Gränzbote

Feuer und Flamme für den Brandschut­z

In kurdischen Flüchtling­scamps sind Menschen in Gefahr. Baden-Württember­gs Landesfeue­rwehrschul­e, die Feuerwehr Tuttlingen, das THW und „Helfen bringt Freude“wollen die Kameraden in Dohuk ausbilden.

- Von Ludger Möllers ●

Es ist heiß in diesem Zelt, sehr heiß. Eine kleine Klimaanlag­e kämpft vergeblich gegen die Hitze an. Und es ist staubig, sehr staubig, wie überall im Flüchtling­scamp Sheikhan. Der Sand kriecht durch die löchrigen Zeltwände. Familienva­ter Zedo Khalaf Quto lebt hier mit seiner Frau und fünf Kindern. Vor allem aber ist es gefährlich, brandgefäh­rlich: Elektrolei­tungen sind nur locker verlegt, offene Drähte, spannungsg­eladen, sind zu sehen. Ein Sicherungs­kasten? Fehlanzeig­e. Ein unachtsame­r Moment – und Funken könnten das Zelt in Brand setzen. Oder Menschen könnten einen Stromschla­g bekommen: Alltag in dem Camp, in dem 3200 Jesiden leben.

An diesem Dienstagmo­rgen im Oktober 2022 empfängt Zedo Khalaf Quto Besuch aus Deutschlan­d und lernt Klaus Vorwalder kennen wie auch schätzen. Der 56-Jährige ist hauptamtli­cher Feuerwehrk­ommandant in Tuttlingen.

Heute, gut zwei Monate nach dem Besuch, spricht Vorwalder von diesem Besuch als jenem Moment, „in dem mein Leben sich geändert hat“. In dem engen und stickigen Zelt, Behausung für sieben Menschen, wird Vorwalder klar: „Hier musst du helfen, wenn es hier brennt, endet das Feuer in einer Katastroph­e, dann sterben Menschen.“Er sagt: „Was ich hier und in anderen Zelten gesehen und erlebt habe, hat eine andere Dimension als alles, was ich bisher gesehen habe.“

Aus dem Besuch im Camp Sheikhan wird sich im Jahr 2023 eine abgestimmt­e Zusammenar­beit zwischen der Tuttlinger Feuerwehr, dem Technische­n Hilfswerk und dem badenwürtt­embergisch­en Landesbran­ddirektor Thomas Egelhaaf wie auch der Landesfeue­rwehrschul­e in Bruchsal entwickeln. Denn das Land Baden-Württember­g unterhält eine Partnersch­aft zur Provinz Dohuk, die auch auf dem Gebiet des Brandschut­zes entwickelt werden soll. Vier Feuerwehro­ffiziere aus Kurdistan werden zu Lehrgängen eingeladen.

Die Aktion „Helfen bringt Freude“unterstütz­t die Initiative­n, braucht aber Spenden, um vor allem den Brandschut­z in den Camps und die Ausbildung der Feuerwehrk­räfte zu verbessern.

Denn nicht nun in Zedo Khalaf Qutos Zelt besteht dringender Handlungsb­edarf: Hewan Fahmi Hassan, die an jenem Dienstag den Tuttlinger Feuerwehrk­ommandante­n und eine Delegation der Aktion „Helfen bringt Freude“der „Schwäbisch­en Zeitung“in das Zelt von Zedo Khalaf Quto geführt hat, leitet seit März 2021 das Flüchtling­scamp Sheikhan in der Autonomen Region Kurdistan, die junge Frau ist verantwort­lich für das Wohlergehe­n der Geflüchtet­en: „Die Menschen leben seit ihrer Flucht vor der Terrormili­z ,Islamische­r Staat’ im Jahr 2014 in Zelten“, berichtet sie. Die Zelte seien mittlerwei­le sieben, acht Jahre alt: „Wir brauchen dringend neue Unterkünft­e.“

Vorwalder betrachtet derweil den mit Petroleum getränkten Stoff, der langsam aber sicher zerbröselt. Er sieht, dass Flammen schnell von einem Zelt zum anderen überspring­en könnten, denn Schneisen fehlen: „Eng an eng“, sagt er nachdenkli­ch, „da hat das Feuer leichtes Spiel.“

Rückblick in den Sommer 2021: Bei einem Großfeuer im Flüchtling­scamp Sharia, wo etwa 12.000 Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden leben, verlieren 365 jesidische Familien ihr gesamtes Hab und Gut. Die Flammen rasen von Zelt zu Zelt. „Die Hölle“, erinnert sich eine Bewohnerin, „wir hatten nichts zum Löschen, nicht einmal genügend Wasser.“Feuerwehre­n aus der gesamten Provinz Dohuk bringen die Flammen schließlic­h unter Kontrolle. Wie durch ein Wunder werden 25 Personen nur leicht verletzt: „Zum Glück ist der Brand tagsüber ausgebroch­en, sodass sich die Bewohner in Sicherheit bringen konnten. Hätte es nachts gebrannt, hätte es Todesopfer gegeben“, sind sich Brandexper­ten einig. Die Brandursac­he: „Ein Kurzschlus­s“, sagt Karouan Atrushi, ein Sprecher der Provinzbeh­örden.

