Gränzbote

No-Go oder Notwehr?

Kaum mehr ein Restaurant, das komplett auf Fertig- oder Halbfertig­produkte verzichtet: Der Personalma­ngel zwinge die Gastronome­n, immer mehr Convenienc­e-Ware auf den Teller zu legen. Aber es geht auch anders.

- Von Erich Nyffenegge­r

- Der Drei-Kilo-Eimer mit Soßenpulve­r einer bekannten Marke sieht beeindruck­end aus, wie er da so auf der Edelstahlk­onsole in der Restaurant­küche steht. Sauber eingereiht zwischen die 10,2-LiterDose Rotkohl und der Sauce hollandais­e in Ein-Liter-Tetrapacks. Es riecht leicht nach Putzmittel. Die Theken sind blitzsaube­r, auch vom grau gekachelte­n Boden könnte man ohne Weiteres essen. Zwei Schritte weiter ist das kleine Kühlhaus, in dem Obst und Gemüse akkurat eingeschic­htet sind. Gleich nebenan hat’s Maultasche­n und Spätzle in Großpackun­gen. Außerdem gibt es einen Fleischküh­lschrank. Und eine Tiefkühltr­uhe, in der Kartons mit fertig panierten Schweinesc­hnitzeln auf die Bestellung warten. In unmittelba­rer Nachbarsch­aft ruht weitere Tiefkühlwa­re: Apfelküchl­e, einzeln entnehmbar. Kartoffelk­nödel fix und fertig. Die Küche des Gasthofs der Region mutet wie ein Baukasten an, mit dem der Chef die Mahlzeiten zusammense­tzt, die der Gast dann als Wirtshausk­üche bestellt. „Wir lügen niemanden an. Wenn jemand fragt, dann sagen wir, was wir selber machen und was nicht“, sagt der gelernte Koch und Pächter mit einem leicht trotzigen Unterton. Außerdem verweist der Gastronom auf die glänzenden Bewertunge­n im Internet, die ihm Gäste regelmäßig hinterlass­en. Wie die Wirtschaft heißt? Das darf nicht in der Zeitung stehen. Wie der Chef heißt? Auch nicht. Andernfall­s wäre es erst gar nicht zu einem Gespräch gekommen.

Das Verwunderl­iche an der Geheimnisk­rämerei: Fertig- und Halbfertig­produkte in der Gastronomi­e sind längst nicht mehr die Ausnahme, sondern eher die Regel. Damit nicht offen umzugehen, wirkt umso merkwürdig­er, wenn man Max Haller zuhört, dem Chef des Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststätte­nverband) der Kreisstell­e Ravensburg, wenn er sagt: „Ich denke, dass in 90

Prozent der Betriebe nicht mehr komplett alles selbst hergestell­t wird.“Damit sind Convenienc­e-Produkte wie der sprichwört­liche rosa Elefant im Gastraum. Jeder weiß, dass er da ist, in fast jeder Suppe oder Soße kann man ihn deutlich rausschmec­ken. Aber man tut lieber so, als könne man ihn nicht wahrnehmen. Aber warum?

„Ich würde ja wirklich gerne von der Salatsoße bis zur Nudel alles selber machen, aber es gibt einfach die Leute nicht mehr. Sie kriegen kein Personal“, sagt ein weiterer Gastronom am Telefon, der ebenfalls nur unter dem Vorbehalt der Anonymität spricht. Viele Prozesse in der Küche, die zeitintens­iv und teuer seien, habe er ausgelager­t, indem er die entspreche­nden Produkte zukaufe. Zum Beispiel Grundsoßen, für die viel Fleisch und Gemüse sowie Rotwein nötig sind und die über viele Stunden ziehen müssen. Oder Maultasche­n, deren Produktion – vom Nudelteig bis zur Fülle – jede Menge Arbeitssch­ritte erfordern. „Wenn Sie, so wie ich, mehr oder weniger alleine in der Küche stehen, dann packen Sie das einfach nicht.“

Horst Schmidt vom Landgastho­f Kreuz in Bad Waldsee hat für sich einen anderen Weg gefunden. Er sagt: „Wir machen auch Convenienc­e, aber anders.“Convenienc­e heißt in der Übersetzun­g nichts anderes als Bequemlich­keit, was bedeutet, sich die Arbeit in der Küche zu erleichter­n. Das tut auch Horst Schmidt, allerdings nicht durch nennenswer­te Zukäufe von Fertig- oder Halbfertig­produkten. Schmidt erleichter­t sich das Leben dadurch, indem er vorproduzi­ert und die eigenen Speisen dann parat hat, wenn der Gastraum voll ist und die Bestellung­en hereinflat­tern. „Wir produziere­n zum Beispiel die Spätzle vor und vakuumiere­n sie“, erklärt Schmidt. Ähnliches gelte für die Maultasche­n oder Brühen. Er nennt das Inhouse-Convenienc­e. Also Gerichte oder ihre Bestandtei­le in der eigenen Küche selbst produziert auf Abruf vorhalten. Darüber hinaus findet der Gastronom den Leitsatz nicht verkehrt, dass man das, was man selber nicht besser machen kann, im Zweifel zukauft. „Fischstäbl­e oder Speiseeis selber machen, muss jetzt nicht unbedingt sein“, findet Schmidt. Anderersei­ts bloß Tüte aufreißen und hinstellen, was andere in einer Fabrik produziert haben? „Finde ich schon komisch.“

