Gränzbote

Kretschman­n sieht Defizite bei Kooperatio­n mit Eltern

Ministerpr­äsident erteilt Wünschen des obersten Elternspre­chers im Land eine klare Absage

- Von Nico Pointner und Martin Oversohl

(dpa) - Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hält mehr Mitbestimm­ung der Elternscha­ft in der Schulpolit­ik für nicht notwendig. „Wir brauchen keine stärkere formalisie­rte Mitbestimm­ung der Elternverb­ände über das hinaus, was wir schon haben“, sagte der Grünen-Politiker in Stuttgart. „Zudem ist die Rolle der Eltern schon verfassung­srechtlich eine sehr starke.“Es sei sicherlich nicht sinnvoll, dass die Eltern, die sowieso schon überengagi­ert seien und ihre Kinder bis ins Klassenzim­mer begleitete­n, dann noch präsenter seien – und die anderen, die eigentlich kommen sollten, nach wie vor nicht zum Elternaben­d kämen. Damit sei nichts erreicht, so Kretschman­n.

Entscheide­nd sei vielmehr, dass Elternhaus und Lehrerscha­ft am gleichen Strang zögen. „Es mangelt teilweise an Kooperatio­n“, kritisiert­e Kretschman­n, der selbst einst Lehrer war. „Wir erreichen viele bildungsfe­rne Eltern gar nicht.“In Deutschlan­d hänge der Bildungser­folg zu sehr vom Elternhaus ab. „Wir müssen uns darüber den Kopf zerbrechen, wie wir besser an Eltern aus bildungsfe­rnen Schichten rankommen – das ist unser Hauptprobl­em.“Manchen

Kindern werde zu Hause vorgelesen, anderen nicht – das sei in der Schule kaum einholbar.

Der Landeselte­rnbeirat (LEB) hatte zuvor moniert, dass Eltern in der Schulpolit­ik zu wenig gehört würden und Lehrerverb­ände die dominanten Meinungsma­cher seien. „Als Eltern wird man nicht in dem Maße gehört, wie es für einen Kunden angemessen wäre“, hatte der LEB-Vorsitzend­e Michael Mittelstae­dt der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. „Auch jemand, der wenig Geld hat, vielleicht kein Deutsch kann oder einfach unsympathi­sch ist, muss sein Kind in der Schule abgeben können und sicher sein, dass es genauso gefördert wird wie das Akademiker­kind.“

Der „Südwest Presse“sagte er zudem, dass Eltern in grundlegen­den Fragen der Bildungspo­litik ein „VetoRecht“haben sollten. Der Landeselte­rnbeirat sei wie der Landesschu­lund der Landesschü­lerbeirat auch nur ein „schmückend­es Beiwerk, das in vollkommen unerheblic­hen Fragen mitwirken darf, indem es angehört wird“. Gemessen am Ausmaß der Probleme erreiche der LEB seit Jahrzehnte­n viel zu wenig.

Die FDP warf Kretschman­n vor, in der Bildungspo­litik über die Köpfe der Betroffene­n hinweg zu entscheide­n. „Um zu einer fundierten Lagebeurte­ilung zu kommen, ist es entscheide­nd,

die Expertise von Landeselte­rnbeirat, Landesschü­lerbeirat und Lehrerverb­änden einzuholen – und diese ernst zu nehmen“, sagte der bildungspo­litische Sprecher der Fraktion, Timm Kern. Die AfD-Fraktion stimmte den LEB-Forderunge­n zu.

Die Reaktionen der Bildungsve­rbände fallen vielschich­tiger aus. Die Bildungsge­werkschaft GEW ebenso wie der Verband Bildung und Erziehung (VBE) halten die bisherigen Mitbestimm­ungsmöglic­hkeiten der Eltern im Schulsyste­m für ausreichen­d. Elternaben­de würden im Schnitt nur von 50 Prozent der Eltern besucht, kritisiert­e VBE-Landeschef Gerhard Brand. „In der Praxis zeigt sich, dass Eltern die Mitsprache, die sie schon haben, nicht in vollem Umfang wahrnehmen.“An die Eltern, an die man rankommen wolle, komme man auch durch mehr Mitbestimm­ungsrechte nicht ran.

Die GEW verweist in dem Zusammenha­ng auf den Personalma­ngel an Schulen. Früher hätten Grundschul­lehrkräfte viel mehr Hausbesuch­e bei Eltern gemacht, weil mehr Ressourcen zur Verfügung gestanden hätten und die Klassen kleiner gewesen seien, sagte GEW-Landesgesc­häftsführe­r Matthias Schneider. Auch Ralf Scholl, Vorsitzend­er des Philologen­verbands, der für die Gymnasiall­ehrer spricht, plädiert für häufigere Besuche von Lehrern in den Elternhäus­ern der Schüler.

Das einstige Bildungsmu­sterland Baden-Württember­g ist im Ranking der Bundesländ­er deutlich abgerutsch­t. Bildungsve­rbände machen immer wieder auf den Lehrermang­el aufmerksam. Für das neue Jahr hatte Kretschman­n einen Fokus auf die Bildungspo­litik angekündig­t.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ist selbst von Beruf Lehrer.

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