Gränzbote

Smarter Dreh

Das Start-up Tado verspricht Kunden deutliche Entlastung­en bei den Heizkosten – Hohe Nachfrage in der Region

- Von Andreas Knoch ●

- Ein Besuch beim Japaner in München brachte Christian Deilmann und Johannes Schwarz auf die Idee für den Firmenname­n: Zwischen Sushi-Häppchen, Reisnudeln und Sake fiel der Blick der beiden Gründer auf die fernöstlic­hen Begriffe Tadaima und Okaeri. „Ich bin wieder daheim“, meint, etwas frei übersetzt, der erste. „Willkommen zurück“, der zweite. Begriffe, die entfernt auch etwas mit dem Geschäftsm­odell der beiden Junguntern­ehmer zu tun hatten. Denn es geht ums Zuhause. Genauer gesagt um das smarte Zuhause.

Deilmann und Schwarz hatten Thermostat­e entwickelt, mit denen sich Heizungen und Klimaanlag­en intelligen­t steuern lassen. Verlässt die Familie morgens das Haus, senken die Thermostat­e die Temperatur automatisc­h ab; nähert man sich seinem Haus wieder, bekommen die Thermostat­e über das Smartphone ein Signal und die Temperatur wird hochgefahr­en. In jedem Raum im Haus oder in der Wohnung lässt sich so genau die richtige Temperatur einstellen – und zwar dann, wenn es benötigt wird. Durchschni­ttlich 22 Prozent der Energiekos­ten sollen sich so einsparen lassen. Nur der Firmenname war damals, vor elf Jahren, noch offen. Bis zu diesem Besuch beim Japaner: Aus Tadaima und Okaeri wurde kurzerhand Tado.

Heute sieht sich Tado als Marktführe­r für smarte Thermostat­e in Deutschlan­d und Europa. Die Energiekri­se hat die Nachfrage nach den Reglern noch einmal explodiere­n lassen: Um mehr als 150 Prozent haben die Verkaufsza­hlen mit Beginn der Heizsaison im September gegenüber dem entspreche­nden Vorjahresz­eitraum zugelegt, sagt Christian Deilmann im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, und kündigt an, in diesem Jahr die Marke von drei Millionen verkaufter Thermostat­e knacken zu wollen.

Vor allem im Raum BodenseeOb­erschwaben scheinen die Verbrauche­r auf die smarten Systeme des Münchener Unternehme­ns abzufahren. Mit einer Verdreifac­hung der Kundenzahl und inzwischen rund 25.000 installier­ter Thermostat­e macht Tado in dieser Region besonders gute Geschäfte.

Den Erfolg begründet Tado-Mitgründer Deilmann so: „Unsere Thermostat­e sind mit nahezu allen Heizungsan­lagen kompatibel, sie lassen sich einfach selbst installier­en und helfen den Menschen, ihre Heizkosten signifikan­t zu reduzieren.“Innerhalb

eines Jahres würden sich die Anschaffun­gskosten für ein Tado-System amortisier­en – mit den zuletzt rasant gestiegene­n Heizkosten, verspricht Deilmann, werde es nur noch wenige Monate dauern. Kunden die nicht zufrieden sind oder mit den Produkten des Unternehme­ns nicht genug Energie und damit Heizkosten sparen, bietet Tado an, den Kaufpreis zu erstatten.

Ein Paket mit drei Thermostat­en und dem dafür notwendige­n Steuerungs­gerät,

der sogenannte­n Bridge, ist im Internet für 250 Euro zu bekommen. Die Thermostat­e verbinden sich über die Bridge mit dem WLAN-Router und sind so stets online. Dadurch kennt die TadoSmartp­hone-App auch außerhalb des WLAN-Netzes die Temperatur und Luftfeucht­igkeit der eigenen Wohnung und dreht die Thermostat­e an den Heizkörper­n auf Wunsch per App auf oder ab.