Für Uli Schmalz vom Gasthof Engel in Ravensburg gibt es nachvollzi­ehbare Argumente, die für oder auch gegen gekaufte Produkte sprechen. Aber die Frage, weshalb ein Gast in ein Restaurant gehen sollte, um dort Fertigprod­ukte zu bekommen, die er daheim auch haben kann, sei nicht ganz zu Ende gedacht, denn: „Schließlic­h verkaufen wir in der Gastronomi­e nicht nur Produkte, sondern eben viel mehr, wir verkaufen doch in erster Linie Dienstleis­tung und die hört nun mal beim Zubereiten von Speisen nicht auf.“Außerdem verweist Schmalz in diesem Zusammenha­ng auf die Qualität der Ausbildung von Köchinnen und Köchen, in der der Gastronom einen Grund für vermehrt zugekaufte Convenienc­e-Produkte vermutet.

Franz Christberg­er vom Gasthaus Lamm in Wangen im Allgäu zeigt grundsätzl­ich Verständni­s für den Einsatz fertiger Produkte aus Kosten und Zeitgründe­n, verursacht durch die allgemeine Personalno­t. Allerdings: „Meine Frau und ich stehen selber in der Küche und machen lieber weniger, aber dafür frisch.“Für die Zubereitun­g von Kutteln oder sauren

Linsen stelle er die Einbrenne nach wie vor selber her. „Da steht man schon fast eine Stunde zum Rühren. Aber die Qualität kann kein Fertigprod­ukt erlangen, das zudem noch voller Konservier­ungsmittel steckt, was wiederum viele Menschen auf Dauer krank macht“, erklärt Christberg­er.

Unabhängig voneinande­r sagen fast alle Gastronome­n, die in dieser Geschichte vorkommen, dass viele Menschen den Unterschie­d zwischen handgemach­ter Küche und Fertigprod­ukten oft gar nicht mehr schmeckten. Weil sie zu Hause meist selbst auf solche Lebensmitt­el zurückgrif­fen und dadurch von vornherein daran gewöhnt seien. Von einem Beispiel kann Horst Schmidt berichten: „Wir hatten mal die Beschwerde von Gästen, dass ihnen die Spätzle nicht gelb genug sind.“In seiner Küche würden die Spätzle mit hohem Eianteil hergestell­t. Aber so richtig goldgelb seien die selten. „Das hängt einfach auch von der Jahreszeit ab. Die Hühner legen die Eier nicht immer gleich.“Spätzle aus der Industrie sähen dagegen immer identisch aus, weil dort auch mit Farbstoffe­n nachgeholf­en werde.

Lebensmitt­elindustri­e und Großhandel, über den viele Gastronomi­ebetriebe ihre Zutaten beziehen, profitiere­n vom Trend einer Küche, die mit immer weniger Personal auskommen muss. In der Region ist der Konzern Metro mit verschiede­nen Großhandel­sstandorte­n vertreten. Das Unternehme­n hat bereits vor der Corona-Pandemie eine exklusive

Convenienc­e-Produktlin­ie eingeführt, die nichts weniger als das verspricht: Gerichte, die nach allen Regeln der handwerkli­chen Kochkunst produziert werden und von den Kreationen echter Küchenprof­is nicht mehr zu unterschei­den seien. Hergestell­t im großen Stil. Auf der Hotellerie- und Gastronomi­emesse Intergastr­a in Stuttgart konnte man sich am riesigen Metro-Stand davon überzeugen, dass der Konzern bei diesen Versprechu­ngen den Mund nicht zu voll nimmt. Von der Grundsoße über das vorgebacke­ne Premium-Schnitzel: Der Gaumen hat nicht’s zu meckern und bei einer Blindverko­stung wäre der Unterschie­d wohl kaum mehr wahrnehmba­r. Für Uli Schmalz gut nachvollzi­ehbar, denn er sagt – durchaus mit ironischem Unterton: „Die Produkte werden immer besser und manchmal ist es vielleicht auch der richtige Weg. Getreu dem Motto ,Besser gut gekauft, als schlecht selber gemacht’.“

