Trommeln als Philosophie
Die Yamato-Truppe ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt – Jetzt gastiert sie nach langer Pause im Theaterhaus Stuttgart
Gerade erst ist die Sonne über den waldigen Bergen von Asuka aufgegangen, doch durch die Reisfelder, die sich hier terrassenförmig an den Hängen emporziehen, läuft bereits eine kleine Gruppe Männer und Frauen: das YamatoTeam. Allmorgendlich um sechs Uhr zieht es das bekannteste Taiko-Ensemble der Welt für eine Joggingstunde in die landschaftliche Idylle, wo einst im 7. Jahrhundert der japanische Kaiserhof seinen Sitz hatte.
„Dieser Kurs verleiht uns Energie“, sagt Masa Ogawa, der 1993 die Trommlergruppe gründete und bis heute ihr künstlerischer Leiter ist. Und darauf achtet, dass die Regeln dieser Rhythmus-Kommune befolgt werden: Nach dem Lauf wird gemeinsam gefrühstückt, dann werden die Armmuskeln trainiert, im Reisfeld für eine Stunde mehr als 3000mal die Schlegel geschwungen. Ein gemeinsames Programm, das indes für die Musiker weit mehr als schlichte Körperertüchtigung ist: „Wenn wir etwas gemeinsam tun, dann komme ich dem anderen nicht nur körperlich näher – sondern ich lerne vor allem Kompromisse einzugehen.“Trommeln als Philosophie. Zum Mittag, natürlich zusammen eingenommen, gibt es traditionell
Reis und Suppe – „auch wenn die Jüngeren eigentlich Burger und anderes Fast Food vorziehen“, wie der 55-Jährige schmunzelnd einräumt. Anschließend stehen Grundkenntnisse für das Training der rhythmischen Trommelschläge auf dem Programm. Schließlich ist die Taiko – jene traditionelle japanische Trommel unterschiedlicher Größe, deren Korpus aus einem einzigen Stück Holz des Kejaki-Baums gefertigt und dann mit Fellen aus Pferde- oder Rinderhäuten bezogen wird – im Land der aufgehenden Sonne seit jeher nicht nur ein Musikinstrument gewesen. Sie diente in den Ritualen der Shinto-Religion der Götterbeschwörung, als Begleitung für traditionelle Tänze oder auch bei der Feldarbeit.
„Der Schlag der Taiko: Das ist weit mehr als nur ein Rhythmus“, erklärt Ogawa. „Wir wollen dem Publikum Energie für sein Leben vermitteln.“So wie nun in Stuttgart, wo die weltweit erfolgreichste Taiko-Truppe – Yamato spielte bereits in 54 Staaten vor über acht Millionen Besuchern – vom 3. bis 12. Januar mit ihrer neuen Show „Tenmei“gastiert. Denn Trommeln, das sei für ihn und sein Ensemble Kommunikation. Um aber miteinander auf den Tierhäuten der Instrumente harmonieren zu können, müsse man die anderen möglichst nah im Alltag kennenlernen. Und so
sitzen die Bandkollegen denn selbst am Abend noch zusammen, schnitzen gemeinsam aus dem weichen Holz der Hinoki-Scheinzypresse oder dem extrem harten japanischen Mooreichenholz ihre Sticks. Diskutieren über die Herausforderungen des Taiko-Schlags: „Das ganze Leben ist eine Herausforderung und es geht darum, auf dem eigenen Lebensweg sich immer neue Herausforderungen zu suchen“, sinniert der Künstler.
Oder sich eben auch Unerwartetem stellen zu müssen wie dem weltweiten Corona-Wahnsinn der vergangenen drei Jahre: Gesundheitlich weniger hinsichtlich ihrer Physis – den bei ihrem Dubai-Gastspiel eingefangenen Infekt überstanden alle Ensemblemitglieder ohne Nachwehen – als vielmehr in punkto Psyche. „Anfangs haben wir die Situation gar nicht so richtig begriffen und gedacht ‚Das wird schon wieder‘“, erinnert sich Ogawa. Doch je länger die auftrittslose Zeit andauerte, desto mehr schlichen sich düstere Zukunftsgedanken in das Leben der Trommler ein: Wie kann es weitergehen? Werden wir jemals wieder auftreten können? Geholfen habe ihnen in dieser Zeit die Rückbesinnung auf die heimischen Werte: Begannen sie doch damals die alten Tempel und andere archäologische Stätten rund um Asuka zu erkunden und gaben dort auch mehrere Konzerte vor Einheimischen.
Gleichsam eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln – so wie schon einmal vor einigen Jahren, als Ogawa seinen Meister auf diesem Weg des Suchens in Kansai Yamamoto fand: Jenem legendären japanischen Designer, dessen wilde Kreationen sich ebenso moderner Science-FictionElemente bedienten, wie der klassischer Kabuki-Theater-Kostüme – und der 2018, zwei Jahre vor seinem Tod, auch die Trommler für ihre Show Chousensha in farbenprächtige Outfits gewandete. Schon die erste Begegnung mit ihm 2014 sei wie ein Jungbrunnen gewesen, erzählt der Yamato-Gründer. „Ich war damals erschöpft und ohne Inspiration und dachte über meinen Abgang von der Bühne nach – Yamamoto hat mir klar gemacht, dass es nicht zuvorderst um das Trommeln geht, sondern um die Weitergabe des Wissens und der eigenen Erkenntnisse an die nächste Generation.“Ein Lächeln huscht über seine Gesichtszüge: „Fortan habe ich wieder eine neue Energie in mir gespürt und bin bis heute glücklich, dass ich diese mit den Jüngeren teilen kann.“
Doch kann solch intensives Zusammenleben am Ende des Tages nicht auch zu viel des Miteinanders sein? Der Japaner denkt einen Moment lang nach – und schüttelt dann den Kopf. „Es geht darum, sich auf den anderen einzulassen, sich über ihn Gedanken zu machen – und gerade unter Stress lernt man einander viel besser kennen.“Eine ganz eigene Künstlerphilosophie, der indes Streit fremd zu sein scheint: Statt sich anzuschreien oder gar körperlich zu kämpfen, wird mögliche Wut hier über die Trommelschläge abgebaut, sagen sich die Yamatos über die bis zu 500 Kilogramm schwere Odaiko die Meinung. Selbst wenn ein jeder von ihnen schon einmal den Wunsch gehegt hat, einfach ein wenig Freizeit für sich zu haben. Doch die gäbe es nun mal nicht, sagt Ogawa: „Privatsphäre gibt es nur auf der Toilette.“
Die Yamato-Trommlern gastieren von 3. bis 12. Januar im Theaterhaus Stuttgart. Karten gibt es unter Telefon 0711/40207-20 oder www.theaterhaus.com. Die Truppe gastiert von 4. bis 9. Juli dann auch noch im Deutschen Theater in München.