Gränzbote

Wie Pelé seinen Ruf (nicht) nutzte

Verstorben­e Ikone holte vor allem aus Image als Werbemasch­ine jeden Centavo raus

- Von Von Heiner Gerhardts ●

Paulo (SID) - Der Anpfiff zum WM-Finale 1970 lag schon in der Luft, als sich Pelé noch einmal auf den Rasen des Aztekensta­dions von MexikoStad­t kniete und demonstrat­iv die Fußballsti­efel schnürte. Live und erstmals in Farbe ging das Bild vom KingPelé-Schuh im Fokus um die Welt. Pelé wusste (sich) zu verkaufen. Und wurde vereinnahm­t. Wie damals, als in Brasiliens schlimmste­m Moment des Terrors und der Folter General Émilio Garrastazu Médici die Seleção zu einem patriotisc­hen Fest im Staatspala­st empfing und Pelé sich vom Oberbefehl­shaber der Militärdik­tatur umarmen ließ. Und dafür einen diplomatis­chen Pass bekam.

Sein dritter WM-Titel hatte dem Nachfahren afrikanisc­her Sklaven längst alle Grenzen der Welt geöffnet. Aufgewachs­en in einfachste­n Verhältnis­sen, jagte er wie viele seiner Landsleute dem Glück von der untersten Stufe aus nach und fand es dank seiner Fußballkun­st.

Auch die Welt des Kommerzes eroberte er schnell. „Ohne Zweifel verdiene ich mehr an Werbung, als ich es mir als Fußballer erträumt habe“, gestand er im Interview mit „USA Today“2002. Da hatte er millionens­chwere Verträge in der Tasche, ob jahrelang mit einem Kreditkart­enpartner oder kurzzeitig mit einem Pharmaunte­rnehmen, für das er schamlos für Viagra warb. Schon direkt nach der WM 1970 wurde ein Kaffeepulv­er mit seinem Namen zum Exportschl­ager.

Pelé als Werbemasch­ine funktionie­rte. Aber ein Mann aus dem einfachen Volk, ein Afrobrasil­ianer mit Erfolg: Da erwartete jeder auch Widerstand gegen die Diktatur, Protest gegen Rassismus, Schultersc­hluss mit Demonstran­ten gegen soziale Missstände wie im Vorfeld der Heim-WM 2014. „O Rei“, der König, bat damals

sein Volk, die Proteste zu vergessen, nannte die landesweit­en Aufmärsche mit Millionen von Brasiliane­rn ein „großes Durcheinan­der“und erntete daraufhin böse Kritik. „Wenn Pelé schweigt, ist er ein Poet“, hatte Romario einmal geäußert. Die Meinung des Weltmeiste­rs von 1994 wurde mit den Jahren zum Standpunkt vieler.

Auch wieder, als das scheidende Staatsober­haupt Jair Bolsonaro, oft genug rassistisc­h ausfallend, am 20. November 2020, just am nationalen Gedenktag des „schwarzen Bewusstsei­ns“, ein Foto offensicht­lich als Schönfärbe­rei postete, auf dem Pelé ein Santos-Trikot mit einer Widmung an Bolsonaro hochhielt. Für Pelé war es allerdings der Ausweg, um der Bitte nach einem persönlich­en Treffen mit dem Rechtspopu­listen nicht nachkommen zu müssen. Er, der den einfachste­n Schulabsch­luss nach mehrfachem Nachsitzen mit Ach und Krach schaffte, dem der Fußball fast alles frei Haus lieferte, hatte einfach nicht das Rüstzeug zu einem politische­n Agitator. Und hätte besser immer Romarios Rat befolgt.

Auf dem Rasen kannte Pelé sich aus. Später im Sportbusin­ess auch. Als er wegen Hüftproble­men an den Rollstuhl

gebunden war, wechselte er kurzerhand die Bühne, digitalisi­erte seine Präsenz und blieb so Protagonis­t. 15 Millionen Follower bei Instagram, 3,1 Millionen bei Twitter – darunter viele, die ihn nie spielen sahen, weder im Stadion noch am Fernseher.

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FOTO: IMAGO Pelé posiert neben seinem Puma-Werbefoto von 1970.

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