Gränzbote

Absturz der Zuversicht

Krieg in der Ukraine und Geldsorgen schlagen auf die Stimmung der Deutschen

- Von Bernhard Sprengel

(dpa) - An ein glückliche­s neues Jahr glauben nach Angaben des Hamburger Zukunftsfo­rschers Horst Opaschowsk­i aktuell nur wenige Menschen in Deutschlan­d. Bei einer Umfrage in Kooperatio­n mit dem Institut Ipsos bejahten lediglich 35 Prozent der repräsenta­tiv Befragten die Aussage: „Dem kommenden Jahr gehe ich mit großer Zuversicht und Optimismus entgegen. Ich erwarte bessere Zeiten.“Ein Jahr zuvor sahen sich noch 53 Prozent als Optimisten, zum Jahreswech­sel 2020/21 sind es 56 Prozent gewesen.

Eine ähnliche Umfrage im Auftrag der Hamburger Stiftung für Zukunftsfr­agen von British American Tobacco (BAT) ergab, dass 64 Prozent der Deutschen angstvoll auf 2023 blicken. Das seien mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren, erklärte die Stiftung.

Dabei verlief schon das Jahr 2022 nach Ansicht vieler Bürgerinne­n und Bürger nicht gut. 61 Prozent stimmten kürzlich in einer Allensbach­Umfrage für die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“der Aussage zu: „Wenn man mal an die aktuellen Krisen und Probleme denkt, war das vergangene Jahr 2022 das schlimmste Jahr seit Langem“.

Opaschowsk­i sprach von einem „Absturz der Zuversicht“. Das dritte Krisenjahr nach Beginn der CoronaPand­emie scheine das kritischst­e zu sein. „Der Ukraine-Krieg und die wirtschaft­lichen Folgen ziehen die Menschen mental runter“, sagte der Zukunftsfo­rscher. Auch der wissenscha­ftliche Leiter der BAT-Stiftung, Ulrich Reinhardt, sieht den Krieg als Ursache für die pessimisti­sche Stimmung: „Dieser hat vielfältig­e Auswirkung­en auf das Leben in Deutschlan­d, so führen steigende Energiepre­ise und eine hohe Inflation für viele Bürger zu finanziell­en Herausford­erungen.“

Laut Opaschowsk­i werden die Menschen von massiven Existenzän­gsten geplagt. „90 Prozent der deutschen Bevölkerun­g machen sich inzwischen große Sorgen über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.“Besorgt zeigten sich vor allem die Menschen auf dem Land sowie die Generation, die 55 Jahre und älter ist. Nur bei den 14- bis 24-Jährigen überwiege mit 56 Prozent noch der Optimismus.

Besonders ängstlich sind nach Angaben der BAT-Stiftung Frauen. 70 Prozent blickten mit Befürchtun­gen auf 2023, unter Männern waren es 58 Prozent. Zukunftsso­rgen haben vor allem Geringverd­iener (75 Prozent), bei Besserverd­ienern sind es 50 Prozent, wie die Umfrage des Instituts GfK weiter ergab. „Die Geldsorgen sind größer als die Angst vor Krankheit oder Klimawande­l“, stellte auch Opaschowsk­i fest.

Was gibt den Menschen Halt und Hoffnung? Einerseits der Staat, der sich als Krisenhelf­er bewähre, sagte der Zukunftsfo­rscher. 88 Prozent der Befragten finden es demnach „gut, dass in unserem Sozialstaa­t auch für Menschen gesorgt wird, die aus verschiede­nen Gründen ihren Lebensunte­rhalt nicht in ausreichen­dem Maß selbst bestreiten können“.

Das bedeutet aber nicht, dass sich die Bürger immer auf den Staat verlassen. Die Menschen versuchten, sich selbst zu helfen und fingen an zu sparen. 70 Prozent der von Opaschowsk­i und dem Ipsos-Institut Befragten gaben an, sie würden im kommenden Jahr beim Konsumiere­n und Geldausgeb­en maßvoller und bescheiden­der sein. 2020 hatten dies nur 58 Prozent gesagt. Hinter der neuen Bescheiden­heit verberge sich die alte Sparsamkei­t, wie sie schon die Kriegs- und Nachkriegs­generation praktizier­t habe, erklärte Opaschowsk­i. „Die Menschen schaffen sich eine eiserne Ration für den Notfall, vom Spargrosch­en bis zur Konservend­ose.“

Vor dem Hintergrun­d der zahlreiche­n Appelle zum Energiespa­ren erklärte der Zukunftsfo­rscher: „Die Bürger brauchen keine Ermahnunge­n von oben, wo und wie sie einsparen sollen, das machen sie schon selber.“64 Prozent der Befragten zeigten sich überzeugt, dass die Bürger wieder mehr zusammenha­lten und sich selber helfen werden. Zudem gebe es einen „Generation­en-Soli“. Die Älteren unterstütz­ten die Jüngeren und seien bereit zu Einschränk­ungen.

Sorgen bereiten den Deutschen nach Analyse von Opaschowsk­i auch der Mangel an bezahlbare­m Wohnraum, der Pflegenots­tand und die zunehmende Einsamkeit. „Die Angst, die Selbstbest­immung im Leben zu verlieren und zum Pflegefall zu werden, ist der ganz persönlich­e Supergau“, sagte der 81-Jährige. Der Klimawande­l bleibe den Menschen neben Corona und Ukraine-Krieg als Dauerkrise erhalten.

Allerdings belasteten Geldsorgen die Deutschen mehr als Ängste vor Krankheite­n oder Klimawande­l. Klar ist zugleich, dass sich die Menschen nach einer besseren Stimmung sehnen. 73 Prozent der im Auftrag der BAT-Stiftung Befragten wollen im neuen Jahr gelassener und optimistis­cher denken und handeln.

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FOTO: IMAGO Viele Deutsche blicken zum Jahreswech­sel angstvoll in die Zukunft.

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