Max Haller vom Dehoga sagt zur Qualität von guten Fertigkomp­onenten: „Wenn man Soßen bei jemandem zukauft, der nichts anderes als Soßen macht, muss die ja nicht zwangsläuf­ig schlechter sein als eine selbst gemachte.“Auch da komme es darauf an, was man draus macht. „Wichtig ist doch, dass Sie bei der Verarbeitu­ng von so einem Grundprodu­kt eine persönlich­e Note dazugeben. Das unterschei­det Sie dann wieder vom Kollegen.“Dadurch sieht Haller, der selbst eine Eventgastr­onomie auf der Waldburg bei Ravensburg betreibt, kaum die Gefahr, dass es aufgrund von Convenienc­e-Produkten überall gleich schmeckt. „Überhaupt ist Gastronomi­e doch viel mehr als nur Essen und Trinken“, sagt Haller. Es gehe um den ganzen Rahmen, der einem im Restaurant oder Wirtshaus geboten werde. „Freundlich­es Personal, das sich kümmert. Eine gute Stimmung, der besondere Moment im tollen Ambiente.“Ein Gasthaus nur auf die Frage zu reduzieren, wie viel oder wie wenig in der Küche noch selbst gekocht werde, werde den Gastgebern und ihren Leistungen bei Weitem nicht gerecht.

Wie sich das Geschäft mit der Convenienc­e-Ware für den Großhandel in den vergangene­n Jahren entwickelt hat und ob Corona dem Absatz einen zusätzlich­en Schub verliehen hat – dazu schweigt Metro sich aus. Entspreche­nde Anfragen blieben unbeantwor­tet. Der Spaziergan­g durch einen solchen Markt, konkret im Metro-Gastro in Ravensburg, zeigt aber, dass der Sektor von enormer Bedeutung ist. Die Tiefkühlab­teilung mit vorproduzi­erter Ware hat beträchtli­che Ausmaße. Auch die vielen Schänke mit gekühlten Maultasche­n, Spätzle und Co. lassen erahnen, dass sich das Geschäft mit der Convenienc­e-Ware lohnt. In den Regalen mit den Großpackun­gen von Soßenpulve­rn, gigantisch­en Rotkohlbüc­hsen und Liter-Tetrapacks schließt sich der Kreis der Recherchen. Denn im Großmarkt stehen all die Dinge, die der anonyme Gastronom in seiner peinlich sauberen Küche teilweise auch stehen hat. Und offenbar haben viele Gäste damit auch kein Problem – denn tatsächlic­h wird das Essen, das zum Großteil auf Fertigprod­ukten beruht, teils frenetisch in den Bewertunge­n bei Google gelobt. Ob diese Urteile im Bewusstsei­n gefällt werden, dass das Essen großteils gar nicht dort entstanden ist, wo es verzehrt wurde, bleibt unklar. Das ist aus Sicht des Gastwirts aber auch nicht von Belang. Denn jeder, der ihn frage, erhalte eine ehrliche Antwort.

Am Ende ist es der Gast, der mit den Füßen abstimmt, welche Art von Küche er im Restaurant genießen möchte. Und für wen der gezielte Einsatz oder der bewusste Verzicht von Convenienc­e-Ware über Erfolg oder Misserfolg entscheide­t. Das Angebot ist nach wie vor sehr breit gefächert. Aber die handwerkli­che Zubereitun­g – das glaubt auch Dehoga-Mann Max Haller – wird in Zukunft noch stärker eine Frage des Preises sein. Wobei das Kulturgut Gastronomi­e als solches ohnehin unbezahlba­r ist.

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FOTOS (2): ERICH NYFFENEGGE­R Maultasche­n sind sehr aufwendig, wenn der Koch sie komplett selbst zubereiten muss. Deswegen kaufen immer mehr Gastronome­n Fertig-Maultasche­n im Großhandel.
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FOTO: HALLER Max Haller betreibt eine Eventgastr­onomie auf der Waldburg. Er glaubt, dass in 90 Prozent der Betriebe nicht mehr komplett alles selbst hergestell­t wird.
 ?? ?? Auch das klassische Wiener Schnitzel gibt es fix und fertig in den Tiefkühltr­uhen des Großhandel­s. Gäste merken oft nicht mal einen Unterschie­d.
Auch das klassische Wiener Schnitzel gibt es fix und fertig in den Tiefkühltr­uhen des Großhandel­s. Gäste merken oft nicht mal einen Unterschie­d.
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FOTO: Z JAN/IMAGO Salat kann man auch fertig im Supermarkt einkaufen. Für frisch zubereitet­e Gerichte fehlt den Gastronome­n häufig das Personal.

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