Kretschmann sieht Defizite bei Kooperation mit Eltern
Ministerpräsident erteilt Wünschen des obersten Elternsprechers im Land eine klare Absage
(dpa) - Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält mehr Mitbestimmung der Elternschaft in der Schulpolitik für nicht notwendig. „Wir brauchen keine stärkere formalisierte Mitbestimmung der Elternverbände über das hinaus, was wir schon haben“, sagte der Grünen-Politiker in Stuttgart. „Zudem ist die Rolle der Eltern schon verfassungsrechtlich eine sehr starke.“Es sei sicherlich nicht sinnvoll, dass die Eltern, die sowieso schon überengagiert seien und ihre Kinder bis ins Klassenzimmer begleiteten, dann noch präsenter seien – und die anderen, die eigentlich kommen sollten, nach wie vor nicht zum Elternabend kämen. Damit sei nichts erreicht, so Kretschmann.
Entscheidend sei vielmehr, dass Elternhaus und Lehrerschaft am gleichen Strang zögen. „Es mangelt teilweise an Kooperation“, kritisierte Kretschmann, der selbst einst Lehrer war. „Wir erreichen viele bildungsferne Eltern gar nicht.“In Deutschland hänge der Bildungserfolg zu sehr vom Elternhaus ab. „Wir müssen uns darüber den Kopf zerbrechen, wie wir besser an Eltern aus bildungsfernen Schichten rankommen – das ist unser Hauptproblem.“Manchen
Kindern werde zu Hause vorgelesen, anderen nicht – das sei in der Schule kaum einholbar.
Der Landeselternbeirat (LEB) hatte zuvor moniert, dass Eltern in der Schulpolitik zu wenig gehört würden und Lehrerverbände die dominanten Meinungsmacher seien. „Als Eltern wird man nicht in dem Maße gehört, wie es für einen Kunden angemessen wäre“, hatte der LEB-Vorsitzende Michael Mittelstaedt der „Schwäbischen Zeitung“gesagt. „Auch jemand, der wenig Geld hat, vielleicht kein Deutsch kann oder einfach unsympathisch ist, muss sein Kind in der Schule abgeben können und sicher sein, dass es genauso gefördert wird wie das Akademikerkind.“
Der „Südwest Presse“sagte er zudem, dass Eltern in grundlegenden Fragen der Bildungspolitik ein „VetoRecht“haben sollten. Der Landeselternbeirat sei wie der Landesschulund der Landesschülerbeirat auch nur ein „schmückendes Beiwerk, das in vollkommen unerheblichen Fragen mitwirken darf, indem es angehört wird“. Gemessen am Ausmaß der Probleme erreiche der LEB seit Jahrzehnten viel zu wenig.
Die FDP warf Kretschmann vor, in der Bildungspolitik über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu entscheiden. „Um zu einer fundierten Lagebeurteilung zu kommen, ist es entscheidend,
die Expertise von Landeselternbeirat, Landesschülerbeirat und Lehrerverbänden einzuholen – und diese ernst zu nehmen“, sagte der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Timm Kern. Die AfD-Fraktion stimmte den LEB-Forderungen zu.
Die Reaktionen der Bildungsverbände fallen vielschichtiger aus. Die Bildungsgewerkschaft GEW ebenso wie der Verband Bildung und Erziehung (VBE) halten die bisherigen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Eltern im Schulsystem für ausreichend. Elternabende würden im Schnitt nur von 50 Prozent der Eltern besucht, kritisierte VBE-Landeschef Gerhard Brand. „In der Praxis zeigt sich, dass Eltern die Mitsprache, die sie schon haben, nicht in vollem Umfang wahrnehmen.“An die Eltern, an die man rankommen wolle, komme man auch durch mehr Mitbestimmungsrechte nicht ran.
Die GEW verweist in dem Zusammenhang auf den Personalmangel an Schulen. Früher hätten Grundschullehrkräfte viel mehr Hausbesuche bei Eltern gemacht, weil mehr Ressourcen zur Verfügung gestanden hätten und die Klassen kleiner gewesen seien, sagte GEW-Landesgeschäftsführer Matthias Schneider. Auch Ralf Scholl, Vorsitzender des Philologenverbands, der für die Gymnasiallehrer spricht, plädiert für häufigere Besuche von Lehrern in den Elternhäusern der Schüler.
Das einstige Bildungsmusterland Baden-Württemberg ist im Ranking der Bundesländer deutlich abgerutscht. Bildungsverbände machen immer wieder auf den Lehrermangel aufmerksam. Für das neue Jahr hatte Kretschmann einen Fokus auf die Bildungspolitik angekündigt.