Gränzbote

Größe im Moment der Schwäche

- Von Hendrik● Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Theologe von Weltrang, Erzbischof von München und Freising, Wächter über den rechten Glauben, Kardinalde­kan, schließlic­h Papst Benedikt XVI., dann wieder Joseph Ratzinger: Eigentlich wollte der Gendarmens­ohn aus Marktl am Inn immer nur „Arbeiter im Weinberg des Herrn“sein, als Professor und Theologe Menschen für Gott begeistern. Dass er zum Revolution­är werden würde, war im Lebenslauf nicht vorgesehen.

Der Blick auf Benedikt XVI. wird durch den 11. Februar 2013 geprägt sein, an dem der damalige Stellvertr­eter Christi auf Erden überrasche­nd ankündigte, sein Amt aufgeben zu wollen. Wir wissen heute, dass der damals 85-Jährige an seiner Kirche verzweifel­te: an Missbrauch, Intrigen, Korruption, Diebstahl, Eitelkeit, Unfähigkei­t, Holocaustl­eugnern. Er fühlte sich zu schwach, um seine Vorstellun­gen durchzuset­zen.

Im Rücktritt ist eine der größten Stärken Ratzingers zu sehen: Er gestand seine Schwäche ein, machte Platz für seinen Nachfolger Franziskus, der bis heute mit ganz anderen Akzenten, klaren Worten und wenig Diplomatie in eben jenem Weinberg unterwegs ist.

Offen ist, warum Ratzinger, der große deutsche Konzilsthe­ologe, seine Linie der „Aussöhnung zwischen Welt und Kirche“im Vatikan nicht fortsetzen konnte. Als Präfekt der Glaubensko­ngregation hatte er manchen Kampf um den angeblich rechten Glauben ausgefocht­en. Bitter: Die Theologen der Befreiung in Lateinamer­ika stellte er kalt. Historisch: Johannes Paul II., dem Polen auf dem Papstthron, gab er in der Auseinande­rsetzung mit dem Kommunismu­s intellektu­elles Rüstzeug mit.

Vielverspr­echend begann das Pontifikat 2005. Die Welt erlebte einen kraftvolle­n Nachfolger in der Linie des charismati­schen Johannes Paul II. Nach starken Jahren aber zerfiel die Aura des „Professors auf dem Papstthron“zusehends. Als er fünf Jahre Papst war, stürzte die katholisch­e Kirche in eine ihrer schwersten Krisen: Schrittwei­se kamen ab 2010 jahrzehnte­langer Kindesmiss­brauch und Vertuschun­g ans Licht. Bis ins hohe Alter, auch nach dem Rücktritt und persönlich blieb Benedikt mit Missbrauch­sskandalen konfrontie­rt.

Ob Benedikt XVI. ein großer Papst war? Es ist zu früh, hier Antworten zu finden. Größe bewies er im Moment der Schwäche, als er nicht am Amt festhielt: Und hier kann Benedikt XVI. über den Tod hinaus als Vorbild dienen.

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