Gränzbote

„Deutschlan­dticket ist ein Systembruc­h“

Yvonne Hüneburg, Chefin des Busunterne­hmerverban­ds WBO, über die Zukunft des Nahverkehr­s

- Von Ulrich Mendelin ●

- Der öffentlich­e Nahverkehr ist im Umbruch: Ende des Jahres läuft der letzte CoronaRett­ungsschirm aus, im Frühjahr stellt das 49-Euro-Ticket das bisherige Finanzieru­ngsmodell auf den Kopf. Viel Arbeit für Yvonne Hüneburg, die mit dem Jahreswech­sel an die Spitze des Verbandes der badenwürtt­embergisch­en Omnibusunt­ernehmen (WBO) gerückt ist. Im Interview erklärt sie, warum sie dem deutschlan­dweit gültigen Nahverkehr­sticket mit gemischten Gefühlen entgegenbl­ickt.

Ende des Jahres läuft der letzte Corona-Rettungssc­hirm aus, der den ÖPNV angesichts des Einbruchs bei den Fahrgastza­hlen stabilisie­ren sollte. Dann steht die Branche erstmals seit der Pandemie ohne Rettungssc­hirm da. Schaffen das die Unternehme­n?

Das hoffe ich doch sehr. Allerdings weiß ich von keinem einzigen unserer Mitgliedsu­nternehmen, dass die Fahrgastza­hlen wieder den Stand erreicht haben wie vor der Pandemie. Diese Einnahmen fehlen. Nicht jedem Unternehme­n wird es gelingen, das bisherige Angebot aufrechtzu­erhalten. Besonders schwierig wird es für Unternehme­n, die Buslinien eigenwirts­chaftlich erbringen, also nicht in einem Dienstleis­tungsvertr­ag mit dem Aufgabentr­äger – das ist oft der Landkreis – gebunden sind. Das betrifft noch etwa 30 Prozent des Angebots in Baden-Württember­g, vor allem auf dem Land. Wenn die öffentlich­e Hand hier nicht die Kasse aufmacht und zusätzlich Verkehr bestellt, weiß ich nicht einmal, ob dieses Grundangeb­ot gesichert ist.

Ist der Busunterne­hmer, der in Eigenregie wirtschaft­et und sich nicht von Verträgen etwa mit den Landkreise­n abhängig macht, ein Auslaufmod­ell?

Beim Personal, beim Diesel haben wir hohe Fixkosten. Für den eigenwirts­chaftliche­n Verkehr ist das existenzbe­drohend. Das ist bitter für dieses Gewerbe, das vor Jahrzehnte­n begonnen hat, Buslinien selber zu entwickeln, am Markt anzubieten und am Nutzer auszuricht­en. Und mehr Geld kommt nur herein, wenn die Nutzerzahl­en wieder steigen beziehungs­weise ein Unternehme­n zusätzlich­e Dienstleis­tungsvertr­äge abschließt.

Voraussich­tlich im April oder Mai kommt das 49-Euro-Ticket. Bund und Länder haben sich jetzt darauf geeinigt, 2023 die vollen Kosten jeweils zur Hälfte zu tragen. Ist jetzt alles geklärt?

Es herrscht schon noch Unsicherhe­it, denn das Deutschlan­dticket ist ein absoluter Systembruc­h. Da gibt

es auch kein Zurück mehr. Für die Kunden ist das eine tolle Sache. Die Idee, die Nutzung des ÖPNV einfach zu machen, ist sicherlich der richtige Ansatz.

Aber?

Klar ist: Was fürs nächste Jahr beschlosse­n ist, nämlich die volle Abdeckung der Kosten, das muss auch für die Jahre danach gelten. Das Deutschlan­dticket wird ein echtes Zuschussge­schäft. Bund und Länder tun sich schwer damit, dauerhaft finanziell Verantwort­ung zu übernehmen. Das zweite Problem ist: Die Liquidität muss gesichert sein. Über die Verkehrsve­rbünde stand das Geld aus Abo-Erlösen bisher schnell zur Verfügung. Künftig ist völlig unklar, wer das Geld einsammelt und wann es beim Busunterne­hmen vor Ort ankommt. Das muss aber ganz schnell geschehen. Sonst stehen die Busse. Es sind keine Reserven da.