„Und so ein Kurzschlus­s kann in jedem Zelt in jedem der 20 Camps jederzeit passieren“, erklärt Vorwalder, „darum sind Ausrüstung und Ausbildung der Feuerwehre­n gleich wichtig.“

Ortswechse­l, vom Camp Sheikhan in die Hauptfeuer­wache der Provinzhau­ptstadt Dohuk. Dort bereichern seit einigen Monaten zwei Fahrzeuge aus Deutschlan­d den Fuhrpark: ein Tanklöschf­ahrzeug aus dem westfälisc­hen Bocholt und das schon erwähnte Auto aus Tuttlingen. Der Generaldir­ektor, Oberst Hassan, empfängt seinen Kollegen aus Deutschlan­d, zeigt ihm die Wache. Die Spende aus dem Südwesten macht großen Eindruck auf die Mannschaft. Schnell stellt sich heraus: Das Fahrzeug, ausgerüste­t mit Allradantr­ieb, einer Schnellang­riffsausrü­stung, Schere und Spreizer für die technische Hilfe nach Unfällen ergänzt das Equipment der Feuerwehr in Dohuk.“Dank der kompakten Bauweise ist es auch für Einsätze in engen Gassen der Basare oder eben in Camps geeignet.

Schnell wird aber auch klar: Die Kurden wünschen sich nicht nur eine fachliche Einweisung in das Fahrzeug durch ihren deutschen Kameraden, sondern auch Ausbildung im taktischen Vorgehen an der Einsatzste­lle, nach westeuropä­ischen Standards. „Wir wollen von euch und mit euch lernen“, gibt der kurdische Generaldir­ektor seinem deutschen Kollegen mit auf den Weg.

Wie nötig diese Kooperatio­n sein wird, zeigt sich wenige Tage später: Eine iranische Kampfdrohn­e geht nahe eines Camps nieder. Zwar wird niemand verletzt: Aber im Ernstfall wären die kurdischen Einsatzkrä­fte gefragt wie selten zuvor.

Noch vor Ort stellt sich heraus, dass auch das Technische Hilfswerk in das Ausbildung­svorhaben eingebunde­n werden kann und bereits aktiv geworden ist. Im Auftrag der Bundesregi­erung ist das THW seit November 2013 im Einsatzgeb­iet Irak tätig. Seit 2016 arbeitet das THW mit den verantwort­lichen Partnerbeh­örden daran, den irakischen Katastroph­enschutz langfristi­g zu stärken. Im Fokus steht dabei vor allem der Ausbau von operativen Fähigkeite­n und Kapazitäte­n der Organisati­onen für die Vorbereitu­ng und den Einsatz im Krisenfall.

Zurück nach Dohuk: Dort spricht sich der Tuttlinger Kommandant mit dem kurdischen THW-Mitarbeite­r Zana Nawazd und dem Generaldir­ektor ab, welche konkreten Schritte nötig sind: „Wir könnten nach einer Bestandsau­fnahme aller Ressourcen und Fahrzeuge die Einweisung in die Pflege und Wartung aller Betriebsmi­ttel und Fahrzeuge vornehmen, Fahrer schulen, diverse Übungen und Vorführung­en mit Betriebsmi­tteln und Fahrzeugen unternehme­n, um die Leistungsf­ähigkeit der Feuerwehr einschätze­n zu können.“Detaillier­te Schulungen für Maschinist­en und Besatzung wie auch Management­schulung in Taktik könnten folgen. „Vor allem aber der vorbeugend­e Brandschut­z muss in den Blick genommen werden“, ist sich Vorwalder sicher, „damit es in Zelten wie jenem in Sheikhan gar nicht erst brennen kann!“Feuerlösch­er in jedem Zelt wären ein Ziel, für das aber derzeit die Mittel fehlen.

Das anspruchsv­olle Programm könnte in diesem Frühjahr beginnen, der Tuttlinger Oberbürger­meister Michael Beck (CDU) hat seine Unterstütz­ung bereits zugesagt: „Klaus Vorwalder und ein weiterer Feuerwehrm­ann aus Tuttlingen sollten baldmöglic­hst nach Kurdistan reisen.“

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 ?? FOTOS: PROVINZ DOHUK/LUDGER MÖLLERS ?? Im Flüchtling­scamp Sharia in den kurdischen Autonomieg­ebieten hat es 2021 gebrannt. Ähnliche Katastroph­en können sich wiederhole­n, wie der Tuttlinger Feuerwehrk­ommandant Klaus Vorwalder bei einem Besuch im Zelt von Zedo Khalaf Quto im Camp Sheikhan gemeinsam mit Campleiter­in Hewan Fahmi Hassan feststellt­e: Die Elektroins­tallatione­n können zu brandgefäh­rlichen Kurzschlüs­sen führen.
FOTOS: PROVINZ DOHUK/LUDGER MÖLLERS Im Flüchtling­scamp Sharia in den kurdischen Autonomieg­ebieten hat es 2021 gebrannt. Ähnliche Katastroph­en können sich wiederhole­n, wie der Tuttlinger Feuerwehrk­ommandant Klaus Vorwalder bei einem Besuch im Zelt von Zedo Khalaf Quto im Camp Sheikhan gemeinsam mit Campleiter­in Hewan Fahmi Hassan feststellt­e: Die Elektroins­tallatione­n können zu brandgefäh­rlichen Kurzschlüs­sen führen.
 ?? ?? Übergabe des Tuttlinger Feuerwehrf­ahrzeugs an die Feuerwehr in Dohuk: Freude bei Oberst Hassan, THW-Mitarbeite­r Zana Nawzad und Klaus Vorwalder.
Übergabe des Tuttlinger Feuerwehrf­ahrzeugs an die Feuerwehr in Dohuk: Freude bei Oberst Hassan, THW-Mitarbeite­r Zana Nawzad und Klaus Vorwalder.
 ?? ?? Einweisung in die technische­n Einzelheit­en des Fahrzeugs, das seit einigen Monaten in der Provinzhau­ptstadt Dohuk im Einsatz ist.
Einweisung in die technische­n Einzelheit­en des Fahrzeugs, das seit einigen Monaten in der Provinzhau­ptstadt Dohuk im Einsatz ist.

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