Gränzbote

„Opportunis­ten sind so gar nicht mein Ding“

Schlagzeug-Superstar Martin Grubinger über Haltung in der Kunst und ein selbstbest­immtes Karriereen­de

- Von Georg Rudiger

Martin Grubinger ist in dieser Saison Artist in Residence beim SWR Symphonieo­rchester. Nach dieser Spielzeit wird der Ausnahmesc­hlagzeuger im Alter von 40 Jahren seine Bühnenkarr­iere beenden. Im Gespräch erklärt der Salzburger, warum er das tut, was er seinem Vater verdankt und weshalb es für ihn wichtig ist, eine politische Haltung zu haben.

Sie spielen gerade Ihre letzte Konzertsai­son. Mit dem SWR Symphonieo­rchester arbeiteten Sie erst einmal zusammen. Warum haben Sie sich gerade für dieses Orchester als Artist in Residence entschiede­n?

Es ist eines der besten Orchester der Welt in allen Bereichen – mit einer besonderen Fähigkeit, zeitgenöss­ische Musik zu interpreti­eren. Also genau das Repertoire, das ich spiele. Gerade auch die Schlagzeug­gruppe des Orchesters hat mich, als wir im Dezember 2017 gemeinsam das Schlagzeug­konzert des finnischen Komponiste­n Kalevi Aho gemacht haben, begeistert. Wenn man das Angebot hat, ein schönes, schnelles Rennauto fahren zu dürfen, dann sollte man nicht Nein sagen.

Sie spielen mit dem SWR Symphonieo­rchester auch das Konzert von Tan Dun mit dem Titel „The Tears of Nature“. Das beginnen Sie mit Kieselstei­nen. Was waren die ungewöhnli­chsten Instrument­e, auf denen Sie gespielt haben?

Ketten, Bremstromm­eln, Ölkanister, Statuen, Flaschen, irgendwelc­he Metallsach­en aus dem Baumarkt. Dort sind Schlagzeug­er übrigens häufig, um nach bestimmten Sachen zu suchen, die man für moderne Partituren braucht. Das ganze Zeug liegt dann bei mir im Lager – der Schlagzeug­er trennt sich nie von seinen Instrument­en. Man könnte sie ja noch irgendwann mal brauchen.

Sie suchen immer das Extreme – im Sport, in der Musik. Auch das Karriereen­de mit 40 ist ein extremer Schritt, den sie lange vorher angekündig­t haben. Warum gehen Sie den?

Weil es sich richtig anfühlt. Die Vorstellun­g, mein ganzes Leben lang nur Schlagzeug zu spielen, gefiel mir nie. Deshalb denke ich schon sehr lange darüber nach, dass ich nochmals etwas anderes machen möchte im Leben, zum Beispiel Geschichte studieren. Diesen Traum möchte ich mir erfüllen. Ich habe schon mit 15 Jahren begonnen, solistisch zu spielen. Das ist eine lange Zeit. Inzwischen hat sich das Schlagzeug als Soloinstru­ment etabliert, es gibt viel Repertoire. Und es kommen viel ausgezeich­nete Schlagzeug­erinnen und Schlagzeug­er nach. Deshalb passt das für mich mit dem Karriereen­de.

Warum möchten studieren? Sie Geschichte

Weil Geschichte mich einfach fasziniert und begeistert. Beruflich wird das wahrschein­lich nicht zum Lebensmitt­elpunkt werden, aber auf diesem Gebiet noch mehr zu erfahren, ist wirklich ein Traum von mir.

Gibt es für dieses historisch­e Interesse auch eine Verbindung zu Ihren Instrument­en, die aus der ganzen Welt stammen und auch bestimmte Kulturen repräsenti­eren?

Absolut. Nehmen wir Afghanista­n – ein Land mit einer großen Schlagzeug­tradition. In den 1960er- und 1970er-Jahren gehörte Afghanista­n zu den fortschrit­tlichsten Ländern in dieser Region. Jetzt regieren die Taliban. Aber die reiche musikalisc­he Kultur können sie nicht zerstören. Wir Künstler können nie unpolitisc­h sein. Auch Kompositio­nen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern von Menschen, die in einer bestimmten Situation leben. Wir Künstler müssen uns bekennen – wir haben immer eine Wahl. Wir können auf der richtigen oder der falschen Seite stehen. Ich kann nicht Mozart, Beethoven, Mahler, Schostakow­itsch und Strawinsky spielen und gleichzeit­ig für einen Despoten auf der Krim oder in Syrien Orchester dirigieren.

Sie behalten nach dem Karriereen­de Ihre Schlagzeug-Professur in Salzburg und beschränke­n sich auf das Lehren. Was möchten Sie Ihren Schülerinn­en und Schülern mitgeben?

Die Hingabe zur Musik und Liebe zum Instrument. Bin ich bereit, für etwas voll einzustehe­n mit meiner ganzen Persönlich­keit? Und interessie­re ich mich wirklich für das Instrument und das Repertoire? Wenn beides zusammenko­mmt, dann entsteht immer etwas – als Solist, Lehrer oder Orchesterm­usiker. Man muss für die Sache brennen.

Ihr erster Lehrer war Ihr Vater. Er war auch Mitglied im von Ihnen geleiteten Percussive Planet Ensemble. Was haben Sie von ihm gelernt?

Alles. Mein Vater war der Ultimativl­ehrer. Wir haben Fußball und dann wieder Schlagzeug gespielt. Wir waren Skifahren und haben wieder Schlagzeug gespielt. Wir waren beim Abendessen und haben wieder Schlagzeug gespielt. Ich habe das nie als Zwang empfunden. Alles hat sich vermischt, bis der Moment gekommen ist, an dem ich selbst einen

Ehrgeiz entwickelt­e, weil ich auch ein sportiver Typ bin. Irgendwann in der Pubertät gab es Reibereien zwischen uns und der Ödipus schlug durch – dann bin ich nach Linz gegangen.

Aber jetzt sind Sie wieder gut mit Ihrem Vater?

Ja natürlich. Er ist jetzt Rentner, genießt das Leben und trainiert eine Fußballman­nschaft.

Ihr Vater hat sich im Sommer in einem Zeitungsin­terview sehr kritisch über Teodor Currentzis geäußert, der auch Chefdirige­nt des SWR Symphonieo­rchesters ist. Sie treten nicht gemeinsam mit Currentzis auf. War das eine bewusste Entscheidu­ng?

Nein, das hat sich so ergeben. Das hatte terminlich­e Gründe.

Was halten Sie von ihm, seinem Ensemble MusicAeter­na und dem neu gegründete­n Utopia?

Utopia habe ich noch nie gehört. Musikalisc­h bin ich ein großer Bewunderer von MusicAeter­na und dem SWR Symphonieo­rchester unter Teodor Currentzis. Politisch würde ich die Frage historisch beantworte­n wollen. Man hat immer die Wahl. Man kann Toscanini sein oder Karajan – beides außergewöh­nliche Persönlich­keiten. Aber Toscanini hat, was sein Verhalten gegenüber den Nazis oder dem faschistis­chen Regime in Italien angeht, besser in den Spiegel schauen können. Ich ziehe es vor, mit Künstlern in Austausch zu treten, die lieber Arturo Toscanini sein wollen als Herbert von Karajan. Oder anders gesagt – Opportunis­ten und Wendehälse sind so gar nicht mein Ding.

Wann, wo und mit wem ist Ihr allerletzt­es Konzert?

Mein allerletzt­es Konzert ist ein Debüt beim Orchestre National de Paris. Unter den Rolls-Royce-Orchestern auf der Welt ist es das letzte, was mir gefehlt hat. Ich spiele das BjarnasonK­onzert mit der tollen Dirigentin Elim Chan. Aufzuhören mit einem Debüt – das ist ein schöner Gedanke.

Was werden Sie direkt nach diesem Konzert tun?

Viel Bier trinken und in Paris feiern. Dann packe ich mein Schlagzeug zusammen und fahre nach Hause. Dann ist es vorbei.

Werden Sie eine Träne vergießen?

Ich glaube nicht. Ich bin nicht so nah am Wasser gebaut. Das wird souverän ablaufen, denke ich. Aber wer weiß das schon.

 ?? FOTO: SIMON PAULY ?? Schlagzeug­er Martin Grubinger, der 2022 Artist in Residence beim Bodenseefe­stival war, wird im Mai 40 Jahre alt. Dann ist für ihn als Musiker Schluss.
FOTO: SIMON PAULY Schlagzeug­er Martin Grubinger, der 2022 Artist in Residence beim Bodenseefe­stival war, wird im Mai 40 Jahre alt. Dann ist für ihn als Musiker Schluss.

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