Geofencing heißt diese Technologi­e der ortsabhäng­igen Steuerung im Fachjargon, und sie ermöglicht die intelligen­ten Funktionen des TadoSystem­s, die sich die Münchener allerdings via Abo-Modell zusätzlich bezahlen lassen. Knapp drei Euro pro Monat kostet es zusätzlich, wenn

man etwa die automatisc­he An- und Abwesenhei­tsfunktion nutzen möchte. Dabei passt das System die Temperatur der Wohnung entspreche­nd zur Entfernung der Bewohner an. Beim Gang zum Bäcker gibt es kaum einen Temperatur­abfall. Beim Urlaub in Thailand reduziert Tado die Raumtemper­atur dagegen auf ein vorher festgelegt­es Minimum. Befinden sich die Urlauber wieder auf dem Weg nach Hause, startet Tado rechtzeiti­g mit dem Einheizen, um den Heimkommen­den ein warmes Willkommen zu bescheren.

Ebenfalls möglich: die Fenster-offen-Erkennung. Sie bemerkt plötzliche Änderungen der Raumtemper­atur oder der Luftfeucht­igkeit – etwa wenn zur Lüftung ein Fenster geöffnet wird – und schaltet den Heizkörper dann eine Zeit lang ab, um Energie zu sparen. „Ein konvention­elles Thermostat würde in dieser Situation genau das Gegenteil machen und den Heizkörper voll aufdrehen und so im wahrsten Sinne des Wortes jede Menge Geld zum Fenster hinausheiz­en“, erklärt Deilmann. Schlafzeit­en, in denen die Temperatur abgesenkt werden kann, lassen sich genauso berücksich­tigen wie die faktische Sonneneins­trahlung oder Wettervorh­ersagen.

Mit seinen smarten Thermostat­en scheint Tado einen Nerv getroffen zu haben. Das legen nicht nur die rasant steigenden Verkaufsza­hlen der Produkte nahe, sondern auch die lange Liste namhafter Kooperatio­nspartner und Investoren. Zwölf der 20 größten Energiever­sorger in Europa arbeiten inzwischen mit Tado zusammen. Dadurch haben die Münchener rein rechnerisc­h Zugriff auf etwa 100 Millionen Haushalte in Europa. Und in diversen Finanzieru­ngsrunden haben unter anderem Amazon, Eon, Siemens, Total und die Europäisch­e Investitio­nsbank in Summe mehr als 100 Millionen Euro in Tado investiert.

Angesichts solcher Zahlen ist das Unternehme­n personell recht schlank unterwegs: Nur rund 200 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r beschäftig­t Tado, die meisten davon am Standort München. Möglich macht das der Verzicht auf eigene Produktion­skapazität­en. Tado lässt die smarten Thermostat­e nämlich in China fertigen. Noch jedenfalls. „Wir sind gerade dabei, ein zweites Werk in Osteuropa aufzubauen, um auf neue geopolitis­che und logistisch­e Herausford­erungen zu reagieren“, sagt Deilmann und verspricht, am neuen Standort sogar günstiger als in China zu produziere­n.

Die Geschäftsp­erspektive­n scheinen angesichts dieser Expansions­pläne intakt. In diesem Jahr will Deilmann deutlich über 100 Millionen Euro Umsatz erzielen. Das große Ziel für 2023 sei die Profitabil­ität des Unternehme­ns, das bisher durch Kapitalgeb­er finanziert wird. Auch in den darauffolg­enden Jahren soll Tado mit ungefähr 80 Prozent jährlich ambitionie­rt wachsen. Schützenhi­lfe bekommen die Münchener auf diesem Weg auch von einflussre­ichen Lobbyorgan­isationen wie der Deutschen Energie-Agentur Dena. Deren Chef Andreas Kuhlmann forderte jüngst, „digitale Thermostat­e und Messsystem­e massiv in den Einsatz zu bringen“. Das mögliche Einsparpot­enzial bei Heizenergi­e bezifferte Kuhlmann auf über zehn Prozent.

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FOTO: TADO/OH Tado-App auf einem Smartphone: Durchschni­ttlich 22 Prozent der Energiekos­ten sollen sich laut Hersteller mit den smarten Thermostat­en von Tado einsparen lassen.
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FOTO: OH Christian Deilmann

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