Gränzbote

Vater und Kannibale

Der britische Schauspiel­er Sir Anthony Hopkins wird 85 Jahre alt – Er ist prädestini­ert für melancholi­sche und tragische Figuren

- Von Rudolf Worschech

Seinen zweiten Oscar hat er einfach verschlafe­n. Als er im Jahr 2021 als bester Hauptdarst­eller im Film „The Father“ausgezeich­net wurde und bei der Livezeremo­nie in den USA zugeschalt­et werden sollte, lag Anthony Hopkins in seinem Bett in Wales und schlief tief und fest. Ein Agent weckte ihn, aber da war es schon zu spät – Joaquin Phoenix nahm die Trophäe stellvertr­etend entgegen. Damals war Hopkins 83, an Silvester wird er 85 Jahre alt. Vielleicht spricht aus diesem gesunden Schlaf ja auch die Lässigkeit eines Schauspiel­ers, der alles erreicht und viele gespielt hat.

Mit dem Drama „The Father“hat er eine großartige Altersroll­e hingelegt, einen demenzkran­ken 80-Jährigen, der bei seiner Tochter lebt. Er wirkt charismati­sch, kann aber auch beleidigen­d sein. Der französisc­he Dramatiker Florian Zeller verfilmte in seinem Kinodebüt ein eigenes Stück. Auch in Zellers Vater-SohnGeschi­chte „The Son“, die in diesem Monat ins Kino kam, wirkt Hopkins mit. Ab November sah man ihn auch noch in „Zeiten des Umbruchs“, als gutmütigen Großvater, der aus der von den Nazis besetzten Ukraine in die USA geflohen ist.

Das waren Allerwelts­menschen, aber auch für berühmte Köpfe hat der britische Schauspiel­er ein Faible. In dem TV-Movie „The Bunker“porträtier­te Hopkins, lange vor Bruno Ganz, 1981 Adolf Hitler in seinen letzten Tagen, in „Mein Mann Picasso“(1996) von James Ivory war er mit grauem Haarkranz der berühmte Künstler, in Oliver Stones „Alexander“(2004) gab er den älteren Ptolemäus.

Und in „Hitchcock“(2012) übernahm Anthony Hopkins perfekt die Selbstinsz­enierung des vielleicht berühmtest­en Regisseurs der Welt – jenen Blick von der Seite auf den Betrachter, der so etwas besagt wie: Meine Filme werden deine Abgründe ausloten und Ängste wecken.

Selbst Papst Benedikt XVI. hat er verkörpert, in „Die zwei Päpste“(2019), der ein – fiktives – Treffen mit Ratzinger und seinem Nachfolger durchspiel­t. Zweimal hat Hopkins US-Präsidente­n porträtier­t: John Quincy Adams in Steven Spielbergs „Amistad“(1997) und Nixon in Oliver Stones gleichnami­gem Film (1995).

In beiden Fällen war er für den Oscar nominiert, doch zum ersten Mal gewonnen hat er ihn für seine Verkörperu­ng des berühmtest­en Kino-Psychopath­en aller Zeiten: des wohlerzoge­nen, hochintell­igenten und kunstsinni­gen Psychologe­n Dr.

Hannibal Lecter, der Chopin liebt und gutes Essen – vor allem Menschenfl­eisch.

Mit „Hannibal the Cannibal“in Jonathan Demmes Meisterwer­k „Das Schweigen der Lämmer“aus dem Jahr 1991 wurde Anthony Hopkins zum Star, obwohl seine Karriere schon in den 1960er-Jahren begonnen hatte. Sein Hannibal war ganz anders als die Schlitzer und Serienkill­er, die sonst die Leinwand bevölkerte­n, die aus niederen Motiven wie Rache oder Leidenscha­ft mordeten. Dr. Lecter, eingesperr­t in einen verglasten Hochsicher­heitskäfig, wirkt eher wie ein Relikt aus dem 19. Jahrhunder­t, ein Mann, dem Stil über alles geht. Und man sieht es dem Gesicht von Anthony Hopkins an, wie sehr ihn die Niederunge­n des Menschlich­en anekeln.

Geboren 1937 in der kleinen südwalisis­chen Stadt Port Talbot, wuchs

Hopkins, der in dritter Ehe verheirate­t ist, als Einzelkind in einer Bäckerfami­lie auf. Er ist ein zurückgeno­mmener Schauspiel­er, kein „method actor“, der für jede Gefühlsäuß­erung eine Geste oder ein Mienenspie­l suchen muss: „Ich denke, ich verstehe vielleicht einfach nicht sehr viel von Schauspiel­erei, ich tu es einfach“, hat er in einem Interview einmal gesagt. Vielleicht ist ein Schauspiel­er wie er dazu prädestini­ert, melancholi­sche, verschloss­ene und immer auch tragische Figuren zu verkörpern, die ihre Gefühle verdrängen.

In James Ivorys „Auf Wiedersehe­n in Howards End“(1992) gab er einen stockkonse­rvativen englischen Mittelstän­dler, in „Was vom Tage übrig blieb“(1993), ebenfalls von Ivory, einen Butler, der sich bis zur Selbstaufg­abe seinem Dienstherr­n verschrieb­en hat. In Richard Attenborou­ghs „Shadowland­s“(1993) spielte er den Literaturp­rofessor und Schriftste­ller C.S. Lewis, der sich zu spät der Liebe einer Dichterin bewusst wird. In Hopkins Verkörperu­ng wurde selbst der machtsücht­ige und autoritäre amerikanis­che Präsident Richard Nixon zu einer Figur mit tragischen Ausmaßen.

Doch manchmal bricht Hopkins, mit sichtliche­m Spaß übrigens, auch aus den scheinbar zu ihm passenden Rollen aus. Den Vampirjäge­r Van Helsing in Coppolas „Bram Stoker's Dracula“(1992) hat er mit sichtliche­r Lust an einer Chargenrol­le gegeben, und auch vor Edeltrash wie dem Exorzismus­drama „The Rite – Das Ritual“(2011) schreckte er nicht zurück. Und in den „Thor“-Filmen gab er den Göttervate­r Odin. Höher kann man es kaum bringen. (epd)

 ?? FOTO: JAE C. HONG/DPA ?? Der Schauspiel­er und zweifache Oscar-Preisträge­r Anthony Hopkins feiert am 31. Dezember seinen 85. Geburtstag.
FOTO: JAE C. HONG/DPA Der Schauspiel­er und zweifache Oscar-Preisträge­r Anthony Hopkins feiert am 31. Dezember seinen 85. Geburtstag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany