„Opportunisten sind so gar nicht mein Ding“
Schlagzeug-Superstar Martin Grubinger über Haltung in der Kunst und ein selbstbestimmtes Karriereende
Martin Grubinger ist in dieser Saison Artist in Residence beim SWR Symphonieorchester. Nach dieser Spielzeit wird der Ausnahmeschlagzeuger im Alter von 40 Jahren seine Bühnenkarriere beenden. Im Gespräch erklärt der Salzburger, warum er das tut, was er seinem Vater verdankt und weshalb es für ihn wichtig ist, eine politische Haltung zu haben.
Sie spielen gerade Ihre letzte Konzertsaison. Mit dem SWR Symphonieorchester arbeiteten Sie erst einmal zusammen. Warum haben Sie sich gerade für dieses Orchester als Artist in Residence entschieden?
Es ist eines der besten Orchester der Welt in allen Bereichen – mit einer besonderen Fähigkeit, zeitgenössische Musik zu interpretieren. Also genau das Repertoire, das ich spiele. Gerade auch die Schlagzeuggruppe des Orchesters hat mich, als wir im Dezember 2017 gemeinsam das Schlagzeugkonzert des finnischen Komponisten Kalevi Aho gemacht haben, begeistert. Wenn man das Angebot hat, ein schönes, schnelles Rennauto fahren zu dürfen, dann sollte man nicht Nein sagen.
Sie spielen mit dem SWR Symphonieorchester auch das Konzert von Tan Dun mit dem Titel „The Tears of Nature“. Das beginnen Sie mit Kieselsteinen. Was waren die ungewöhnlichsten Instrumente, auf denen Sie gespielt haben?
Ketten, Bremstrommeln, Ölkanister, Statuen, Flaschen, irgendwelche Metallsachen aus dem Baumarkt. Dort sind Schlagzeuger übrigens häufig, um nach bestimmten Sachen zu suchen, die man für moderne Partituren braucht. Das ganze Zeug liegt dann bei mir im Lager – der Schlagzeuger trennt sich nie von seinen Instrumenten. Man könnte sie ja noch irgendwann mal brauchen.
Sie suchen immer das Extreme – im Sport, in der Musik. Auch das Karriereende mit 40 ist ein extremer Schritt, den sie lange vorher angekündigt haben. Warum gehen Sie den?
Weil es sich richtig anfühlt. Die Vorstellung, mein ganzes Leben lang nur Schlagzeug zu spielen, gefiel mir nie. Deshalb denke ich schon sehr lange darüber nach, dass ich nochmals etwas anderes machen möchte im Leben, zum Beispiel Geschichte studieren. Diesen Traum möchte ich mir erfüllen. Ich habe schon mit 15 Jahren begonnen, solistisch zu spielen. Das ist eine lange Zeit. Inzwischen hat sich das Schlagzeug als Soloinstrument etabliert, es gibt viel Repertoire. Und es kommen viel ausgezeichnete Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger nach. Deshalb passt das für mich mit dem Karriereende.
Warum möchten studieren? Sie Geschichte
Weil Geschichte mich einfach fasziniert und begeistert. Beruflich wird das wahrscheinlich nicht zum Lebensmittelpunkt werden, aber auf diesem Gebiet noch mehr zu erfahren, ist wirklich ein Traum von mir.
Gibt es für dieses historische Interesse auch eine Verbindung zu Ihren Instrumenten, die aus der ganzen Welt stammen und auch bestimmte Kulturen repräsentieren?
Absolut. Nehmen wir Afghanistan – ein Land mit einer großen Schlagzeugtradition. In den 1960er- und 1970er-Jahren gehörte Afghanistan zu den fortschrittlichsten Ländern in dieser Region. Jetzt regieren die Taliban. Aber die reiche musikalische Kultur können sie nicht zerstören. Wir Künstler können nie unpolitisch sein. Auch Kompositionen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern von Menschen, die in einer bestimmten Situation leben. Wir Künstler müssen uns bekennen – wir haben immer eine Wahl. Wir können auf der richtigen oder der falschen Seite stehen. Ich kann nicht Mozart, Beethoven, Mahler, Schostakowitsch und Strawinsky spielen und gleichzeitig für einen Despoten auf der Krim oder in Syrien Orchester dirigieren.
Sie behalten nach dem Karriereende Ihre Schlagzeug-Professur in Salzburg und beschränken sich auf das Lehren. Was möchten Sie Ihren Schülerinnen und Schülern mitgeben?
Die Hingabe zur Musik und Liebe zum Instrument. Bin ich bereit, für etwas voll einzustehen mit meiner ganzen Persönlichkeit? Und interessiere ich mich wirklich für das Instrument und das Repertoire? Wenn beides zusammenkommt, dann entsteht immer etwas – als Solist, Lehrer oder Orchestermusiker. Man muss für die Sache brennen.
Ihr erster Lehrer war Ihr Vater. Er war auch Mitglied im von Ihnen geleiteten Percussive Planet Ensemble. Was haben Sie von ihm gelernt?
Alles. Mein Vater war der Ultimativlehrer. Wir haben Fußball und dann wieder Schlagzeug gespielt. Wir waren Skifahren und haben wieder Schlagzeug gespielt. Wir waren beim Abendessen und haben wieder Schlagzeug gespielt. Ich habe das nie als Zwang empfunden. Alles hat sich vermischt, bis der Moment gekommen ist, an dem ich selbst einen
Ehrgeiz entwickelte, weil ich auch ein sportiver Typ bin. Irgendwann in der Pubertät gab es Reibereien zwischen uns und der Ödipus schlug durch – dann bin ich nach Linz gegangen.
Aber jetzt sind Sie wieder gut mit Ihrem Vater?
Ja natürlich. Er ist jetzt Rentner, genießt das Leben und trainiert eine Fußballmannschaft.
Ihr Vater hat sich im Sommer in einem Zeitungsinterview sehr kritisch über Teodor Currentzis geäußert, der auch Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters ist. Sie treten nicht gemeinsam mit Currentzis auf. War das eine bewusste Entscheidung?
Nein, das hat sich so ergeben. Das hatte terminliche Gründe.
Was halten Sie von ihm, seinem Ensemble MusicAeterna und dem neu gegründeten Utopia?
Utopia habe ich noch nie gehört. Musikalisch bin ich ein großer Bewunderer von MusicAeterna und dem SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis. Politisch würde ich die Frage historisch beantworten wollen. Man hat immer die Wahl. Man kann Toscanini sein oder Karajan – beides außergewöhnliche Persönlichkeiten. Aber Toscanini hat, was sein Verhalten gegenüber den Nazis oder dem faschistischen Regime in Italien angeht, besser in den Spiegel schauen können. Ich ziehe es vor, mit Künstlern in Austausch zu treten, die lieber Arturo Toscanini sein wollen als Herbert von Karajan. Oder anders gesagt – Opportunisten und Wendehälse sind so gar nicht mein Ding.
Wann, wo und mit wem ist Ihr allerletztes Konzert?
Mein allerletztes Konzert ist ein Debüt beim Orchestre National de Paris. Unter den Rolls-Royce-Orchestern auf der Welt ist es das letzte, was mir gefehlt hat. Ich spiele das BjarnasonKonzert mit der tollen Dirigentin Elim Chan. Aufzuhören mit einem Debüt – das ist ein schöner Gedanke.
Was werden Sie direkt nach diesem Konzert tun?
Viel Bier trinken und in Paris feiern. Dann packe ich mein Schlagzeug zusammen und fahre nach Hause. Dann ist es vorbei.
Werden Sie eine Träne vergießen?
Ich glaube nicht. Ich bin nicht so nah am Wasser gebaut. Das wird souverän ablaufen, denke ich. Aber wer weiß das schon.