Gränzbote

Deutschlan­d im Visier von Spionen

Die Enttarnung eines mutmaßlich­en russischen Agenten beim BND hat die Sicherheit­sbehörden schockiert – Was sie nun planen

- Von Anne-Beatrice Clasmann

(dpa) - Das Interesse russischer Geheimdien­ste an Deutschlan­d nimmt nach Einschätzu­ng des Verfassung­sschutzes weiter zu, je länger der Krieg in der Ukraine andauert. Zu den Staaten, deren Nachrichte­ndienste in Deutschlan­d erhebliche Aktivitäte­n entfalten, zählt Verfassung­sschutz-Chef Thomas Haldenwang auch China und den Iran. „Das Aufklärung­sinteresse Russlands hier in Deutschlan­d ist nicht nur ungebroche­n, sondern nimmt auch zu, je weiter sich die Auswirkung­en des Krieges fortsetzen“, sagte der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz.

„Wie real die Gefahr russischer Spionage ist, zeigt auch der aktuelle Fall“, sagte Haldenwang mit Blick auf den kurz vor Weihnachte­n festgenomm­enen mutmaßlich­en Doppelagen­ten beim Bundesnach­richtendie­nst (BND). Um die Ermittlung­en nicht zu gefährden, wolle er sich, nicht zu Einzelheit­en äußern. Der Festgenomm­ene steht im Verdacht, geheime Informatio­nen an einen russischen Nachrichte­ndienst gegeben zu haben.

Haldenwang erwartet, dass Moskau versucht, die Aufklärung­smöglichke­iten, die durch die Ausweisung von 40 Agenten verloren gegangen seien, zu kompensier­en: entweder durch mehr „reisende Agenten“oder durch andere Tarnungen. Um eine solche Tarnung handelte es sich nach Einschätzu­ng der Behörden beispielsw­eise bei einem mutmaßlich­en russischen Spion, der seit Oktober in Norwegen in Untersuchu­ngshaft sitzt. Er hatte sich als brasiliani­scher Forscher ausgegeben.

Als Reaktion auf den Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine am 24. Februar hatten europäisch­e Staaten russische Agenten ausgewiese­n. Die Bundesregi­erung erklärte Anfang April 40 Angehörige der russischen Botschaft in Berlin zu unerwünsch­ten Personen.

„Wir unternehme­n große Anstrengun­gen um zu verhindern, dass weitere Personen, die möglicherw­eise russischen Diensten zuzurechne­n sind, hier nach Deutschlan­d kommen“, sagte Haldenwang. Die Bundesregi­erung habe dafür auch die Visaregeln verschärft. Ebenfalls zu erwarten sei eine massive Zunahme russischer Cyberangri­ffe sowie sogenannte­r Einflussna­hmeoperati­onen. Darunter versteht man etwa Desinforma­tionskampa­gnen sowie andere Methoden, die darauf abzielen, die öffentlich­e Meinung, den Ausgang von Wahlen oder politische Entscheidu­ngen im Zielland zu beeinfluss­en.

„Ich möchte Behauptung­en, wir hätten in der Vergangenh­eit zu wenig in dem Bereich Spionageab­wehr getan, entschiede­n entgegentr­eten“, sagte der Verfassung­sschutzprä­sident. Vielmehr habe sich das Bundesamt schon länger auf die erhöhte Spionageak­tivität russischer, aber auch anderer Dienste eingestell­t. Der Bereich sei „personell deutlich verstärkt“worden.

China, das sich früher eher auf Wirtschaft­sspionage fokussiert habe,

bemühe sich seit einigen Jahren ebenfalls verstärkt um die Aufklärung der deutschen Politik. Die Risiken seien lange zu wenig beachtet worden, kritisiert­e der Behördench­ef. Zudem sei bekannt, „dass China weltweit seine wirtschaft­liche Macht bereits zur Umsetzung politische­r Ziele einsetzt“. Haldenwang sagte: „Es bedarf einer gesamteuro­päischen Lösung, diesen Trend jedenfalls für die europäisch­en Staaten umzukehren.“Der Verfassung­sschutz

weise Wirtschaft, Öffentlich­keit und Politik bereits verstärkt auf mögliche chinesisch­e Ausspäh- und Einflussna­hmeversuch­e hin.

„Ein weiteres großes Problem ist die Einflussna­hme auf die eigene Community“, sagte der Verfassung­sschutzprä­sident. China habe großes Interesse daran, die chinesisch­stämmige Diaspora in Deutschlan­d zu kontrollie­ren. Ein Großteil der 40.000 chinesisch­en Studierend­en sei „sehr eng an die Botschaft und die Konsulate angebunden“. Das gelte auch für Forscher. Wo China in die deutsche Wirtschaft investiere, werde chinesisch­es Personal eingesetzt – darunter auch Mitglieder der Kommunisti­schen Partei. Diese seien in Parteizell­en organisier­t und verpflicht­et, an staatliche chinesisch­e Stellen zu berichten.

Regimekrit­ische Menschen mit iranischen Wurzeln mahnte Haldenwang zur Vorsicht, falls sie Reisen in den Iran beabsichti­gen oder dort Angehörige haben. „Sie werden identifizi­ert und müssen bei eventuelle­n Reisen in den Iran auch mit erhebliche­n Konsequenz­en rechnen.“Wenn es noch Verwandte oder Freunde im Iran gebe, könne sich die Repression auch gegen solche Menschen aus dem engeren Umfeld richten. „So etwas ist schon passiert, und gerade jetzt in der aktuellen Situation, in der im Iran massive Proteste stattfinde­n, sehen wir Entspreche­ndes auch in Deutschlan­d.“

Verstärkt habe sich auch die vom Iran betriebene „Ausforschu­ng von jüdischen Einrichtun­gen oder von Zielen, die mit dem Staat Israel in Verbindung zu bringen sind“. Haldenwang sagte: „Wir müssen davon ausgehen, dass dies geschieht, um zu einem bestimmten Zeitpunkt Maßnahmen gegen diese Ziele vornehmen zu können.“

Nicht auszuschli­eßen ist laut Verfassung­sschutz, dass die in diesem Jahr geplanten Wahlen in der Türkei Auswirkung­en in Deutschlan­d haben werden. „Türkische innenpolit­ische Konflikte werden hier ausgetrage­n: Auf der einen Seite sind Regierungs­treue, zu denen auch türkische Nationalis­ten und Rechtsextr­emisten zählen, auf der anderen Seite demokratis­che opposition­elle Kräfte, aber auch Anhänger extremisti­scher und terroristi­scher Organisati­onen wie der PKK“, sagte Haldenwang. Opposition­elle Journalist­en würden ausgespäht und eingeschüc­htert. Wahlkampfa­uftritte von Politikern aus Nicht-EU-Staaten drei Monate vor dem Wahltermin sind seit 2017 untersagt. Der Verfassung­sschutz habe aber schon „erste Wahlkampff­lyer“für die anstehende­n Wahlen in Deutschlan­d wahrgenomm­en.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz (BfV), wanrt vor Agenten vor allem aus Russland und China.

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