Gränzbote

Klimapolit­ik vor Gericht

2023 befassen sich erneut Juristen mit Vorwürfen von Klimaaktiv­isten an die Politik

- Von Christian Rath

- „Unsere Regierung bricht gerade unser Grundgeset­z.“Diesen Vorwurf hört man immer wieder von der „Letzten Generation“als Begründung für ihre Straßenblo­ckaden. Auf das Bundesverf­assungsger­icht kann sie sich dabei aber nicht mehr berufen. Offen ist dagegen, ob die Bundesregi­erung das Klimaschut­zgesetz missachtet. Damit wird sich in den kommenden Monaten nun endlich das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Berlin-Brandenbur­g beschäftig­en.

„Die Regierung kommt ihrer Verpflicht­ung, die eigene Bevölkerun­g zu schützen, selbst nach Aufforderu­ng durch das Bundesverf­assungsger­icht nicht nach“, sagte die Aktivistin Johanna Höhn, als sie Mitte Dezember in Berlin den Spandauer Damm blockierte. In einer Pressemitt­eilung der „Letzten Generation“vom 13. Dezember heißt es, „dass der Plan, den die Bundesregi­erung mit ihrem Klimapaket vorgelegt hat, vom höchsten Gericht für verfassung­swidrig erklärt wurde.“Und weiter: „Die Nachbesser­ungsfrist läuft ab, es ist nicht abzusehen, dass diese Regierung die Krise in den Griff bekommt. Das ist Rechtsbruc­h. Das ist verfassung­swidrig. Das ist kriminell“, so die „Letzte Generation“.

Tatsächlic­h hat das Bundesverf­assungsger­icht in seinem Klimabesch­luss vom Frühjahr 2021 den Klimaschut­z zum Staatsziel erklärt. „Konkretisi­ert“sei das Staatsziel in Paragraf 1 des Klimaschut­zgesetzes, „wonach der Anstieg der globalen Durchschni­ttstempera­tur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustr­iellen Niveau zu begrenzen ist“. Wie der deutsche Beitrag zu diesem Ziel erreicht wird, dabei ließ das Bundesverf­assungsger­icht der Politik allerdings „Gestaltung­sspielräum­e“.

Konkret gefordert hat das Bundesverf­assungsger­icht im Frühjahr 2021 nur, dass der Bundestag im Klimaschut­zgesetz auch konkrete Anforderun­gen für die Zeit nach 2030 festlegen muss, um die notwendige Transforma­tion von Wirtschaft und Gesellscha­ft rechtzeiti­g anzuschieb­en. Diesen Auftrag hat der Bundestag schon wenige Wochen später umgesetzt und das Klimaschut­zgesetz (KSG) entspreche­nd geändert.

Dagegen hatte das Bundesverf­assungsger­icht nicht gefordert, dass der Bundestag auch die klimapolit­ischen Ziele bis 2030 verschärft. Dennoch hat der Bundestag in der gleichen KSG-Änderung das Minderungs­ziel

für 2030 um zehn Prozentpun­kte angehoben. Das heißt, Deutschlan­d soll bis dahin seinen Treibhausg­as-Ausstoß um 65 Prozent (statt 55 Prozent) gegenüber dem Jahr 1990 verringern. Der Bundestag ging also über die Karlsruher (Mindest-)Anforderun­gen hinaus.

Trotzdem erhoben neun Jugendlich­e (koordinier­t von der Deutschen Umwelthilf­e, DUH) Anfang 2022 eine neue Verfassung­sklage gegen das Klimaschut­zgesetz, um weitere Verschärfu­ngen durchzuset­zen. Diese Klage wurde aber vom Bundesverf­assungsger­icht schon im Juni ohne jede Begründung abgelehnt – ein klares Signal, dass die Karlsruher Richter nun erst einmal die Politik am Zug sehen, die eigenen Ziele auch umzusetzen.

So setzt das Klimaschut­zgesetz für die einzelnen Sektoren wie Gebäude, Industrie und Verkehr jährliche Obergrenze­n für den CO2-Ausstoß, die Jahr für Jahr absinken. Wenn die Sektorziel­e verfehlt werden, muss das zuständige Ministeriu­m ein Sofortprog­ramm mit Maßnahmen vorlegen, die die Lücke schließen. Umstritten war im letzten Sommer vor allem das Sofortprog­ramm von Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP), weil es nicht aufzeigte,

wie ein jährliches Anwachsen der Lücke bis 2030 verhindert werden kann.

Deshalb klagte die Deutsche Umwelthilf­e im September gegen Wissings Sofortprog­ramm. Zuständig ist das OVG Berlin-Brandenbur­g. Dort liegen auch noch fünf andere Klagen der DUH gegen Klimaprogr­amme der Bundesregi­erung, die älteste stammt von 2020.

Bisher hat das OVG allerdings über keine der Klagen entschiede­n oder auch nur verhandelt. Man konnte deshalb den Aktivisten der „Letzten Generation“den Klageweg auch nicht als effiziente Alternativ­e zu Straßenblo­ckaden empfehlen. Der für Umweltrech­t zuständige 11. OVGSenat war 2020 und 2021 mit CoronaFrag­en überlastet. 2022 war er dann durch einen Vorsitzend­enwechsel mit anschließe­ndem Rechtsstre­it um die Neubesetzu­ng beeinträch­tigt.

Doch ab diesem Januar dürfte der 11. OVG-Senat wieder voll einsatzfäh­ig sein. Denn wenige Tage vor Weihnachte­n hat ein anderer Senat des OVG die Konkurrent­enklage eines unterlegen­en Bewerbers um den Vorsitz des 11. Senats im Eilverfahr­en abgelehnt. Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“teilte des OVG inzwischen mit, dass es im ersten

Halbjahr über die DUH-Klimaklage­n verhandeln will.

Unklar sind derzeit auch noch die Folgen eines Urteils aus BadenWürtt­emberg. Dort verurteilt­e der Verwaltung­sgerichtsh­of das Land im November wegen eines Verstoßes gegen das eigene Klimaschut­zgesetz. Es brauche ein konkretes Konzept zur Umsetzung der im Gesetz genannten Ziele. Dieses soll ohnehin entstehen. Ob es dann ausreicht, ist noch offen. Geklagt hatte auch hier die DUH.

Möglicherw­eise sind aber einige ihrer laufenden Klagen schon überholt, bis das OVG über sie entscheide­t. Denn die FDP verlangt eine Änderung des Klimaschut­zgesetzes, mit der die Sektorziel­e abgeschaff­t werden sollen. Es gäbe dann nicht mehr spezielle Ziele für die Sektoren wie Verkehr und Gebäude, sondern nur noch für ganz Deutschlan­d.

Dies würde vor allem FDP-Verkehrsmi­nister Wissing aus der Verantwort­ung nehmen. Noch aber sind die Ampel-Partner SPD und Grüne mit dem FDP-Vorschlag nicht einverstan­den. Auch das Wirtschaft­sministeri­um von Robert Habeck (Grüne) hat daher Interesse an einer baldigen Gerichtsen­tscheidung über die Klimaprogr­amme der Bundesregi­erung.

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FOTO: MUFKINNPHO­TOS/IMAGO Aktivisten blockierte­n kurz vor Weinhachte­n in München erneut Straßen. Die Bewegung wirft der Bundesregi­erung vor, mit ihrer Klimapolit­ik Recht zu brechen. Doch das ist juristisch noch nicht geklärt.

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