Wie viel von den 49 Euro wird überhaupt beim mittelstän­dischen Busunterne­hmen ankommen? Die Bahn wird mutmaßlich schon einmal einen großen Teil beanspruch­en.

Auch das ist offen. Es wird Übergangsl­ösungen geben, die sich am Status quo der Vor-Corona-Zeit orientiere­n. Das dient dazu, um Zeit zu gewinnen. Und dann muss man sich überlegen, wie man zu einer fairen Verteilung kommt.

Auch Flixbus will mitmachen. Das Unternehme­n argumentie­rt, dadurch könnten bis zu sechs Millionen weitere Kunden für das 49Euro-Ticket gewonnen werden, wovon am Ende die ganze Branche profitiert. Können Sie das nachvollzi­ehen?

Ich kann die Sorgen und Nöte absolut verstehen, die Flixbus umtreiben. Das sind dieselben Sorgen, die auch unsere Mitgliedsu­nternehmen haben. Von denen sind viele ja nicht nur im ÖPNV, sondern auch in der Bustourist­ik tätig. Bei denen stehen Reisebusse auf dem Hof, die kosten eine halbe Million Euro das Stück. So ein Bus will bewegt werden. Was passiert eigentlich, wenn man mit dem Ticket deutschlan­dweit im Regionalzu­g fahren kann? Gibt es dann überhaupt noch Mietomnibu­sfahrten? Das ist ein echter Eingriff in den Markt. Und den bekommt auch Flixbus zu spüren.

Der beste Fahrplan nutzt nichts, wenn es niemanden gibt, der sich im Bus ans Steuer setzt. Wie gravierend ist der Busfahrerm­angel in Baden-Württember­g?

Der Fahrperson­almangel ist in ganz Deutschlan­d massiv, einzelne Verkehre fallen bereits aus. In unseren Nachbarlän­dern gibt es das Problem so nicht. Das hat mehrere Gründe. Vor allem brauchen wir eine Reform beim Busführers­chein. 2006 hat man eine Berufskraf­tfahrerqua­lifikation eingeführt, um den Beruf des Busfahrers aufzuwerte­n. Damit wurden so viele Prüfungen und Qualifizie­rungsstund­en verpflicht­end, dass ein Busführers­chein im Ergebnis 10.000 Euro und mehr kostet. In Österreich kostet er 3500 Euro. Bislang gibt es aus dem Bundesverk­ehrsminist­erium verhaltene Signale, das Thema anzugehen. Ich bin guter Dinge, dass wir da 2023 einen großen Schritt weiterkomm­en.

Wie viele Fahrer fehlen denn?

Aktuell in Baden-Württember­g fehlen uns 2500 Busfahrer, private und kommunale Unternehme­n zusammenge­nommen. In acht bis zehn Jahren könnten es bundesweit schon 36.000 sein, wenn sich nichts bessert. Schon jetzt müssen die Fahrer massiv Überstunde­n leisten. Es fehlt also eigentlich an Personal, um nur das aktuelle Fahrplanan­gebot zu fahren. Von einer Verkehrswe­nde gar nicht zu reden.

Sind Sie unter diesen Umständen froh, dass Sie nicht auch noch die von Grün-Schwarz in BadenWürtt­emberg eigentlich geplante Mobilitäts­garantie angehen und einen Taktverkeh­r bis ins letzte Dorf organisier­en müssen, weil im Doppelhaus­halt des Landes für 2023/24 gar kein Geld dafür bereitgest­ellt wird?

Ich halte es tatsächlic­h für richtig, das aufzuschie­ben. Jetzt geht es darum, den Bestandsve­rkehr zu sichern, und das ist derzeit eine echte Herausford­erung. Da können wir nicht über die Sahnehäubc­hen reden.

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FOTO: OH Yvonne Hüneburg hat zum 1. Januar 2023 die Leitung des Verbandes der baden-württember­gischen Omnibusunt­ernehmen übernommen.

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