Smarter Dreh
Das Start-up Tado verspricht Kunden deutliche Entlastungen bei den Heizkosten – Hohe Nachfrage in der Region
- Ein Besuch beim Japaner in München brachte Christian Deilmann und Johannes Schwarz auf die Idee für den Firmennamen: Zwischen Sushi-Häppchen, Reisnudeln und Sake fiel der Blick der beiden Gründer auf die fernöstlichen Begriffe Tadaima und Okaeri. „Ich bin wieder daheim“, meint, etwas frei übersetzt, der erste. „Willkommen zurück“, der zweite. Begriffe, die entfernt auch etwas mit dem Geschäftsmodell der beiden Jungunternehmer zu tun hatten. Denn es geht ums Zuhause. Genauer gesagt um das smarte Zuhause.
Deilmann und Schwarz hatten Thermostate entwickelt, mit denen sich Heizungen und Klimaanlagen intelligent steuern lassen. Verlässt die Familie morgens das Haus, senken die Thermostate die Temperatur automatisch ab; nähert man sich seinem Haus wieder, bekommen die Thermostate über das Smartphone ein Signal und die Temperatur wird hochgefahren. In jedem Raum im Haus oder in der Wohnung lässt sich so genau die richtige Temperatur einstellen – und zwar dann, wenn es benötigt wird. Durchschnittlich 22 Prozent der Energiekosten sollen sich so einsparen lassen. Nur der Firmenname war damals, vor elf Jahren, noch offen. Bis zu diesem Besuch beim Japaner: Aus Tadaima und Okaeri wurde kurzerhand Tado.
Heute sieht sich Tado als Marktführer für smarte Thermostate in Deutschland und Europa. Die Energiekrise hat die Nachfrage nach den Reglern noch einmal explodieren lassen: Um mehr als 150 Prozent haben die Verkaufszahlen mit Beginn der Heizsaison im September gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum zugelegt, sagt Christian Deilmann im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, und kündigt an, in diesem Jahr die Marke von drei Millionen verkaufter Thermostate knacken zu wollen.
Vor allem im Raum BodenseeOberschwaben scheinen die Verbraucher auf die smarten Systeme des Münchener Unternehmens abzufahren. Mit einer Verdreifachung der Kundenzahl und inzwischen rund 25.000 installierter Thermostate macht Tado in dieser Region besonders gute Geschäfte.
Den Erfolg begründet Tado-Mitgründer Deilmann so: „Unsere Thermostate sind mit nahezu allen Heizungsanlagen kompatibel, sie lassen sich einfach selbst installieren und helfen den Menschen, ihre Heizkosten signifikant zu reduzieren.“Innerhalb
eines Jahres würden sich die Anschaffungskosten für ein Tado-System amortisieren – mit den zuletzt rasant gestiegenen Heizkosten, verspricht Deilmann, werde es nur noch wenige Monate dauern. Kunden die nicht zufrieden sind oder mit den Produkten des Unternehmens nicht genug Energie und damit Heizkosten sparen, bietet Tado an, den Kaufpreis zu erstatten.
Ein Paket mit drei Thermostaten und dem dafür notwendigen Steuerungsgerät,
der sogenannten Bridge, ist im Internet für 250 Euro zu bekommen. Die Thermostate verbinden sich über die Bridge mit dem WLAN-Router und sind so stets online. Dadurch kennt die TadoSmartphone-App auch außerhalb des WLAN-Netzes die Temperatur und Luftfeuchtigkeit der eigenen Wohnung und dreht die Thermostate an den Heizkörpern auf Wunsch per App auf oder ab.
Geofencing heißt diese Technologie der ortsabhängigen Steuerung im Fachjargon, und sie ermöglicht die intelligenten Funktionen des TadoSystems, die sich die Münchener allerdings via Abo-Modell zusätzlich bezahlen lassen. Knapp drei Euro pro Monat kostet es zusätzlich, wenn
man etwa die automatische An- und Abwesenheitsfunktion nutzen möchte. Dabei passt das System die Temperatur der Wohnung entsprechend zur Entfernung der Bewohner an. Beim Gang zum Bäcker gibt es kaum einen Temperaturabfall. Beim Urlaub in Thailand reduziert Tado die Raumtemperatur dagegen auf ein vorher festgelegtes Minimum. Befinden sich die Urlauber wieder auf dem Weg nach Hause, startet Tado rechtzeitig mit dem Einheizen, um den Heimkommenden ein warmes Willkommen zu bescheren.
Ebenfalls möglich: die Fenster-offen-Erkennung. Sie bemerkt plötzliche Änderungen der Raumtemperatur oder der Luftfeuchtigkeit – etwa wenn zur Lüftung ein Fenster geöffnet wird – und schaltet den Heizkörper dann eine Zeit lang ab, um Energie zu sparen. „Ein konventionelles Thermostat würde in dieser Situation genau das Gegenteil machen und den Heizkörper voll aufdrehen und so im wahrsten Sinne des Wortes jede Menge Geld zum Fenster hinausheizen“, erklärt Deilmann. Schlafzeiten, in denen die Temperatur abgesenkt werden kann, lassen sich genauso berücksichtigen wie die faktische Sonneneinstrahlung oder Wettervorhersagen.
Mit seinen smarten Thermostaten scheint Tado einen Nerv getroffen zu haben. Das legen nicht nur die rasant steigenden Verkaufszahlen der Produkte nahe, sondern auch die lange Liste namhafter Kooperationspartner und Investoren. Zwölf der 20 größten Energieversorger in Europa arbeiten inzwischen mit Tado zusammen. Dadurch haben die Münchener rein rechnerisch Zugriff auf etwa 100 Millionen Haushalte in Europa. Und in diversen Finanzierungsrunden haben unter anderem Amazon, Eon, Siemens, Total und die Europäische Investitionsbank in Summe mehr als 100 Millionen Euro in Tado investiert.
Angesichts solcher Zahlen ist das Unternehmen personell recht schlank unterwegs: Nur rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Tado, die meisten davon am Standort München. Möglich macht das der Verzicht auf eigene Produktionskapazitäten. Tado lässt die smarten Thermostate nämlich in China fertigen. Noch jedenfalls. „Wir sind gerade dabei, ein zweites Werk in Osteuropa aufzubauen, um auf neue geopolitische und logistische Herausforderungen zu reagieren“, sagt Deilmann und verspricht, am neuen Standort sogar günstiger als in China zu produzieren.
Die Geschäftsperspektiven scheinen angesichts dieser Expansionspläne intakt. In diesem Jahr will Deilmann deutlich über 100 Millionen Euro Umsatz erzielen. Das große Ziel für 2023 sei die Profitabilität des Unternehmens, das bisher durch Kapitalgeber finanziert wird. Auch in den darauffolgenden Jahren soll Tado mit ungefähr 80 Prozent jährlich ambitioniert wachsen. Schützenhilfe bekommen die Münchener auf diesem Weg auch von einflussreichen Lobbyorganisationen wie der Deutschen Energie-Agentur Dena. Deren Chef Andreas Kuhlmann forderte jüngst, „digitale Thermostate und Messsysteme massiv in den Einsatz zu bringen“. Das mögliche Einsparpotenzial bei Heizenergie bezifferte Kuhlmann auf über zehn Prozent.