Trostpreise als neues Tourneeziel
Der Traum vom deutschen Gesamtsieg ist ausgeträumt – DSV-Adler reisen dennoch angriffslustig nach Innsbruck
(SID) - Stefan Horngacher wurde ein wenig lauter und wollte eines festgehalten wissen: „Unsere Bilanz hier ist keinesfalls negativ, sie ist sehr positiv“, sagte der deutsche Skisprung-Bundestrainer, obwohl seine DSV-Adler wieder einmal frühzeitig die Chance auf den Sieg bei der Vierschanzentournee verspielt hatten. „Unsere Entwicklung ist sehr gut.“Seine Musterschüler Karl Geiger und Andreas Wellinger folgten den Ausführungen des Chefs mit leerem Blick. Schlüssige Erklärungen, warum es auch 21 Jahre nach Sven Hannawalds Grand Slam nicht zum großen Coup reicht, hatten sie alle nicht. „Ich bin das vierte Jahr in Folge in der Situation, dass ich um den Gesamtsieg mitspringen kann. Das zeugt von einer gewissen Konstanz“, sagte Karl Geiger am Montagmorgen, nachdem er am Vortag in GarmischPartenkirchen als Elfter alle Chancen auf den ersehnten Gesamtsieg verspielt hatte. „Dieses Jahr bin ich aber weiter weg als in den Vorjahren.“
Eines bleibt seit Hannawalds Coup im Winter 2001/02 gleich: Vor dem Auftakt ist die Euphorie groß, nach einem meist starken Springen in Oberstdorf ist sie noch größer. Und spätestens vor der Fahrt zur dritten Station in Innsbruck herrscht das große Achselzucken. „Tage wie gestern gehören einfach dazu“, sagte Geiger. Ein Rezept, wie die quälende Durststrecke in den kommenden Jahren beendet werden kann, kennt aber auch Deutschlands bester Skispringer nicht.
Und so geht es für den Gesamtfünften Geiger und den Sechsten Andreas Wellinger am Mittwoch am Bergisel (13.30 Uhr/ARD und Eurosport; Qualifikation am Dienstag) wieder einmal um Trostpreise. „Ein dritter Gesamtplatz ist noch möglich, alles andere utopisch“, sagte Horngacher angesichts von Geigers 32 Metern Rückstand auf den souveränen Gesamtführenden Halvor Egner Granerud – der Pole Piotr Zyla auf Platz drei ist zehn Meter entfernt. Geiger will derweil gar nicht auf den Gesamtstand blicken, sondern Granerud und den polnischen Gesamtzweiten Dawid Kubacki zumindest ärgern: „Das Ziel ist, dass wir denen mal einen vor den Latz geben. Dass wir zeigen, dass wir auch noch da sind.“
In Innsbruck könnte das gelingen, auf dieser Schanze hat Geiger große Erfolge gefeiert, war 2019 Vizeweltmeister
hinter dem nun so formschwachen Teamkollegen Markus Eisenbichler, und mit ihm Team-Weltmeister. „Jetzt fahre ich einfach sehr neugierig hin“, sagte Geiger, „zu verlieren habe ich ja nix.“
Die Tournee haben die Deutschen ja schließlich schon verloren. Wieder einmal. Warum aber reicht es nicht für eine der größten Skisprungnationen und vor allem als Co-Gastgeber, der so viel für das große Ziel investiert, nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder einmal diese Tournee zu gewinnen? Mit einem der unbestritten weltbesten Trainer, der zweimal einen Kamil Stoch zum Tourneesieg führte? „Am Material liegt es nicht“, sagte Horngacher. Am Potenzial seiner Springer scheitert das Vorhaben ebenfalls nicht, sie haben alles andere gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Weltmeistertitel, Flug-WM, Olympia-gold. „In diesem Jahr war aber klar, dass wir nicht um den Sieg springen“, sagte Horngacher.
Warum das aber seit 21 Jahren so ist, darauf wusste auch er keine schlüssige Antwort.