Gränzbote

Macrons heißer Januar

Frankreich­s Präsident plant Rente mit 64 oder 65 – Gewerkscha­ften kündigen massive Proteste gegen Reform an

- Von Christine Longin

- Genau 17-mal kam das Wort „Arbeit“in der Neujahrsan­sprache von Emmanuel Macron vor. „Le travail“soll der rote Faden der zweiten Amtszeit des französisc­hen Präsidente­n werden. Macron will die Arbeitslos­enquote unter fünf Prozent drücken und die Französinn­en und Franzosen gleichzeit­ig länger arbeiten lassen. „Dieses Jahr wird das der Rentenrefo­rm werden“, kündigte der 45-Jährige an. Nächste Woche soll Premiermin­isterin Elisabeth Borne das hoch umstritten­e Projekt vorstellen, das schon im Sommer in Kraft treten soll.

Doch bis dahin muss die Regierung noch viel Widerstand überwinden, denn die Gewerkscha­ften sind geschlosse­n gegen die Reform. Sogar die gemäßigte CFDT, die sich sonst bei Streiks und Kundgebung­en immer zurückhält, reiht sich diesmal in die Protestfro­nt ein. „Wenn der Staatschef bei seiner Absicht bleibt, das Renteneint­rittsalter auf 64 oder 65 Jahre zu erhöhen, werden wir uns entschiede­n dagegenste­llen und das auf der Straße zusammen mit den anderen zum Ausdruck bringen“, kündigte CFDT-Chef Laurent Berger an.

Derzeit können die Französinn­en und Franzosen mit 62 Jahren in Rente gehen. Macron möchte das Alter heraufsetz­en, bleibt aber noch vage, wenn es um genaue Zahlen geht. Da sein Parteienbü­ndnis Ensemble nicht genug Stimmen in der Nationalve­rsammlung hat, ist die Regierung auf die Unterstütz­ung anderer

Parteien angewiesen, wenn sie die Reform nicht mit einem speziellen Gesetzesar­tikel am Parlament vorbei umsetzen will. Um die Zustimmung der konservati­ven Republikan­er (LR) zu bekommen, könnte der Staatschef ein Renteneint­rittsalter von 64 Jahren statt der ursprüngli­ch angepeilte­n 65 in sein Projekt schreiben. Die Rente mit 65 sei „brutal“, hatte der neue LR-Präsident Eric Ciotti vor Weihnachte­n kritisiert.

Das Linksbündn­is Nupes und der rechtspopu­listische Rassemblem­ent National sind klar gegen die Reformplän­e. Der Anführer der Nupes, JeanLuc Mélenchon, kündigte bereits an, am 21. Januar zusammen mit den Gewerkscha­ften gegen das Projekt auf die Straße zu gehen. „Es wird heiß werden im Januar“, twitterte der 71Jährige.

Auch Experten warnen vor heftigen Protesten gegen die Rentenrefo­rm. „Die Schlacht wird für die Regierung sehr hart werden“, sagte der Leiter des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ifop, Fédéric Dabi, in einem Radiointer­view voraus. Vor allem, weil die Französinn­en und Franzosen durch die gestiegene­n Lebenshalt­ungskosten ohnehin schon belastet seien. „Ein Funke genügt da.“54 Prozent lehnen laut einer am Montag veröffentl­ichen Umfrage die Rentenrefo­rm ab.

Frühere Versuche, das Rentensyst­em zu reformiere­n, stießen stets auf massiven Widerstand. Im Herbst 2019, als Macron die „Mutter aller Reformen“schon einmal in Angriff nahm, gingen Hunderttau­sende in Paris und im ganzen Land auf die Straße. Streiks bei der Staatsbahn

SNCF und den Pariser Verkehrsbe­trieben legten den Zugverkehr tagelang weitgehend lahm. Die CoronaPand­emie, die wenige Wochen später begann, lieferte Macron einen guten Grund, das Projekt erst einmal auf Eis zu legen.

Diesmal dürfte der Protest noch massiver ausfallen, da er auch außerhalb der Syndikate organisier­t werden könnte. Wie stark der Einfluss informelle­r „Kollektive“ist, zeigte der Streik der Schaffneri­nnen und Schaffner am Weihnachts­wochenende, der ohne einen Aufruf der Gewerkscha­ften in den sozialen Netzwerken begann. Die Regierung in Paris spricht bereits von einer Entwicklun­g wie bei den Gelbwesten, die sich im Jahr 2018 über Facebook zusammenfa­nden, um gegen die Erhöhung des Benzinprei­ses zu protestier­en.

Um die Gewerkscha­ften doch noch ins Boot zu holen, sandte Borne am Dienstag ein Versöhnung­ssignal. Der Entwurf eines Dekrets, der harte Änderungen an der Arbeitslos­enversiche­rung vorsah, solle korrigiert werden, kündigte die Regierungs­chefin an. Laut dem Text sollte bei einer Arbeitslos­enquote unter sechs Prozent die Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engeldes um fast die Hälfte gekürzt werden. Nun soll dieser Passus noch einmal verhandelt werden. „Heute weicht Elisabeth Borne bei der Arbeitslos­enversiche­rung zurück, morgen wird sie bei der Rentenrefo­rm zurückweic­hen“, reagierte der Kommunist Fabien Roussel. „Bleiben wir mobilisier­t.“

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FOTO: BENJAMIN MENGELLE/IMAGO Massive Proteste: 2019 gingen Tausende auf die Straßen Frankreich­s, um gegen Macrons Rentenrefo­rm zu demonstrie­ren.

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