellen fest, dass Kunden gerade verstärkt nach Marken suchen, die eine hohe Qualität versprechen. In unsicheren Zeiten bieten diese eine gewisse Sicherheit. Hymer ist der Inbegriff des Reisemobils in ganz Europa. Die Qualität ist sehr gut und auch der Service. Wenn wir den jetzt noch besser machen, haben wir alle Trümpfe in der Hand.
Anfang des Jahres gab es staatsanwaltschaftliche Durchsuchungen bei der EHG. Angeblich wurde bei Fahrzeugen nicht das korrekte Gewicht angegeben. Wie ist der aktuelle Stand?
Das ist ein noch laufendes Verfahren, deshalb können wird dazu nichts sagen. Wir kooperieren jedoch in dieser Sache mit der Staatsanwaltschaft.
Da kommt Ihnen der Trend zum kompakten Fahrzeug entgegen?
Je kompakter, umso mehr Kunden kommen infrage, die so ein Reisemobil fahren können. Leichtbau ist ein Trend, der mit der Elektrifizierung an Bedeutung gewinnt. Wenn ein Elektro-Pkw einen Caravan ziehen soll, ist das Gewicht relevant.
Fahren Reisemobile künftig auch elektrisch?
Bei den Reisemobilen wird es von uns ab Frühjahr 2023 ein vollelektrisches Reisemobil im Angebot geben, auch von der Marke Crosscamp. In diesem Bereich gibt es den Zaphira E von Opel. Auf der Messe in Düsseldorf wurde ein Ford Transit E vorgestellt von Bürstner, ein elektrisch angetriebener Camper-Van.
Was hat Ihnen Thor-CEO Bob Martin zu Ihrem Antritt ins Pflichtenheft geschrieben?
Da gibt es kein Pflichtenheft. Wir tauschen uns im Konzern auf Augenhöhe aus. Wenn es eines gebe, würde wohl drinstehen, dass wir als EHG Umsatz und Profitabilität steigern, wettbewerbsfähiger werden und uns weiterentwickeln.
Stellen Sie neue Mitarbeiter ein oder bauen Sie Arbeitsplätze ab?
Das
„Campingreisen sind für viele eine Alternative zu teuren Flugreisen.“EHG-Chef, Alexander Leopold
Unser Ziel ist, die Beschäftigung zu sichern. Wir planen derzeit sehr vorsichtig und nicht mit starken Steigerungen der Mitarbeiterzahl. Mit Kurzarbeit und Arbeitszeitflexibilisierung versuchen wir über die unsichere Zeit zu kommen. Wie gut das gelingt, ist abhängig davon, wie sich der Markt entwickelt.
Geben Sie einen Ausblick auf die Zahlen 2023 und auf die kommenden Jahre?
Wir nennen keine Wachstumsziele für die EHG. Es gibt ein Wachstumsziel für den Mutterkonzern Thor, zu dem wir entsprechend beitragen: Der Umsatz soll von heute 16,3 Milliarden US-Dollar in fünf Jahren auf 20 Milliarden US-Dollar steigen.