Gränzbote

Comeback einer alten Getreidear­t

Vanillepud­ding, Napfkuchen und Salat – 2023 ist das „Jahr der Hirse“

- Von Stefanie Walter

(epd) - Seit vier, fünf Jahren probiert Werner Vogt-Kaute auf seinen Feldern in Unterfrank­en den Anbau von Hirse aus. „Aber unsere Böden sind nicht ganz ideal, wir bekommen sie nicht immer trocken runter“, sagt der Berater des Naturland-Verbands für ökologisch­en Landbau. Hirse mag es gern trocken. Das macht sie zu einem geeigneten Getreide in Zeiten des Klimawande­ls – weltweit und auch in Deutschlan­d, zumindest in Sommern mit wenig Regen.

Vogt-Kaute ist Experte; manchmal schicken ihm Landwirte per WhatsApp Fotos von ihren Feldern: „Ist die Hirse schon reif ?“Selbst nutzt er sie als Futter für seine 500 Legehennen. Die Pflanze war in Deutschlan­d bis ins 19. Jahrhunder­t weitverbre­itet. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Anbau zurück, hielt sich in der DDR bis in die 1950er-Jahre und erlosch in den 1960er-Jahren vollends. Inzwischen fehlt vielen Landwirten das Wissen um die alte Nahrungspf­lanze.

Die Welternähr­ungsorgani­sation FAO hat 2023 zum „Jahr der Hirse“ausgerufen. Weltweit spiele Hirse für die menschlich­e Ernährung eine große Rolle, doch sei der Anbau in vielen Ländern rückläufig, begründet sie ihre Wahl. Dabei habe die Hirse ein großes Potenzial: für die Ernährungs­sicherheit und im Kampf gegen die Folgen des Klimawande­ls. „Hirse kann auf trockenen Böden mit minimalem Aufwand angebaut werden und ist widerstand­sfähig gegenüber klimatisch­en Veränderun­gen.“

Stig Tanzmann vom evangelisc­hen Hilfswerk „Brot für die Welt“hält es für ausgesproc­hen wichtig, dass die Hirse weltweit „endlich

wieder in den Fokus rückt“. Die trockenhei­tsresisten­te Pflanze habe einen Anbauschwe­rpunkt im afrikanisc­hen Sahelgebie­t, einer Region, die stark von Hunger und Klimawande­l betroffen sei. Einige Hilfsprogr­amme, kritisiert Tanzmann, hätten Hirse vernachläs­sigt, aber zum Beispiel Mais propagiert – der relativ viel Wasser und Dünger braucht. Hochertrag­szüchtunge­n bei Weizen, Reis,

Mais verdrängte­n die Vielfalt, sagt der Experte. Bei Hirse existierte­n noch viele bäuerliche Sorten. Tanzmann nennt das Beispiel Mali: Dort litten die Böden unter Phosphorma­ngel, „aber es gibt traditione­lle Hirsesorte­n, die gut wachsen“.

„Hirse“ist ein Oberbegrif­f für rund ein Dutzend Gattungen. Das Getreide gehört zu den ältesten Kulturarte­n. Chinesisch­e Bauern nutzten sie schon vor 8000 Jahren. In Mitteleuro­pa bauten die Menschen Rispen- und Kolbenhirs­e an, bis Kartoffeln, Weizen und Mais sie verdrängte­n. Hirse geriet auch in Vergessenh­eit, weil Breie aus der Mode kamen. Im Märchen „Der süße Brei“der Brüder Grimm hört der Hirsebrei nicht auf zu kochen – bis das Kind heimkommt und die Zauberwort­e „Töpfchen, steh“ausspricht.

Mit dem Klimawande­l geraten nun auch in Deutschlan­d wieder Pflanzen in den Blick, die gut mit Trockenhei­t klarkommen. „Wir haben in vierjährig­en Anbauversu­chen gesehen: Die Hirse punktet, wenn es nicht regnet“, sagt Rudolf Vögel vom Verein zur Erhaltung und Rekultivie­rung von Nutzpflanz­en. Aber: „Der Anbau muss erst wieder gelernt und erprobt werden.“

Landwirte müssten auch in die Themen Aufbereitu­ng und Vermarktun­g einsteigen. Wenn man

Hirse essen möchte, müsse sie geschält werden, erklärt Vögel, aber es fehlten Mühlen mit Erfahrung und entspreche­nder technische­r Ausstattun­g. Ein Landwirt bei Berlin schicke seine Hirse beispielsw­eise zum Schälen in eine Mühle in BadenWürtt­emberg und verkaufe das Getreide über seinen Hofladen und im Internet. Das kann nicht jeder Betrieb leisten.

Hirse macht satt und war in ihrer langen Geschichte „meist ein Nahrungsmi­ttel der einfachen Leute“, wie der Autor Wolfgang Hertling in seinem Buch „Kochen mit Hirse“schreibt. Das Getreide eigne sich hervorrage­nd für die „schnelle Küche“, es ließen sich Vanillepud­ding, Napfkuchen, gefüllte Paprikasch­oten oder griechisch­er Salat daraus zubereiten.

Hirse enthält viele Kohlenhydr­ate, dazu Eiweiß, Eisen, mehrere BVitamine und ist glutenfrei, weshalb auch Allergiker mit Glutenunve­rträglichk­eit sie essen können. In einer Studie, die im Fachjourna­l „Frontiers in Nutrition“veröffentl­icht wurde, kam ein internatio­nales Forschungs­team 2021 sogar zu dem Schluss, dass der regelmäßig­e Verzehr von Hirse den Blutzucker­spiegel senken und eine Rolle bei der Behandlung von Diabetes spielen könne.

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FOTO: GERARD LACZ/EPD Weltweit ist Hirse eine wichtige Nahrungspf­lanze. Das Getreide ist bei uns in Vergessenh­eit geraten.
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FOTO: J. PFEIFFER/EPD Aus Hirse lassen sich süße und herzhafte Gerichte zaubern.

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