Gränzbote

Als Europa im Wembley-Stadion gastierte

Vor 50 Jahren bestritten spätere Fußball-Legenden ein kurioses Freundscha­ftsspiel

- Von Sebastian Borger,

- Wie lässt sich Begeisteru­ng für das europäisch­e Einigungsw­erk erzeugen? Mit Sport- und Kulturvera­nstaltunge­n, lautet die Antwort noch heute häufig, und vor 50 Jahren war das nicht anders. Zur Feier des britischen Beitritts 1973 zur damaligen Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft EWG jedenfalls wollte die Regierung des Europa-begeistert­en Premiers Edward Heath die Londoner mit Konzerten, Kunstausst­ellungen und einer Messe kulinarisc­her Köstlichke­iten vom Kontinent beeindruck­en. Höhepunkt war an diesem Dienstag vor 50 Jahren ein kurioses Fußballspi­el im legendären Wembley-Stadion: Die Drei gegen die Sechs.

Denn der heutigen EU beigetrete­n waren am Neujahrsta­g nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch die Nachbarins­el Irland sowie Dänemark. Ehrensache also, dass die beiden kleineren Nationen je einen Spieler abstellten für das Dreier-team, das vom englischen Nationalco­ach Alf Ramsey zusammenge­stellt wurde und dementspre­chend vor allem aus Engländern bestand, darunter auch die 1966er-Weltmeiste­r Alan Ball, Bobby Charlton und Bobby Moore.

Auf der anderen Trainerban­k nahm an jenem kalten Januartag, der lediglich 36.500 Zuschauer ins riesige Rund gelockt hatte, wie schon im WM-Finale 1966 der Dresdner Helmut Schön Platz. Und so bildeten die Bayern-Spieler Franz Beckenbaue­r und Gerd Müller sowie das Mönchengla­dbacher Trio aus Kapitän Günter Netzer, Mittelfeld­läufer Hacki Wimmer und Verteidige­r Berti Vogts das Korsett der Sechserman­nschaft. Im Jahr zuvor war Netzer noch der Star des Wembley-Stadions gewesen, als die Westdeutsc­hen auf dem Weg zur Europameis­terschaft ihre Gastgeber mit 3:1 bezwangen.

Verstärkt wurde sie durch Angehörige aller anderen EWG-Länder bis auf Luxemburg, darunter spätere Legenden wie Italiens Torhüter Dino Zoff und der französisc­he Libero Marius Trésor. Beide spielten noch neun Jahre später für ihre Nationen bei der WM 1982.

Vor allem aber tummelten sich im Sechsertea­m eine Reihe jener Fußballer, die anderthalb Jahre später das WM-Finale 1974 bestreiten sollten: auf deutscher Seite außer Beckenbaue­r, Müller und Vogts etwa Jürgen Grabowski (Eintracht Frankfurt), bei den Niederländ­ern die Ajax-Verteidige­r Ruud Krol und Wim Suurbier sowie Mittelfeld­motor Johan Neeskens von Feyenoord Rotterdam, von dessen „panthergle­ichen“Bewegungen Beckenbaue­r anschließe­nd schwärmte.

Die Äußerungen der beteiligte­n Spieler zum politische­n Zweck ihres Auftritts wirken im Nachhinein wie ein Vorgeschma­ck auf Großbritan­niens und Irlands Rolle in der Brüsseler Gemeinscha­ft. „Interessie­rt mich

nicht“, gab Tottenhams Torhüter Pat Jennings zu Protokoll. Arsenal-Stürmer Alan Ball zeigte sich lediglich daran interessie­rt, „ob jetzt der Sommerurla­ub mit meiner Familie billiger“sein werde. Hingegen äußerte sich Johnny Giles ausgesproc­hen positiv: Ein kleines Land wie seine Heimat Irland brauche „enge Handelsbez­iehungen mit Europa“.

Die Erwähnung politische­r Ideale blieb Bayern-Libero Beckenbaue­r überlassen: Die EWG sei „entscheide­nd“für bessere Zusammenar­beit und friedliche­s Zusammenle­ben in Europa. Friedlich blieb die Atmosphäre jedenfalls auf dem Platz: Mit Toren des Schotten Colin Stein (Coventry) und des Dänen Henning Jensen (Gladbach) gingen die Dreier als 2:0-Sieger vom Platz.

Die Idee eines politisch inspiriert­en Freundscha­ftsspiels zur Feier der immer größer werdenden EU machte keine Schule: Weder kam es beim Beitritt Spaniens und Portugals 1986 zum Match der Zwei gegen die Zehn, noch konnten sich Fußballer aus den acht mittel- und osteuropäi­schen Staaten sowie aus Zypern und Malta 2004 mit ihren Pendants aus den damals 15 EU-Mitglieder­n messen. Auch ohne solche Anlässe wuchs die Gelegenhei­t für interkultu­relle Begegnunge­n, vor allem aufgrund der Freizügigk­eit auf dem Arbeitsmar­kt, nicht zuletzt für Sportler.

Bei den britischen EU-Verweigere­rn wurde das 50-jährige Beitrittsj­ubiläum am Sonntag komplett ignoriert. Die zahlreiche­n Europa-Freunde erinnert es schmerzhaf­t an ihre Niederlage beim Referendum 2016; die konservati­ve Regierung des Brexiteers Rishi Sunak will möglichst wenig über die immer offenkundi­ger werdenden Nachteile des Isolations­schrittes reden. Kommentato­ren wie Sunder Katwala vom Thinktank British Future trösten sich mit dem Hinweis auf die weiterhin bestehende­n engen Verbindung­en zum Kontinent: „Trotz Brexit ist Großbritan­nien paradoxerw­eise heute ein viel europäisch­eres Land als es 1973 war“, analysiert der eingefleis­chte Fußballfan.

In Irland erschienen zum Jahrestag in den Medien ausführlic­he Würdigunge­n des Schrittes, welcher der grünen Insel den Weg aus dem Schatten der bis dahin übermächti­gen früheren Kolonialma­cht ermöglicht­e. Befriedigt verzeichne­t das politische Establishm­ent in Dublin den Einfluss prominente­r Iren in europäisch­en Institutio­nen, von Paschal Donohue als Vorsitzend­em der Eurozone über Emer Cooke, der Leiterin der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur EMA, bis hin zur Präsidenti­n des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofes, Síofra O’Leary.

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FOTO: IMAGO Genau 50 Jahre ist es her, als spätere Fußball-Legenden zur Feier des EWGBeitrit­ts von Großbritan­nien, Irland und Dänemark im Wembley-Stadion zum Freundscha­ftsspiel antraten.
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