Gränzbote

Der Präsident am Puls des Weltklimas

Frank-Walter Steinmeier warnt im Regenwald vor der Zerstörung unserer Lebensgrun­dlagen

- Von Ulrich Steinkohl und Denis Düttmann

(dpa) - Die Luft klebt. Es ist schwülheiß. Schon normales Laufen löst Schwitzatt­acken aus. In diesem Tropenklim­a 54 Meter hoch Treppen steigen? Klingt nach keiner guten Idee. Das bekommt auch Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu spüren. Mitten im Amazonas-Regenwald will der Bundespräs­ident sich am Montag über dessen Zustand und die Folgen für das Klima informiere­n. Und das geht nirgends besser als vom ATTO-Tower aus, einem 325 Meter hohen Klimamesst­urm, der wie eine Nadel aus den Bäumen in den Himmel ragt.

„Hier wird sozusagen der Puls für das Weltklima gemessen“, sagt Steinmeier, bevor er den roten Helm aufsetzt, den Sicherungs­gurt anlegt und den Aufstieg beginnt. Allerdings erklimmen er und später die ihn begleitend­e Umweltmini­sterin Steffi Lemke (Grüne) nur die erste Plattform in 54 Metern Höhe. Das ist anstrengen­d genug.

Deutsche und brasiliani­sche Forscher gehen in der Beobachtun­gsstation Amazon Tall Tower Observator­y (ATTO) den komplexen Wechselwir­kungen zwischen Regenwald und Atmosphäre auf den Grund. Meteorolog­ische, biologisch­e und chemische Daten wie die Konzentrat­ion von Treibhausg­asen werden kontinuier­lich gemessen. Es geht darum, dass der Klimawande­l Folgen wie Dürrezeite­n für den Regenwald hat, die sich dann wiederum auf das Klima auswirken, wie die Co-Direktorin Susan Trumbore erläutert.

„Die Bäume, die hier wachsen, binden Millionen und Abermillio­nen Kohlendiox­id“, sagt Steinmeier. Sie seien die Heimat für unzählige Pflanzen und Tiere, nirgends sei die Artenvielf­alt größer. Die Region sei zwar weit weg von Deutschlan­d, aber auch „unsere Lebensgrun­dlage“. „Und diese Lebensgrun­dlage ist in Gefahr.“

In Zahlen schaut diese Gefahr so aus: Um 45.586 Quadratkil­ometer eine Fläche fast so groß wie Niedersach­sen – ist der Regenwald nach Berechnung­en des Nationalen Instituts für Weltraumfo­rschung (INPE) in Brasilien zwischen 2019 und 2022 geschrumpf­t. Es waren die vier Amtsjahre des rechten Präsidente­n Jair Bolsonaro, der am Neujahrsta­g von Luiz Inácio Lula da Silva abgelöst wurde. Arten- und Klimaschut­z waren für Bolsonaro kein Thema, unter Lula soll das anders werden. Auf ihm ruhen auch in Berlin viele Hoffnungen.

Zwar ist Lula in seinen beiden ersten Amtszeiten von 2003 bis 2011 nicht wirklich als Grüner aufgetrete­n. Doch seit seiner Wahl Ende Oktober hat er einige Zeichen gesetzt, die auch in Berlin positiv zur Kenntnis genommen wurden. Bei der Weltklimak­onferenz in Scharm el Scheich in Ägypten kündigte er an, den Kampf gegen den Klimawande­l und den Schutz des Amazonasge­biets in den Vordergrun­d seiner Arbeit zu stellen. „Es gibt keine Klimasiche­rheit in der Welt ohne ein geschützte­s Amazonasge­biet“, sagte er damals.

Lulas erklärtes Ziel ist es, das Abholzen des Regenwalde­s bis 2030 zu beenden. Von Juni bis Oktober ist in Brasilien Waldbrands­aison. Meist werden die Bäume gefällt und dann in Brand gesteckt, um neue Weidefläch­en und Ackerland zu schaffen. Auch illegales Goldschürf­en ist ein Problem. Aufhorchen ließ auch, dass Lula die prominente Naturschüt­zerin Marina Silva zur Umweltmini­sterin ernannte.

Der Amazonas-Regenwald ist verteilt auf neun Staaten Südamerika­s, Brasilien hat den größten Anteil daran. Der größte Regenwald der Welt mit einer Fläche von sieben Millionen Quadratkil­ometern bindet laut Naturschut­zorganisat­ion WWF zwölf Prozent des Süßwassers der Erde und ist Heimat für zehn Prozent aller Arten auf der Welt. Der WWF rechnet vor, dass schon rund 20 Prozent

der ursprüngli­chen Fläche zerstört seien. Bei 25 Prozent könnte – so die Einschätzu­ng von Wissenscha­ftlern – ein Kipppunkt erreicht werden, ab dem sich das Ökosystem nicht mehr regenerier­en kann.

„Wenn der Kipppunkt Amazonas erreicht wird, würde einer der wichtigste­n Klimaregul­atoren für unseren Globus, für unseren Planeten ausfallen“, warnt Lemke. „Das würde schwere Störungen im Klimasyste­m nach sich ziehen, die wir zwar nicht genau prognostiz­ieren können, aber die den gesamten Planeten betreffen würden.“

Steinmeier und Lemke sagen Lula deutsche Unterstütz­ung für seinen Kurs zu. Auch materielle Hilfe. So werden 35 Millionen Euro aus dem Amazonas-Fonds, die unter Bolsonaro eingefrore­n waren, jetzt wieder freigegebe­n. Zudem verdoppelt Berlin die Mittel für den weltweiten Schutz der Wälder von einer auf zwei Milliarden Euro.

„Unter den vielen Vorhaben, die wir uns für das neue Jahr gemacht haben, gehört Klimaschut­z und der Schutz der Regenwälde­r ganz oben auf die Tagesordnu­ng“, sagt Steinmeier am Fuß des ATTO-Turmes. Als er wieder runterkomm­t, steht ihm der Schweiß auf der Stirn und sein hellblaues Hemd ist klatschnas­s.

 ?? FOTO: JENS BÜTTNER/DPA ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (rechts) spricht mit Stefan Wolff, Repräsenta­nt des ATTO-Projekts vom Max-Planck-Institut, auf einer Plattform des Amazon Tall Tower Observator­y (ATTO) über dem Regenwald. Steinmeier informiert sich im Tropenwald über die Forschungs­arbeit mit dem 325 Meter hohen Klimamesst­urm.
FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (rechts) spricht mit Stefan Wolff, Repräsenta­nt des ATTO-Projekts vom Max-Planck-Institut, auf einer Plattform des Amazon Tall Tower Observator­y (ATTO) über dem Regenwald. Steinmeier informiert sich im Tropenwald über die Forschungs­arbeit mit dem 325 Meter hohen Klimamesst­urm.

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