Größe im Moment der Schwäche
Theologe von Weltrang, Erzbischof von München und Freising, Wächter über den rechten Glauben, Kardinaldekan, schließlich Papst Benedikt XVI., dann wieder Joseph Ratzinger: Eigentlich wollte der Gendarmensohn aus Marktl am Inn immer nur „Arbeiter im Weinberg des Herrn“sein, als Professor und Theologe Menschen für Gott begeistern. Dass er zum Revolutionär werden würde, war im Lebenslauf nicht vorgesehen.
Der Blick auf Benedikt XVI. wird durch den 11. Februar 2013 geprägt sein, an dem der damalige Stellvertreter Christi auf Erden überraschend ankündigte, sein Amt aufgeben zu wollen. Wir wissen heute, dass der damals 85-Jährige an seiner Kirche verzweifelte: an Missbrauch, Intrigen, Korruption, Diebstahl, Eitelkeit, Unfähigkeit, Holocaustleugnern. Er fühlte sich zu schwach, um seine Vorstellungen durchzusetzen.
Im Rücktritt ist eine der größten Stärken Ratzingers zu sehen: Er gestand seine Schwäche ein, machte Platz für seinen Nachfolger Franziskus, der bis heute mit ganz anderen Akzenten, klaren Worten und wenig Diplomatie in eben jenem Weinberg unterwegs ist.
Offen ist, warum Ratzinger, der große deutsche Konzilstheologe, seine Linie der „Aussöhnung zwischen Welt und Kirche“im Vatikan nicht fortsetzen konnte. Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er manchen Kampf um den angeblich rechten Glauben ausgefochten. Bitter: Die Theologen der Befreiung in Lateinamerika stellte er kalt. Historisch: Johannes Paul II., dem Polen auf dem Papstthron, gab er in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus intellektuelles Rüstzeug mit.
Vielversprechend begann das Pontifikat 2005. Die Welt erlebte einen kraftvollen Nachfolger in der Linie des charismatischen Johannes Paul II. Nach starken Jahren aber zerfiel die Aura des „Professors auf dem Papstthron“zusehends. Als er fünf Jahre Papst war, stürzte die katholische Kirche in eine ihrer schwersten Krisen: Schrittweise kamen ab 2010 jahrzehntelanger Kindesmissbrauch und Vertuschung ans Licht. Bis ins hohe Alter, auch nach dem Rücktritt und persönlich blieb Benedikt mit Missbrauchsskandalen konfrontiert.
Ob Benedikt XVI. ein großer Papst war? Es ist zu früh, hier Antworten zu finden. Größe bewies er im Moment der Schwäche, als er nicht am Amt festhielt: Und hier kann Benedikt XVI. über den Tod hinaus als Vorbild dienen.